Seit über 300 Jahren in Betrieb: Ein Besuch in der Glashütte Novosad in Harrachov
Nordböhmen ist auch für seine Glasproduktion weltbekannt. Im Riesengebirgsort Harrachov / Harrachsdorf besteht die älteste noch betriebene Glashütte Tschechiens. Sie ist mittlerweile nach den heutigen Eignern benannt und heißt Novosad und Söhne. Doch die Anlagen stammen teils noch aus dem 19. Jahrhundert.
Es geht hinein in die Glashütte, deren Öfen seit 1712 laufen. Nicht einmal der Erste oder der Zweite Weltkrieg konnten den Betrieb stoppen. Die Hütte entstand zu k. u. k. Zeiten in der Grafschaft Harrach. Die Adelsfamilie leitete das Unternehmen bis 1943, als sie es gezwungenermaßen an deutsche Eigner verkaufen musste. Nach dem Krieg wurde der Betrieb verstaatlicht und dem Firmenkomplex Crystalex zugeschlagen. Erst nach der Samtenen Revolution von 1989 kam die Hütte wieder in Privathände, und zwar in die von František Novosad. Heute leitet sein Sohn Petr Novosad das Unternehmen:
„Seit der Privatisierung bemühen wir uns, zum früheren Ruhm des Harrachschen Glases zurückzukehren. Das machen wir auch mit unserem Markenzeichen kenntlich. Unsere Produkte sind alle mit dem Buchstaben H und drei Kronen sowie der Jahreszahl 1712 versehen. So ist immer zu erkennen, welches Glas von uns stammt. Jedes Jahr nehmen wir an mehreren internationalen Ausstellungen teil. Dieses Jahr waren wir bereits in Frankfurt und haben weitere Veranstaltungen in Frankreich und Italien im Blick. Zudem wollen wir im Herbst den Designblok in Prag besuchen. Wir haben einen neuen Katalog ausgearbeitet und eine spezielle Kollektion für den tschechischen Markt entworfen.“
Während des Besuches in der Glashütte laufen drei Öfen auf Hochbetrieb. Die Arbeit der Glasbläser lässt sich nur von den Gängen aus beobachten…
„Jetzt gerade produzieren wir Gläser auf Bestellung. Es handelt sich um einen US-amerikanischen Auftraggeber aus New York. Das Produkt ist etwas speziell, da zwischen dem Kelch und dem Stiel der Gläser eine Verzierung eingefügt wird, die wir Wespennest nennen. Es ist eine gewundene Kugel, die in reines Blattgold gehüllt ist“, sagt Petr Novosad.
Wespennester und Kröselzange
Wir schauen einem Glasbläser über die Schulter, der gerade an den Wespennestern arbeitet.
„Ich mache das schon seit 30 Jahren, da kenne ich mich bereits etwas aus“, sagt er mit einem Lachen.
Mit einem Messer, einer Kröselzange und weiteren, einem Laien eher unbekannten Werkzeugen entsteht ein Glas nach dem anderen. Drei bis vier Minuten dauert die Fertigung eines Stücks. Über eine Spezialseilbahn werden die Gläser dann weiterbefördert. Petr Novosad:
„Derzeit arbeiten hier etwa 90 Menschen. Von ihnen sind etwa 25 Glasbläser. Die restlichen gehören weiteren Professionen an. Das schließt auch die Hilfsarbeiter ein, die beispielsweise das Glas auf die Fließbänder legen oder dadurch in der Produktion helfen, dass sie die Formen schließen oder die Produkte weitertransportieren. Nachdem das Glas geblasen wurde, wird es weiterbearbeitet. Das machen meist Frauen, während hier in der Hitze am Ofen vor allem Männer arbeiten.“
Ein Glas geht so durch die Hände von zehn bis zwölf Beschäftigten. Alles hier ist Handarbeit, Maschinenproduktion sucht man in der Glashütte vergeblich.
Die Führung geht weiter an einigen Frauen vorbei, die an einer Flamme sitzen und auf den richtigen Augenblick warten, bis das Glas so weich ist, dass es weiterbearbeitet werden kann. Wie an den Öfen ist es auch hier ziemlich heiß. Wie lässt sich das aber aushalten? Eine der Frauen meint:
„Soll ich die Wahrheit sagen? Ich schwitze wie ein Schwein – und das mehrmals am Tag. Deswegen kühlen wir uns ab, indem wir uns ein nasses Tuch auf den Kopf und um den Hals legen. Ansonsten lässt sich aber nichts machen bei unserer Arbeit. Zwar wird gelüftet, dennoch schwitzt man einfach. Das ist so eine Art Abspeckkur, ich sehe das positiv.“
Historische Schleiferei
Der Rundgang führt nun in die Schleiferei. Eine ganze Halle steht voller Schleifgeräte, aber nur eines ist gerade von einem Mann besetzt. Dazu Petr Novodsad:
„Dieses Gebäude hier auf dem Fabrikgelände ist das älteste. Die Ofenhallen, in denen wir zuvor waren, sind sehr viel jünger. Sie stammen aus der Nachkriegszeit. Doch die Schleiferei wurde schon 1895 gebaut, das heißt noch zu Zeiten der Harrachs. Auch die Anlagen hier sind praktisch original.“
Die Glashütte Novosad verkauft die meisten ihrer Produkte in die USA, nach Italien, nach Skandinavien und nach Westeuropa. Doch den Betrieb mit Handarbeit gegen die Konkurrenz automatisierter Fertigung aufrechtzuerhalten, ist eine Herausforderung. Während in Harrachov etwa 2000 Gläser pro Tag produziert werden, laufen in den automatisierten Fabriken bis zu 50.000 Gläser innerhalb von 24 Stunden von den Bändern. Die meisten Glashütten in Nordböhmen sind zudem während der Corona-Pandemie unter Druck geraten und später auch durch die hohen Energiepreise.
Die Novosads setzen daher auch auf den Tourismus als Zusatzverdienst – das aber nicht nur mit Führungen durch den Betrieb.
Eigene Brauerei
Der Rundgang zusammen mit Firmeneigner Petr Novosad endet auf dem Platz vor der Glashütte – so wie auch alle anderen Führungen…
„Hier haben die Besucher mehrere Möglichkeiten, was sie weiter unternehmen können. So lässt sich das Glasmuseum im Herrenhaus besuchen, wo sich im ersten und zweiten Stock die größte Glassammlung aus einer einzigen Fabrik in ganz Tschechien befindet. Es sind etwas über 5000 Exponate, die dort zu sehen sind. Natürlich haben wir auch einen Werksverkauf in einem Selbstbedienungsladen. Dort lassen sich alle Produkte erstehen, die schon während der Führung gezeigt wurden. Und falls jemand etwa Durst bekommen hat bei dem Rundgang, dann steht ihm auch unser Restaurant mit eigener Brauerei offen. Oben wird Bier gebraut, und unten ist der Lagerkeller. Wir brauen drei ungefilterte und nicht-pasteurisierte Biere Pilsner Art, die man heute als Craft-Biere bezeichnen würde. Eines ist das helle Lager und das andere das dunkle Lager František. Dazu gibt es noch das Glashüttenbier mit acht Grad Stammwürze, das die Bläser an unseren Öfen trinken.“
Und damit entlässt einen der Eigner des Familienbetriebs in die eigene Verantwortung in der malerischen Umgebung des westlichen Riesengebirges.
Verbunden
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