Geschenk an seine Frau Juliane: Wie Jakob Rad den Würfelzucker erfand
Wer schon einmal in dem kleinen Städtchen Dačice / Datschitz in der Nähe von Telč / Teltsch war, erinnert sich vielleicht an ein sonderbares Denkmal: Ein großer glatter Würfel steht dort spitz auf einer seiner Ecken. Den Sockel ziert die Jahreszahl 1843. Das Denkmal erinnert an die Erfindung des Würfelzuckers, die auf den damaligen Direktor der örtlichen Zuckerfabrik Jakob Christoph Rad zurückgeht.
Er hat ein süßes Erbe hinterlassen. Jakob Christoph Rad wurde 1799 geboren und wuchs in Wien auf. Dort machte er eine Ausbildung zum Drogisten. 1840 kam er ins damals zu Mähren gehörende Dačice und übernahm die Leitung der dortigen Zuckerfabrik. Zu dieser Zeit waren die Böhmischen Länder führend in der Produktion des Süßstoffs. Daniel Froněk ist Autor mehrerer Bücher über die Geschichte der Zuckerherstellung in Tschechien:
„Die böhmischen Hersteller erkannten ihre Chance in der aufsteigenden Branche. Der Zuckerrübenanbau war dank der guten Bodenqualität und dem günstigen Klima hierzulande sehr erfolgreich. Und so stammten 90 Prozent der gesamten Zuckerproduktion Österreich-Ungarns aus dem Gebiet des heutigen Tschechiens.“
Die erste Marge Zucker wurde auf böhmischem Gebiet bereits zu Zeiten von Kaiser Joseph II. hergestellt. Als dieser nämlich einen Großteil der hiesigen Orden auflöste, nahm 1787 in den Gebäuden des Klosters Zbraslav / Königsaal die erste Zuckerfabrik ihre Tätigkeit auf. Damals war man noch auf den Import von Rohrzucker angewiesen. Die Zuckerrübe wurde erst etwa 20 Jahre später zur Produktionsgrundlage.
Zu der Zeit, als Jakob Rad die Raffinerie in Dačice leitete, lagerte der Süßstoff in den Haushalten für gewöhnlich in Form eines meterhohen Zuckerhutes. Je nach Bedarf wurden von ihm kleinere Teil abgeschlagen. Auch Rads Ehefrau Juliane habe sich mit dem unpraktischen Riesen herumgeärgert, berichtet Marie Kučerová. Sie führt das städtische Museum in Dačice:
„Als Juliane einmal ein Stück aus dem Zuckerhut herausstach, verletzte sie sich am Finger. Mit dieser Wunde ging sie wohl zu ihrem Ehemann und forderte ihn auf, endlich etwas zu unternehmen, damit sie nicht immer derart herumstochern müsse.“
Zuckerwürfel in weiß und rot
Bald darauf präsentierte ihr der sorgende Gatte die ersten 350 Stück mundgerechten Würfelzuckers. Dazu hatte Jakob Rad eine spezielle Presse erfunden. Das alles ereignete sich bereits im Jahr 1841. Für sein Gerät ließ sich Rad aber erst im Januar 1843 von der Hofkammer in Wien ein fünfjähriges Erfinderprivileg ausstellen. Dem folgte 1844 das eigentliche Patent und die Erlaubnis, den Würfelzucker in Serie herzustellen. Laut Kučerová ist der Prototyp der Presse nicht erhalten geblieben. Überliefert ist aber, wie er funktionierte:
„Grundlage waren zwei Kupferplatten. Die untere war glatt, die obere hatte 400 würfelförmige Auswölbungen. Diese wurden gleichmäßig mit Zuckermasse gefüllt. Dann kam das Ganze in die Presse, und auf der unteren Platte blieben die Würfel zurück.“
Nach der Pressung mussten die Würfel noch zehn bis zwölf Stunden getrocknet werden. Sie wurden damals in zwei verschiedenen Größen hergestellt. Geschmacklich unterschieden sie sich durchaus von den heutigen Produkten. Daniel Froněk erläutert, warum:
„In ganz Europa wird heute reiner, weißer Zucker konsumiert. Er ist ohne die Zusätze, die in den Rüben oder im Rohrzucker noch enthalten sind. Das haben die damaligen Technologien noch nicht ermöglicht. Darum blieb immer ein Rest zurück von unreinem ‚Nicht-Zucker‘, wie es die Hersteller nannten. Darum hatte der Zucker damals eine gelbliche oder gräuliche Farbe und war wohl etwas süßer im Geschmack.“
Von den ersten Zuckerwürfeln weiß man, dass Rad sie für seine Frau Juliane in weißer und roter Farbe hergestellt hat. Marie Kučerová vom Datzschitzer Museum nimmt an, dass sie mit dem Saft roter Beete oder von Heidelbeeren eingefärbt wurden. Das gab nebenbei eine gute Reklame für das neue Produkt ab.
Das Herstellungsprinzip von Zucker hat sich seit diesen Zeiten kaum verändert, so Daniel Froněk weiter:
„Der Stamm des Zuckerrohrs ist unglaublich hart, er muss zermahlen und ausgepresst werden – im Gegensatz zur Zuckerrübe, die nur gewaschen und dann in kleine Streifen geschnitten wird. Diese Streifen durchlaufen dann den Prozess der Diffusion, bei dem sie mit heißem Wasser gespült werden. Das ist ein weltweit angewandtes Verfahren, das bis heute nicht übertroffen wurde. Es wurde in Mähren entwickelt, genauer in Židlochovice (zu Deutsch: Groß Seelowitz, Anm. d. Red.).“
Würfelzucker "Juliana"
Zur Hochzeit der Zuckerproduktion befanden sich unglaubliche 230 Raffinerien auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens. Zumeist waren es kleine Unternehmen, in denen sich eigene Erfindungen zur Optimierung der Herstellung schnell umsetzen ließen. Wie eben jene des Würfelzuckers in Dačice. Jakob Rad stattete die dortige Fabrik mit sechs Pressmaschinen aus und stellte täglich etwa 1100 Kilogramm gepressten Zuckers her. Für dessen Absatz musste einiger Aufwand betrieben werden, merkt Marie Kučerová an:
„Diese Erfindung war zwar bedeutsam, aber in den Anfangszeiten traf sie auf nicht allzu großes Interesse. Es musste dafür Reklame betrieben werden. So wurde der Würfelzucker zum Beispiel auf einer Messe in Wien präsentiert, um Absatzmärkte zu finden.“
Im Folgenden konnte das Patent nach Preußen, Sachsen, in die Schweiz und auch nach England verkauft werden. So kam der Würfelzucker zu einem weltweiten Publikum. Jakob Rad baute gemeinsam mit seiner Frau Juliane neben der Raffinerie in Dačice auch noch eine Süßwarenfabrik auf. Seinen Direktorenposten gab er jedoch 1846 auf, und die Familie kehrte zunächst nach Wien zurück.
Rads weiterer Lebenslauf nahm zahlreiche Stationen in der k.u.k. Monarchie. Das war in späteren Jahren vor allem auf seine leitende Mitarbeit im „Verein für Rübenzucker-Industrie im Kaiserthum Österreich“ zurückzuführen. Mit seiner Frau Juliane schien er eine glückliche Ehe zu führen. Das Paar hatte insgesamt 15 Kinder. Jakob Rad starb 1871 in Wien.
In Dačice werden schon lange keine Zuckerwürfel mehr hergestellt. Die Zuckerfabrik musste bereits 1852 schließen. In Tschechien gibt es heute aber immerhin noch drei Fabriken, die den berühmten Würfelzucker produzieren. Eine Marke trägt sogar den Namen der Frau, mit der seine Geschichte ihren Anfang nahm: „Würfelzucker Juliana“.