Geschichte der tschechischsprachigen BBC-Sendungen (Teil 1)
Über Jahrzehnte hinweg waren sie für die Bürger der unfreien Tschechoslowakei eine der wenigen unzensierten Informationsquellen - die tschechischsprachigen Sendungen der BBC. Ende vergangener Woche wurden sie größtenteils eingestellt, Radio Prag hat bereits mehrfach darüber berichtet. Im nun folgenden Medienspiegel wirft Silja Schultheis gemeinsam mit Petr Brod, dem langjährigen Leiter des Prager BBC-Studios, einen Blick zurück auf die bewegte Geschichte der tschechischsprachigen BBC-Sendungen.
Herr Brod, nach 66 Jahren haben am 23. Dezember die tschechischen Sendungen der BBC geendet - Ende einer historischen Ära, die ja auch in einem historischen Zeitpunkt begonnen hat: Am 8. September 1939 wurde die erste tschechische Sendung der BBC ausgestrahlt...
"Genau. Das hing mit dem Kriegsausbruch zusammen. Bei Kriegsausbruch hat man bei der BBC beschlossen, auch in die von Hitler bereits besetzten oder unmittelbar bedrohten Länder zu senden, vor allem in den Sprachen jener Länder, die Exilregierungen in London hatten. Und die tschechischen und slowakischen Sendungen zählten zu den ersten dieser Art und fingen nur wenige Tage nach Kriegsausbruch an. Nach dem Krieg hat man dann überlegt, ob man die Sendungen weiterführen soll. Man hat sie im Umfang reduziert, aber es gab keine Unterbrechung der Kontinuität und das zeigte sich als weise Voraussicht, denn nur drei Jahre nach Kriegsende, 1948, kamen die Kommunisten an die Macht und Großbritannien hatte natürlich allen Grund, weiter in tschechischer und slowakischer Sprache zu senden - besonders, nachdem die Zuhörer in der Tschechoslowakei den Zugang zu freien Informationen vollständig verloren hatten. Freie, unzensierte Informationen kamen jetzt aus dem Ausland, und zwar nicht nur über die BBC, sondern auch über die Stimme Amerikas und über Radio Freies Europa. In den 50er Jahren wurden alle diese Sender massiv gestört, so dass sie schwer zu hören waren. Im Falle der BBC hat man damit 1964 aufgehört."
Das Jahr 1964: die kommunistische Führung in der Tschechoslowakei begann die BBC als weniger gefährlich einzustufen - war das bereits ein Vorbote des Prager Frühlings?"Das war es bestimmt, denn etwa ab 1963 liefen verschiedene Reformversuche in der Tschechoslowakei, die sich nicht nur auf die Wirtschaft bezogen, sondern auch das politische System etwas angenehmer gestalten sollten und öffnen sollten gegenüber Nicht-Kommunisten. Man versuchte, den Einfluss der Zensur zurückzudrängen. Und es gab auch innerhalb der kommunistischen Partei, zum Beispiel unter Schriftstellern Bemühungen, die Zensur einzuschränken. Das kam besonders zum Ausdruck beim tschechoslowakischen Schriftstellerkongress im Sommer 1967, wo es einen regelrechten Aufstand der Schriftsteller gegen die Parteiherrschaft gab. Also der ganze Zeitraum 1963-68 kann als eine Art Tauwetter bezeichnet werden."
Wie sah es dann in der Zeit der so genannten Normalisierung in den 70er und 80er Jahren aus, die ja einen absoluten Rückfall in das stalinistische Regime bedeutete? Wie war in dieser Zeit die Situation für die BBC?
"Die Situation für die BBC war insofern günstig, als die Menschen wiederum nach Quellen freier Information und freier Meinung Ausschau hielten, denn etwa ab 1970 waren auch die Medien in der Tschechoslowakei total konform mit der neuen Parteilinie, die alles verdammte, was etwa mit dem Namen Alexander Dubceks zusammen hing, dem Namen des ersten Parteisekretärs während der Reformära von 1968/69. Alles, was mit liberalen Bestrebungen zu tun hatte, wurde verdammt und verteufelt. Es wurden auch sehr viele Journalisten geschasst im Rahmen der großen Säuberungswelle, die nach der sowjetischen Invasion kam, in den Jahren 1969/70. Die Presse und auch die anderen Medien wurden sehr langweilig, sehr grau und waren voller Propaganda für die neue Linie von Gustav Husak, der an die Stelle von Alexander Dubcek trat. Und in solch einer Situation suchten die Menschen natürlich nach Alternativen..."
Sie selber haben 1980 bei der BBC in London begonnen - wie war damals die Stimmung, was haben die BBC-Redakteure als ihren Auftrag empfunden? Es war ja die Zeit des Kalten Krieges, ein Ende war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Sicht...
"Also für mich war das nicht reiner Journalismus, der nur der Nachrichtenvermittlung dient, sondern ich fühlte mich in gewisser Hinsicht auch als jemand, der seinen Beitrag zur demokratischen Erneuerung in Osteuropa leistet. Ich fing an im Sommer 1980 und etwa einen Monat später begannen die großen Umwälzungen in Polen. Es gab den Streik in Danzig, der zur Entstehung der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung "Solidarität" führte - das war, das sahen wir schon, eine Art Revolution, die uns viel Auftrieb gab. Es war für uns besonders angenehm, unserem tschechoslowakischen Publikum Nachrichten über diese Ereignisse in Polen zu vermitteln. Denn das tschechoslowakische Regime hat sehr ängstlich auf diese Ereignisse in Polen geschaut und hat nicht nur versucht, den Informationsfluss zu unterbinden, sondern hat auch die Grenzen zu Polen geschlossen, so dass die Menschen nicht mehr frei hin- und herreisen konnten, wie es vorher der Fall war. Zum ersten Mal konnten wir in den 80er Jahren Kontakt zu Dissidenten aufnehmen, wir konnten mit ihnen sprechen, ihre Dokumente über die BBC-Wellen senden. Und wir wurden damit sozusagen direkt zu einem der innenpolitischen Akteure in der Tschechoslowakei."
Was waren eigentlich davor die Themen, über die Sie gesendet haben. Sie haben aus England auf Tschechisch gesendet, ohne direkten Kontakt in die Tschechoslowakei haben zu können - eine etwas kuriose Situation....
"Sie war natürlich etwas schwierig dadurch, dass wir selten BBC-Korrespondenten in der Tschechoslowakei hatten. Es fuhren ab und zu einige unserer britischen Kollegen mit einem Auftrag in die Tschechoslowakei und berichteten dann von dort. Aber das war relativ selten, denn von außen gesehen passierte in der Tschechoslowakei relativ wenig, das kommunistische Regime war bemüht, wenig passieren zu lassen. Die Großereignisse waren immer Jahrestage - der Jahrestag der kommunistischen Machtergreifung oder der Jahrestag der Befreiung des Landes von den Nationalsozialisten und so weiter. Aber auf der Oberfläche passierte wenig, was irgendwie attraktiv gewesen wäre vom westlichen journalistischen Standpunkt aus. Was wir sendeten, das war eine Sicht der gesamten Welt von der Warte Londons aus - insofern, als dass wir auch exotischen Ländern eine gewisse Aufmerksamkeit widmeten. Wir meinten, dadurch auch ein Informationsdefizit in der Tschechoslowakei auszugleichen."
Wie sah es eigentlich damals mit dem Empfang der BBC aus, war es möglich, diese Informationen auch ungestört zu empfangen?
"Das war zumindest ab Mitte der 60er Jahre möglich. Es gab, glaube ich, einen kurzen Rückfall in die Störungen in den 70er Jahren. Aber im großen und ganzen war der Empfang der BBC-Sendungen hier gut. Allerdings sendeten wir damals auf Kurz- und Mittelwelle."
Die Fortsetzung des Gesprächs, das die Geschichte der tschechischsprachigen BBC-Sendungen nach der politischen Wende von 1989 betrifft, können Sie im Medienspiegel von Radio Prag am 13. Januar hören.