Gewalt auch an tschechischen Schulen? Reaktionen auf den Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium
Nach dem grausamen Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vom vergangenen Freitag machte man sich auch hierzulande über die Ursachen dieser Tat Gedanken, wurden Psychiater und Jugendpsychologen auf den Plan gerufen und nach ihren Meinungen befragt. Wie reagierte man unmittelbar in den Schulen auf dieses Ereignis? Silja Schultheis hat sich für Sie ein wenig umgehört.
Milos Macek, Direktor des Prager Gymnasiums Na Prazacce, macht sich - bevor er über Gewalt an tschechischen Schulen sprechen möchte -, zunächst einmal Luft:
"Das, was in Erfurt passiert ist, ist wirklich schrecklich. Als ich das gehört und mir vorgestellt habe, dass sich etwas Ähnliches bei uns ereignet, ist mir der Schweiß heruntergelaufen."
Eine konkrete Bedrohung für seine Schule spürt Macek jedoch auch nach der Tragödie von Erfurt nicht:
"Ich bin überzeugt, dass bei uns nichts dergleichen droht. Natürlich kann man die Zukunft nie voraussehen, aber im jetzigen Moment bin ich überzeugt, dass so etwas an unserem Gymnasium nicht passieren könnte."
Andrea Hielscher, Deutschlehrerin am Gymnasium Cheb/Eger und sowohl mit dem Schulsystem ihrer bayerischen Heimat als auch mit der tschechischen Praxis vertraut, schätzt das Gewaltpotential an hiesigen Schulen generell wesentlich niedriger ein als in Deutschland:
"Da gibt es einen ganz großen Unterschied. Und zwar halte ich die Kinder hier für besser betreut als in Deutschland. Obwohl auch die Mütter hier arbeiten, haben die Kinder noch einen viel besseren Halt in der Familie, als es bei uns der Fall ist. Und sie beschäftigen sich auch nachmittags weniger mit Gewalt-Videos oder mit Spielen, in denen Gewalt verherrlicht wird. Sie gehen viel häufiger mit ihren Freunden weg, sie haben auch ganz andere Themen, über die sie sich unterhalten, als es in Deutschland der Fall ist."
Hat sie am Gymnasium Cheb bislang noch keinerlei Erfahrungen mit Gewalt gemacht?
"Eine kleine Sache hat es gegeben. Und zwar gab es hier einen Tschechisch-Lehrer, der bei manchen Schülern nicht besonders beliebt war. Und da gab es ein paar Wand-Schmierereien in den Ferien. So weit ich weiß, war das aber alles. Die Kinder haben viel mehr Respekt vor den Lehrern. Die akzeptieren den Lehrer, manchmal etwas unwillig, als Autorität. Und wenn der Lehrer etwas bestimmt, dann wird das von ihnen auch als Autorität anerkannt."
Ob sich diese Werte auch nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik aufrechterhalten lassen oder ob es hier zu einem allmählichen Wandel kommen wird? Andrea Hielscher schließt letzteres nicht aus:
"Ich glaube, dass diese Leistungsgesellschaft, die ja emotional ziemlich kalt ist, sich bis in die Schulen niederschlägt. Dass nur noch gilt, wer Geld, Einfluss und Macht hat. Und Einfluss und Macht kann man sich eben auch, wie man es im Fernsehen sieht, mit Waffengewalt oder mit körperlicher Kraft erkaufen. Und ich glaube, dass auch hier das Gewaltpotential wächst, wenn sich die gesellschaftlichen Werte mehr den kapitalistischen anpassen."