Geschichte grenzüberschreitend: Forscher untersuchen sächsisch-böhmischen Sakralraum 973-1407
Mehrere Monate lang haben sich Kunsthistoriker und Historiker grenzüberschreitend mit der Kirchen- und Kunstgeschichte im Mittelalter beschäftigt. In dem Projekt geht es, wie es heißt, um die „Entstehung und Entwicklung des sächsisch-böhmischen christlichen Sakralraums“. Dabei kooperieren das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig und die tschechische Akademie der Wissenschaften in Prag miteinander. Finanziert wurde das Projekt vom sächsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus. Der Kunsthistoriker Markus Hörsch hat an dem Vorhaben mitgearbeitet. Vergangene Woche präsentierte der Experte bei einem Vortrag in der gemeinsamen Außenstelle des Collegium Carolinum und des Deutschen Historischen Instituts Warschau in Prag schlaglichtartig die Ergebnisse. Radio Prag International bat ihn anschließend vors Mikrophon.
Herr Hörsch, Sie haben über ein Online-Projekt zur Kirchen- und Kunstgeschichte in den beiden benachbarten Regionen Böhmen und Sachsen referiert. Was ist dabei geplant?
„Das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa hat immer die Zielsetzung, reale wissenschaftliche Forschung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit durch Ausstellungen zu vermitteln. Und in diesem Fall wählen wir die Form einer digitalen Ausstellung, was aber ein etwas problematischer Begriff ist. Man kann es vielleicht auch als eine Art Blog oder Online-Präsentation bezeichnen, zumal das Ganze noch gar nicht fertig ist und wir nicht wissen, wie und wann es ins Netz gestellt werden soll. Für dieses Unterfangen hat der Landtag des Freistaates Sachsen eine gewisse Summe als Anlaufprojekt zur Verfügung gestellt. Das Projekt lief jetzt siebeneinhalb Monate lang. In dieser Zeit sollten wir die Basisarbeit leisten. Dabei ging es zum Beispiel darum, archäologische, historische und kunsthistorische Ergebnisse zusammenfassen und bestimmte Schwerpunkte zu entwickeln, die man dann in einer digitalen Form darstellen kann.“
Der Forschungszeitraum ist mit den beiden Jahreszahlen 973 und 1407 eingegrenzt. Warum diese Daten?
„973 wurde das Prager Bistum gegründet, und im vergangenen Jahr fand bereits eine große Tagung dazu statt. Deshalb haben wir dieses Datum als Kristallisationspunkt genommen für die Verfestigung einer christlichen Mission in Form der dann entstehenden katholischen Kirche. Daran schließt sich an, die Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg zu verfolgen. Dass wir um 1400 enden, hängt mit dem böhmischen Reformer Jan Hus zusammen – mit ihm brach eine neue Zeit an. Denn Hus stellte aufgrund einer neuen Theologie bestimmte grundsätzliche Dinge in Frage, die damals als etabliert galten.“
„Im Zentrum der Untersuchung stehen die beiden Bistümer Prag und Meißen.“
Gibt es denn personelle Verbindungen zwischen Sachsen und Böhmen, diesen beiden direkt nebeneinander liegenden Teilen Mitteleuropas?
„Das ist auch eine wichtige Frage, die wir uns gestellt haben. Aber man muss sagen, dass die direkten personellen Verbindungen nicht sonderlich intensiv waren. Im Zentrum dieser Untersuchung stehen ja die beiden Bistümer Prag und Meißen, weil es um die geistliche Herrschaft respektive die kirchliche Organisation mit den Bischöfen an der Spitze geht. Die Bischöfe gehörten jedoch keinem durchgängigen Adelsgeschlecht an wie zum Beispiel den Wettinern auf der sächsischen und den Přemysliden auf der böhmischen Seite. Die Bischöfe wurden jeweils neu gewählt, meist waren es Adlige, aber gerade im Spätmittelalter mitunter auch Nicht-Adlige. Daher gab es keine personelle Kontinuität. Hinzu kommt die Zugehörigkeit nicht nur zu unterschiedlichen Herrschaftsgebieten, sondern auch zu verschiedenen Kirchenprovinzen. Nur ganz allgemein: Bis heute gibt es in der katholischen Kirche noch Erzbistümer, zu denen mehrere sogenannte Suffraganbistümer gehören. Das heißt, eine übergeordnete Instanz hat mehrere untergeordnete Bistümer – und das nennt man eine Kirchenprovinz. Die Kirchenprovinz, zu der Meißen gehörte, ist Magdeburg, 968 gegründet. Prag gehörte wiederum zur Kirchenprovinz Mainz, also zu einer ganz anderen kirchlichen Organisation, sodass auch von dieser Seite her die Gemeinsamkeiten nicht allzu groß waren.“
Gibt es dann überhaupt die Möglichkeit, Vergleiche zu ziehen, wenn man keine direkten Verbindungen hat?
„Genau das war unser Ansatz: nämlich vier mitteleuropäische Diözesen miteinander zu vergleichen. Das sind zunächst einmal Meißen und Prag als direkt benachbarte Diözesen. Dazu kommen die andere Nachbardiözese in Breslau beziehungsweise Wrocław, die etwas später entstanden ist, sowie Olmütz oder Olomouc, das eine ältere Tradition in einem mährischen Bistum hat, sich aber erst später festigen konnte. Wir wollen untersuchen, wie sich die jeweiligen Bischöfe angesiedelt haben. Sie standen immer in sehr engem Kontakt mit den Fürsten vor Ort. Gerade im 10. und 11. Jahrhundert handelte es sich um kleinere Fürstentümer, die sich dann festigen konnten und in Form der Bistümer geistliche Unterstützung erhielten. Die Bistümer waren als Orte der Bildung, der schriftlichen Organisation und der Sakralität sehr erwünscht. Die Bistümer wurden immer in engem Kontakt mit der weltlichen Herrschaft angesiedelt. Diese Strukturgemeinsamkeit wollen wir gerne herausarbeiten.“
„Vor allem Bischof Bernhard von Kamenz ist gut dokumentiert.“
Sie haben in Ihrem Vortrag eine bestimmte Person erwähnt: Bischof Bernhard von Kamenz. Was hat es mit ihm auf sich?
„Das ist ein schönes Beispiel, bei dem wir uns schon in einer späteren Zeit befinden – konkret im 13. Jahrhundert, also 200 Jahre nach der Gründung der Bistümer. Wir machen aber auch absichtlich einen Sprung, weil man die Entwicklung nicht durchgängig darstellen kann. Es waren ja sehr viele Bischöfe im Amt, und über viele von ihnen wissen wir nicht gerade viel. Anders ist dies bei Bernhard von Kamenz, weil er gut dokumentiert ist. Er hat sehr schnell hohe Ämter angenommen. Zunächst war er am Hofe des schlesischen Herzogs in Breslau und später sogar auch an dem des böhmischen Königs Wenzels II. in Prag. Als Geistlicher hat er also eine weltliche Karriere gemacht. Ganz zum Schluss seines Werdegangs kam er auf den Meißener Bischofsthron, allerdings nur für drei Jahre. Bernhard von Kamenz war deshalb eine höchst interessante Persönlichkeit, weil er aus einer relativ kleinen Adelsfamilie in der Lausitz stammte. Daran sieht man, wie es in dieser Zeit – dem 13. Jahrhundert – für nicht ganz hochadlige Herrschaften durchaus möglich war, Karriere zu machen. Und zwar indem sie zum einen geistlich wurden und zum anderen an den Höfen – wenn man die richtigen Beziehungen hatte und auch die entsprechenden Fähigkeiten – wichtige Ämter einnahmen. Bernhard von Kamenz reiste sogar im Auftrag von Wenzel II. zur Königswahl ins Heilige Römische Reich, denn der böhmische König war einer der Kurfürsten des Reiches. Insofern war er also eine wichtige Persönlichkeit, und er hat sich verewigt, indem er ein großes Kloster gestiftet hat. Es ist das Zisterzienserkloster Sankt Marienstern in der Lausitz, das bis heute besteht. Auch das ist ja ein eher selteneres Phänomen, dass eine solche geistliche Institution über 700 Jahre durchgängig existiert.“
Gibt es denn bestimmte Parallelen, bei denen Sie denken, dass sie wichtig wären zu verfolgen, wenn das Projekt weitergeführt wird?
„Da muss man natürlich sagen: Ja, selbstverständlich gibt es viele Parallelen. Gerade im kulturellen Austausch bestehen durchaus Beispiele, die man nennen kann. Diese Dinge muss man aber immer am Objekt zeigen. Auch hier beim Interview können wir das nur schlecht machen. Diese Objekte ließen sich jedoch in einem Buch oder im Internet schön präsentieren. Unser Ziel ist also, Kunstwerke oder andere kulturelle Objekte – etwa einen archäologischen Fund – darzustellen und zu behandeln. Aber natürlich wird niemals eine sogenannte analoge Ausstellung überflüssig sein. Man kann also nicht davon ausgehen, dass man ein Kunstwerk – etwa ein Werk der Töpferkunst – wirklich adäquat im Internet darstellen kann. Dies ist eher ein Appetithappen. Man muss dann irgendwann auch das Original anschauen können, weil dieses eine andere Informationsdichte, eine andere Ausstrahlung hat, die man im Internet nicht so gut schaffen kann. Wir brauchen auch heute weiter Museen und Ausstellungen. Das heißt, die Dinge müssen miteinander verbunden werden. Wenn wir eine digitale Ausstellung erstellen, machen wir hoffentlich den Menschen auch Lust darauf, demnächst in eine Ausstellung zu gehen, wenn es sie mal wieder geben sollte. Und in dieser Hinsicht planen wir natürlich etwas – nämlich zum Beispiel eine Ausstellung des Prager Domschatzes in Dresden, die hoffentlich im Herbst dieses Jahres stattfinden wird.“