Gespräch mit Tomas Halik

Tomas Halik

Verehrte Damen und Herren, in der Tschechischen Republik wird heute der Nationalfeiertag der Slawenapostel Kyrill und Methodius begangen. Da wir über die zwei Heiligen, die vor über 1100 nach Großmähren gekommen waren, bereits mehrmals eine Sondersendung ausgestrahlt haben, bringen wir Ihnen heute zwar wieder eine Sondersendung, die allerdings anderen Themen gewidmet ist. In ihrem ersten Teil hören sie ein Gespräch mit dem Priester, Soziologen und Präsidenten der Tschechischen Christlichen Akademie, Tomas Halik. Das Gespräch mit Tomas Halik hat Dagmar Keberlova aufbereitet, mit ihr im Studio ist Lothar Martin.

Tschechien wird oft als das Land mit den meisten Atheisten in Europa bezeichnet. Einleitend haben wir daher Tomas Halik gebeten, über das kirchliche Leben in Tschechien zu sprechen:

"Das ist eine sehr komplizierte Frage, da sich hierzu mehrere Gesichtspunkte anbieten. Der häufigste ist der statistische, aber an diesem lässt sich der Glaube der Leute nicht festmachen. Bei einer Volkszählung zeigt sich nur, wie viele Menschen bereit sind, ihre Angehörigkeit zu einer Kirche kund zu tun. Bei der letzten Volkszählung bekannte sich fast die Hälfte aller Tschechen zu keiner Kirche, was ja noch lange nicht heißt, dass sie Atheisten sind."

Von denen, die sich zu einer Kirche bekennen, gehören fast 90 Prozent der katholischen Kirche an. An zweiter Stelle liegen die Protestanten, dann folgen kleinere Kirchen und neue Kirchengemeinschaften. Es gebe, so Tomas Halik, drei Gebiete in Tschechien, wo eine unterschiedlich starke Religiosität zu verzeichnen ist. Das erste Gebiet sind die Grenzregionen. Dort herrsche eine Art "Kirchenwüste", da die Kirchen fast leer sind. Zum zweiten gebe es traditionelle Inseln der Religiosität wie in Mähren oder in gewissen Teilen Ostböhmens. Der dritte Teil sind diejenigen, die erst als Erwachsene ihren Glauben gefunden haben. Diese seien für ihn sehr interessant, sagte Priester Halik. Oft handle es sich dabei um Menschen mit Hochschulbildung. Die im Herzen Prags liegende Salvator-Kirche, wo Halik Messen zelebriert, ist ein Zentrum für die pastorale Arbeit mit Hochschulabsolventen. Und hierher kommen immer mehr Menschen:

"Ich taufe hier jedes Jahr an die 40 Menschen und noch mehr von solchen Leuten, die de facto schon getauft, zu ihrem Glauben aber erst als Erwachsene gelangt sind. Es ist auch ein Ort, an dem wir ökumenische Gottesdienste abhalten und uns mit Christen anderer Kirchen treffen. Wir haben hier sogar Gespräche mit Buddhisten und Muslimen geführt. Es ist ein wirklich lebendiges Zentrum. Ich versuche auch mit suchenden Menschen zu sprechen, weil ich glaube, dass es von den hartnäckigen Atheisten bei uns nur sehr wenige gibt."

Es gebe viele Tschechen, die über den Glauben nicht allzu viel wissen und bei denen der Aberglaube aus der Zeit des Kommunismus überlebt hat. Sie lassen sich eher von medialen Skandalen beeinflussen, aber was es heißt, zu glauben, wissen sie nicht. Dann wiederum gebe es viele Menschen, die sehr offen sind, mit denen die Kirche jedoch nicht einen guten Dialog anknüpfen kann, sagte Halik. Die Kirche wisse nicht, wie sie sie anzusprechen und deren Sprache zu sprechen habe. Er versuche, so Halik, sich mit seinen Kollegen auf diese Menschen zu konzentrieren. Vor einigen Monaten habe er ein Buch mit den Predigten aus der Salvator-Kirche herausgegeben. Dieses Buch war das meistverkaufte Buch, das in seiner Gunst sogar die Kochbücher überflügelt hat, fügt Tomas Halik lachend hinzu. Er verstehe das als Anzeichen dafür, dass es mit dem tschechischen Atheismus nicht so weit her ist.

Europa hat vor kurzem die größte Vereinigung in der Geschichte des Kontinents vollzogen. Sieht Tomas Halik daher auch die Möglichkeit einer geistlichen Vereinigung?

"Ich glaube, dass dies eine große Aufgabe ist. Wenn sich das gemeinsame Haus Europa nur auf der Wirtschaft und der gemeinsamen Administrative gründen sollte, dann wäre das ein kaltes Haus. Man muss ein gemeinsames Bewusstsein und Gewissen bilden. Und das geht nicht ohne eine Neuentdeckung der christlichen Tradition Europas. Dafür ist ein Dialog zwischen dem Westen und dem Osten sehr wichtig. Wir haben erwartet, dass gerade der Papst, der Slawe ist und der für die für Ostchristen wichtigen Werte Verständnis zeigt, eine Brücke zwischen den Römischen Katholiken und den Christen der Osttradition darstellen könnte. Manchmal sind wir ein wenig enttäuscht, dass wir auf der anderen Seite nicht so viel Verständnis für diesen Dialog fühlen, der keinesfalls ein Tauziehen um den territorialen Einfluss sein soll."

Bei der Suche nach einem Dialog hat sich mit Tomas Spidlik ein tschechischer Geistlicher sehr hervorgetan. Spidlik lebt seit vielen Jahren in Rom und wurde dort vor kurzer Zeit zum Kardinal ernannt. Mehr zu seiner Person von Tomas Halik:

"Ostchristen und Orthodoxe schätzen einen sehr bedeutenden Mann, der in Rom lebt und arbeitet und der Tscheche ist: Vater Tomas Spidlik, der vor kurzem zum Kardinal ernannt wurde. Sein das ganze Leben über währendes Interesse ist, die Tiefe der östlichen christlichen Spiritualität zu entdecken. Er hat diesbezüglich eine Reihe von Büchern geschrieben und dem Papst sogar spirituelle Übungen vermittelt. Seine Bücher werden von bedeutenden Persönlichkeiten, ja sogar vom italienischen und vom französischen Präsidenten gelesen."

Tomas Halik
Spidlik unterstreiche, dass man zwischen den verschiedenen Kirchen eine gewisse Kompatibilität suchen muss und nicht ständig Feindschaft und Misstrauen nähren darf. Der Verstand des Westens und das Herz des Ostens müssen im Einklang sein und zusammenarbeiten. Erst aus ihrem Dialog kann etwas Gesundes erwachsen, sagte Tomas Halik über den tschechischen Kardinal aus Rom, Tomas Spidlik. Schließen wir den Beitrag mit einem weniger geistlichen Thema ab, und zwar mit dem Demokratieverständnis und der daraus resultierenden politischen Reife der Tschechen. Als letzte Frage wollten wir von Tomas Halik wissen, wie er den Ausgang der Wahlen für das Europäische Parlament bewerte:

"Ja, es hat mich sehr enttäuscht, aber nicht sonderlich überrascht. Ich habe erwartet, dass in den postkommunistischen Ländern noch kein genügend großes Bewusstsein darüber vorhanden ist, wie äußerst wichtig die Europäische Union ist. Noch dazu gibt es mehrere Politiker, die die Europäische Union ständig kritisieren. Daher gehen viele Menschen dann nicht zu den Wahlen, oder es werden Menschen mit einer ziemlich problematischen Vergangenheit gewählt. Der relative Erfolg der Kommunisten bzw. derjenigen, von denen ich nicht glaube, dass sie unser Land wirklich gut repräsentieren können, stimmen mich traurig. Ich würde dort gern andere Menschen sehen, aber man kann nichts machen. Es sind demokratische Wahlen und wir müssen die Situation so akzeptieren, wie sie ist. Ich hoffe, dass sich im Laufe der Jahre das Verständnis für die Europäische Union vertiefen wird und dass die Menschen verstehen werden: Die EU gibt uns eine große Chance, eine Gelegenheit, bei der auch unsere Stimme und unsere historische Erfahrung gehört werden."