1938: „Bitva o vlny“ – „Die Schlacht um den Äther“
Es gebe Momente, in denen der Rundfunk den Lauf der Geschichte ändere. Das schreibt David Vaughan im Vorwort seines Buches, das dieser Tage aus aktuellem Anlass erschienen ist. „Die Schlacht um den Äther“ lautet der Titel des Buches, in dem der in Prag lebende britische Journalist die Rolle mehrerer Radiosender in der Zeit der so genannten „Münchner Krise“ beleuchtet. Ihren Höhepunkt erreichte die Krise am 30. September 1938 mit der Unterzeichnung des Münchner Abkommens durch Adolf Hitler, Neville Chamberlain, Edouard Daladier und Benito Mussolini, die damit über das Schicksal der Tschechoslowakei entschieden hatten. Mit David Vaughan und sein Buch hat sich Jitka Mládková unterhalten.
„Das Thema hat mich schon immer interessiert. Vielleicht zum Teil auch, weil ich Engländer bin, in Prag wohne und meine Frau eine Deutsche ist. Diese drei Elemente waren eigentlich auch während der Münchner Krise relevant. Ich habe mich auch ein bisschen dafür geschämt, was die britische Regierung damals gemacht hat. Das war eigentlich eine zynische Politik von Herrn Chamberlain, dem damaligen Premierminister. In den vielen Jahren, in denen ich bei Radio Prag arbeitete, habe ich gesehen, wie viele Originalaufnahmen aus jener Zeit, von denen man zum Teil nur wenig wusste, sich im Tonarchiv des Tschechischen Rundfunks befinden.“
Angefangen haben Sie also in Prag, im Tonarchiv des Tschechischen Rundfunks. Wo haben Sie noch nach Originalaufnahmen gesucht?
„Almmählich begann ich auch in anderen Archiven zu forschen, zum Beispiel im Rundfunkarchiv in Wiesbaden, oder auch in Amerika. Damals war dort die so genannte goldene Zeit des amerikanischen Rundfunks. Die Stars des Rundfunks konnten damals eigentlich auch mit Hollywood-Stars konkurrieren. Die waren so beliebt!“
Wie lässt sich also die Rolle des Rundfunks damals kurz definieren?
„Es war eigentlich überhaupt das erste Mal in der Geschichte, dass der Rundfunk eine Schlüsselrolle gespielt hat. In diesem Sinne könnte man also sagen, dass der Rundfunk Einfluss auf das Ergebnis der damaligen Krise sowie die Entwicklung der Geschichte hatte.“
Wann und wo begann das Radio eigentlich die Rolle eines Massenmediums zu spielen?
„Alles hat sich natürlich nach Januar 1933 schlagartig verändert. Der deutsche Propagandaminister Joseph Goebbels begann sehr systematisch die öffentliche Meinung im tschechoslowakischen Sudetenland zu beeinflussen. Er hat sofort den Markt für den so genannten Volksempfänger geöffnet. Er war sich dessen bewusst, dass es möglich wäre, die Sudentendeutschen, die eine Zeitlang nicht wussten, wo sie eigentlich hingehören und was sie wollen. Sie waren ja auch mit den Verhältnissen in der damaligen Tschechoslowakei nicht ganz zufrieden.“Der Weltempfänger beziehungsweise die durch ihn vermittelten Sendungen kamen dann direkt in ihre Wohnzimmer.
„Genau. Ein Beispiel: Zur Zeit der tschechoslowakischen Parlamentswahlen 1935 hat der deutsche Rundfunk unverhohlen versucht, ihre Ergebnisse zu beeinflussen. Mit Erfolg. Damals hat die Sudetendeutsche Partei (SdP) von Konrad Henlein eine große Mehrheit für sich verbucht.“
Wie hat sich damals in dieser Situation der Tschechoslowakische Rundfunk verhalten?
„Der tschechoslowakische Rundfunk, er hieß Radiojournal, hat damals fast gar nicht auf Deutsch gesendet! Nur sieben Prozent aller Sendungen, dabei hatte etwa ein Viertel der Bürger Deutsch als Muttersprache. Das war natürlich ein Riesenfehler. Die Hauptinformationsquelle war für die Sudetendeutschen also Nazideutschland.“
Hat man die Gefahr nicht wahrgenommen?
„Man hat die Gefahr schon gesehen. Es gab Politiker, die diese Gefahr sehr früh erkannt haben, wie zum Beispiel Staatspräsident Masaryk oder auch Außenminister Beneš. In anderen Parteien, wie den nationalistischen, gab es eine starke Neigung dazu, alles, was deutsch war, abzulehnen. Das war natürlich auch ein Riesenfehler. Es wurde um jeden Schritt gekämpft, etwa nach dem Motto: Gut, wir werden deutsch senden, aber wie, und wer wird da arbeiten, wer wird das kontrollieren. Daher wurde immer mehr debattiert und nur wenig dafür getan. Das Prager Radiojournal hatte erst im Mai 1938 einen deutschen Sender eingesetzt. Er hieß Prag Zwei. Er sendete nicht den ganzen Tag, sondern nur drei bis vier Stunden vormittags, ein Programm gab es noch nachmittags und abends. Das war aber schon viel zu spät. Damals war die Hetzkampagne der Sudetendeutschen Partei so heftig, so dass dieses deutsche Programm boykotiert wurde. Zum Beispiel hat damals wie heute auch die Musik große Rolle im Radio gespielt. Viele sudetendeutsche Kapellen oder Ensembles haben es abgelehnt, im Prager Rundfunk zu spielen. Sie wollten einfach mit Prag nichts zu tun haben. Daher war es schwierig, das Programm zu gestalten. Aber das war auch der Fehler der Tschechen, weil sie es hätten früher machen sollen. Zu dem Zeitpunkt war schon der Einfluss von Nazideutschland im Sudetenland durch die Sudetendeutsche Partei sehr groß. Viele Sudetendeutsche glaubten schon, was sie von der Propaganda zu hören bekamen. Das Vertrauen zu der Staatsführung war nicht mehr vorhanden.“
Ich nehme an, Sie als Briten hat es bestimmt besonders interessiert, wie die sich zuspitzende politische Krise in Europa in Großbritannien im Rundfunk reflektiert wurde.„Ich glaube, in Großbritannien war es für mich am interessantesten. Die dortige Entwicklung war durchaus überraschend. Die BBC hat heute eine gute Reputation als öffentlich-rechtlicher Sender, der unabhängig von politischen Einflüssen funktioniert. Damals war es aber anders. Neville Chamberlain war einer der ersten Politiker, wahrscheinlich weltweit, die sich dessen bewusst waren, wie sie die öffentliche Meinung durch den Rundfunk beeinflussen können. Er hat sehr systematisch versucht, das, was die BBC gesendet hat, zu beeinflussen.“
Wie hat es also in der BBC funktioniert?
„Bei der BBC war es so, dass jede Sendung, die sich mit dem Thema des Geschehens um die Tschechoslowakei befasste, musste direkt vom Außenministerium genehmigt werden. Das hatte zur Folge, dass über die Tschechoslowakei fast gar nicht berichtet wurde. Keine Analysen, keine Kommentare, es gab nur Informationen, was sich gerade in dem Land irgendwo mitten in Europa ereignete. Ohne Kontext hat so etwas natürliche keine Bedeutung. Die Bewohner Großbritanniens konnten sich nicht entscheiden, weil sie nicht richtig wussten, was los war. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommen war Chamberlain sozusagen „Held des Tages“. Dieses Bild des Premiers hat die BBC wieder heftig unterstützt. Viele Leute haben keine Zweifel im gegenüber gehegt.“
Ja, wenn sie keine andere Möglichkeit hatten. Chamberlain galt doch als Friedensstifter.„Es war sehr kontraproduktiv, denn auch in Nazideutschland waren nicht alle damit einverstanden, auch nicht alle Politiker um Hitler, dass Deutschland wegen der Tschechoslowakei in den Krieg geht. Hitler hat sich aber immer mehr bestärkt gefühlt, weil er eine eindeutige Unterstützung aus Großbritannien bekommen hat.“
War das auch das erste Mal, dass der Rundfunk so eine massive globale Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung gespielt hat?
„Ich denke schon, dass die Globalisierung gerade kurz vor der Münchner Krise angefangen hat, nämlich bereits mit dem Anschluss Österreichs im März desselben Jahres. Zum Teil auch mit dem Bürgerkrieg in Spanien 1936. Auf „München“ bezogen war es aber das erste Mal, als der Rundfunk eine Schlüsselrolle gespielt und die Entwicklung weltweit beeinflusst hat. Der Rundfunk hat natürlich auch die Meinung der Politiker selbst beeinflusst, weil sie sich immer mehr der Schwankungen der öffentlichen Meinung bewusst werden mussten. Ich möchte aber noch etwas erwähnen, was nicht allgemein bekannt ist. Ich habe versucht, auch den sudetendeutschen Demokraten in meinem Buch Platz zu geben. Damals habe sie auch eine Rolle gespielt. Es war der verzweifelte Versuch von Politikern, wie zum Beispiel Wenzel Jaksch von den sudetendeutschen Sozialdemokraten, oder dem Priester Emmanuel Reichenberger und anderen, die mittels des Rundfunks versucht haben, ihre sudentendeutschen Mitbürger zu beruhigen und zu sagen: Es gibt einen dritten Weg, man kann einen Kompromiss finden. Das sagen, dass auch der tschechoslowakische Rundfunk diesen Menschen ermöglichte, ihre Meinung zu sagen. Sie konnten auch kritisch der tschechoslowakischen Regierung gegenüber sein. Das hat mich ziemlich überrascht.“
Das ist aber leider nach dem Zweiten Weltkrieg sehr bald in Vergessenheit geraten. Ich danke Ihnen für das Gespräch.