Glashütte in Světlá produziert wieder – Špidla: Krise ist Resultat der Überproduktion

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Das Jahr 2009 ist zwar noch nicht zu Ende, aber eigentlich stand schon vor seinem Beginn fest: Es wird als ein Krisenjahr in die Geschichte eingehen. Als Jahr eins nach dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise, die seit Herbst vergangenen Jahres alle Volkswirtschaften mehr oder minder kräftig durchgeschüttelt hat. Auch die tschechische Ökonomie war und ist davon betroffen.

Ein Wirtschaftszweig, in dem die Krise besonders spürbar wurde, war die Glasindustrie. Bereits im September 2008 mussten die Glashütten in Světlá nad Sázavou und Poděbrady die Produktion komplett einstellen und Insolvenz anmelden. Im Januar dieses Jahres kam auch noch die renommierte Glasfabrik in Nový Bor / Haida hinzu. Rund 4000 Leute hatten dadurch ihren Arbeitsplatz verloren.

Ein hartes Brot für alle Glasmacher und ihre Familien. Sie mussten fortan von ihren Ersparnissen und dem dürftigen Arbeitslosengeld leben. Erst im Sommer konnten sie einen finanziellen Ersatz in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern beim Staat beantragen. Dies ermöglichte das neue Insolvenzgesetz. In Světlá nad Sázavou aber ist die Wende zum Besseren bereits erfolgt. Nahezu exakt ein Jahr nach dem Bankrott des alten Unternehmens ist Anfang Oktober ein Teil der Produktion wieder angelaufen. Dazu sagte der Direktor der neuen Firma Crystalite Bohemia, Martin Faitl:

„Mit dem neuen Besitzer kamen wir überein, dass wir den Neustart mit einem Schmelzofen und drei automatischen Fertigungslinien vollziehen. Wir produzieren seitdem wieder maschinell geformte und geblasene Trinkgläser, Pressglas, kleinere Geschenkartikel sowie größere Vasen und Schüsseln für den Inlandbedarf.“

Das erste Produkt, das die Fabrikhallen der neuen Firma in Světlá nad Sázavou verlassen hat, war die Kollektion Klara. Es ist für Kunden in den USA, in Portugal und im Inland bestimmt. Die für den Neubeginn sehr wichtige Auftragslage beruht aber nicht nur auf dieser Kollektion allein, betont Faitl:

„Uns liegen mehrere Aufträge vor. Sie sind längerfristig, und zwar je nach Art der technologischen Fertigung der Produkte für drei Monate bis zu einem Jahr im Voraus.“

Die Wiederaufnahme der Glasherstellung im westmährischen Světlá nad Sázavou wurde erst möglich, nachdem sich ein neuer Investor fand. Im Juni hat Unternehmer Lubor Červa die Glashütte für umgerechnet 6,1 Millionen Euro gekauft. In der Kleinstadt hatte man ungeduldig auf diesen Tag gewartet. Nach der Stilllegung des Werkes war die Arbeitslosigkeit in der Region auf bis zu 20 Prozent gestiegen. Noch im August dieses Jahres entfielen auf einen freien Arbeitsplatz nicht weniger als 116 Bewerber. Mit dem erneuten Anfeuern des ersten Schmelzofens kehrten zunächst 174 Glasmacher an ihren Arbeitsplatz zurück. Der Kontakt zu ihnen war nie abgerissen, bestätigt Faitl:

„Die Arbeitnehmer haben wir in erster Linie nach ihren professionellen Fähigkeiten ausgewählt. Wir wussten genau, wen wir dafür anzusprechen hatten. Ich habe drei Personen für die Schlüsselpositionen ausgesucht, die ihrerseits dann weitere Arbeitnehmer angesprochen haben. Die Mehrzahl dieser Arbeitnehmer war inzwischen bei anderen Firmen beschäftigt. Auf unser Angebot aber haben sie durchweg positiv reagiert. Sie reichten bei ihren Arbeitgebern die Kündigung ein und kehrten zu uns in die Glashütte zurück.“

Einer derjenigen, die an ihre alte Wirkungsstätte zurückgekehrt sind, ist Glasmacher Petr Svoboda. Er konnte sein Glück zunächst kaum fassen:

„Ich habe natürlich Glück gehabt. Hier herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit und für den Neubeginn wurden wirklich nur sehr wenige Leute ausgewählt.“

Es waren exakt 174 Beschäftigte, die die Glasproduktion in Světlá nad Sázavou Anfang Oktober wieder ins Leben gerufen haben. Das ist rund ein Siebtel der 1200 Arbeitnehmer, die vor dem Zusammenbruch der alten Firma im vergangenen Jahr hier beschäftigt waren. Man rechnet aber damit, dass bis zum Jahresende insgesamt schon wieder 300 Leute in der Fabrik arbeiten werden. Das ermögliche die hohe Nachfrage bei einigen Produkten, erklärt Faitl:

„Das Interesse ist so groß, dass wir beabsichtigen, bis zu Jahresende einen zweiten Schmelzofen in Betrieb zu nehmen. Es wird ein kleineres Aggregat mit einer Kapazität von 20 Tonnen sein.“

Das eben geschilderte Beispiel aus der Glasindustrie zeigt auf, wie auch in Tschechien einzelne Unternehmen nach und nach einen Ausweg aus der Krise finden. Dennoch warnen Analytiker und Wirtschaftsexperten davor, schon von einem neuen Aufschwung zu sprechen. Die Indikatoren, die das verheißen, seien noch zu gering, wird betont. Auf der anderen Seite machen sich immer mehr Persönlichkeiten Gedanken darüber, wie es zu dieser Krise überhaupt konnte. Zu diesen Persönlichkeiten gehört auch der noch amtierende tschechische Eurokommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, Vladimír Špidla. Vor seiner Tätigkeit in Brüssel war Špidla mehrere Jahre sowohl Arbeitsminister als auch Premier in Tschechien. Gerade im Bereich Arbeitsmarktpolitik hat er sich auch in Europa schon einen Namen gemacht. Deshalb war das Interesse groß, als er unlängst an der Tschechischen Akademie der Wissenschaft in Prag einen Vortrag hielt. Dabei sagte er unter anderem:

„Meiner Meinung nach handelt es sich um keine Finanzkrise, denn die Krise in der Finanzwelt war nur ein Symptom. Ich würde vielmehr prinzipiell davon sprechen, dass die Krise auf die Überproduktion zurückzuführen ist.“

Der globale Markt sei bereits gesättigt gewesen, bevor sich erste Blasen gebildet hätten. Dieser Entwicklung habe man jedoch nicht wirksam entgegengesteuert, und so seien diese Blasen schließlich geplatzt, ergänzte Špidla. Zudem habe man es bisher noch nicht verstanden, die Veränderungen richtig einzuschätzen, die seit der Einführung des Internets entstanden sind. Eine ganze Reihe von Finanzprodukten sei inzwischen so kompliziert geworden, dass man sie ohne eine rationelle Analyse gar nicht mehr nachprüfen könne. Für eine solche Analyse aber fehlt oft die Zeit, so Špidla. Deshalb halte er nicht soviel davon, wenn Politiker jetzt dafür sorgen wollen, dass die Märkte global reguliert werden.

„Eine globale Regulierung ist wohl einzig und allein dann möglich, wenn der menschliche Faktor ausgeschaltet wird und anstelle dessen die Computer über die Finanzmärkte entscheiden.“

Eine Science fiction, die Špidla da gesponnen hat? Nein, glaubt Špidla und bemüht das Beispiel eines Flugzeug-Piloten. Der sei inzwischen fast überflüssig geworden, weil ihn der Bordcomputer der Maschine und die internationale Flugüberwachung heute bereits wie auf Schienen führen. Nichtsdestotrotz erklärte Špidla nicht ohne Stolz, dass es gerade die Europäische Kommission war und ist, die die Diskussion zur Regulierung der weltweiten Finanzmärkte überhaupt erst angestoßen hat:

„Von allen Organisationen und Strukturen in der Welt hat einzig die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine übernationale und legislative Regulierung auf den Tisch gelegt. Natürlich muss und sollte es zu diesem Vorschlag noch unzählige ernsthafte Debatten geben, denn der Vorschlag ist noch nicht vollkommen. Das ist unstrittig. Aber es ist die erste Grundlage dafür, dass wir es zu einem gewissen Maß an Regulierung bringen könnten.“

An dieser Diskussion wird Špidla vermutlich nur noch von Prag aus teilhaben. Trotz guter und von EU-Kommissionspräsident Barroso ausdrücklich gewürdigter Arbeit wird er der neuen EU-Kommission nicht mehr angehören. Nach zähem Ringen hat sich die nationale Politik am Dienstag für Štefan Füle als dessen Nachfolger im Amt des tschechischen EU-Kommissars entschieden.