Gotische Perle am Rande der Stadt: die St. Nikolauskirche in Bergreichenstein
Sie ist eine der bedeutendsten frühmittelalterlichen Bauten in Südwesteböhmen: die St. Nikolauskirche, die etwa einen Kilometer von der Böhmerwaldstadt Kašperské Hory / Bergreichenstein entfernt steht. Die gotische Kirche ist fast so erhalten geblieben, wie sie vor etwa 700 Jahren erbaut wurde. Seit diesem Frühjahr lässt sich die Kirche nach vielen Jahrzehnten wieder besichtigen.
Jiří Novák ist Historiker, lebt in der Nähe von Kašperské Hory und kennt sich in der Geschichte der Region gut aus. Er führt die Besucher durch das hiesige Friedhofsareal mit der gotischen Nikolauskirche. Diese ist genauso wie die heutige Dekanskirche auf dem Stadtplatz, die früher dem heiligen Leonhard geweiht war, im 14. Jahrhundert erbaut worden. Die beiden Kirchen sind nur etwa 1,5 Kilometer voneinander entfernt. Ein Luxus – zwei so große Kirchen zur fast selben Zeit in einem aus heutiger Sicht so kleinem Ort. Jiří Novák weiß dieses Rätsel zu erklären:
„Hier befand sich nämlich die ursprüngliche Ansiedlung. Denn vom Fluss Křemelná / Kieslingbach bis zur einstigen Gemeinde Ždánov / Zosum gab es überall Goldminen. Bis zu den Hussitenkriegen war Kašperské Hory eine sehr reiche Stadt. Es wird angenommen, dass sich die Bergleute zuerst hier niedergelassen haben, auf diesem Hügel. Es wurden hier Reste von Minen gefunden. Erst etwa 50 Jahre nach dem Bau dieser Kirche wurde die Stadt dort gegründet, wo sie heute liegt. Auf dem Stadtplatz wurde die Kirche St. Leonhard erbaut, die heute der heiligen Margarethe geweiht ist. Die Nikolauskirche war aber wichtiger. Denn bis zu den Hussitenkriegen war St. Nikolaus die Pfarrkirche, und St. Leonhard war die Filialkirche. Später ist St. Nikolaus zur Friedhofskirche für Kašperské Hory / Bergreichenstein und das unweit gelegene Rejštejn / Unterreichenstein geworden.“ St. Nikolaus ist ein dreischiffiger Bau. Für das 14. Jahrhundert ist die Basilika recht schmucklos. Die architektonische Entwicklung sei einigermaßen unklar, erzählt der Historiker:„Es kam da zu einigen Bränden. Wir wissen sicher von einem, zu dem es 1659 kam. Dabei brannte der hinter der Kanzel versteckte Turm aus. In der Kirche gibt es einige Unregelmäßigkeiten: so sind die Spitzbögen auf der linken Seite spitzer als diejenigen auf rechter Seite. Links gibt es noch gotische Fenster, aber rechts sind Barockfenster. Das Hauptschiff ist schwer und mächtig, die Säulen sind dick, aber das Presbyterium ist dagegen subtil und sehr schön. Für diese Unterschiede gibt es einige Erklärungen. Die Kirche soll durch dieselbe Bauhütte wie die Margarethenkirche auf dem Stadtplatz oder die Kirche in Horažďovice erbaut haben. Es kann sein, dass nur das Presbyterium durch diese Hütte erbaut wurde und das Hauptschiff von hiesigen Steinmetzen hinzugefügt wurde. Jede Säule hat eine andere Breite, die Entfernungen zwischen den Säulen sind auch unterschiedlich. Wahrscheinlich haben die örtlichen Handwerker die Arbeiten nicht gut beherrscht.“
Diese Baudetails sieht der Besucher jedoch nicht auf den ersten Blick. Aufmerksamkeit weckt zuerst die herrlich geschmückte Holzdecke. Diese ist aber viel jünger als die Kirche selbst.„Bei einem Brand wurde die ursprüngliche Holzdecke vernichtet. Ersetzt wurde sie 1700 durch neue Dielen. An der Decke sind das Stadtwappen, darüber der Reichsadler und die kaiserliche Krone. Die Überschrift ist gut zu lesen: gemalt von Viktorin Anton Grof. Beendet hatte er die Arbeit im Alter von 65 Jahren mit Gottes Hilfe am 6. Oktober 1700.“
Mit dem Stadtwappen, in dem eine Stadtmauer zu sehen ist, ist ein weiteres Rätsel verbunden. Wie Jiří Novák einräumt, ist es bislang nicht gelungen, irgendwelche Fragmente einer Stadtmauer zu finden. Zumindest aber im Stadtwappen von Bergreichenstein ist sie zu sehen.
Von der Originaleinrichtung sind im St. Nikolaus mehrere bunte Fresken aus dem 14. Jahrhundert erhalten geblieben. Die Schönste davon ist die Wandmalerei links vom Altar, erzählt der Historiker:„Diese Freske ist am ältesten, am schönsten und am besten zu erkennen. Auf dem Bild sieht man den heiligen Nikolaus, der ein beliebter Schutzpatron der Bergleute war, den ersten Spender der Kirche, Herrn Fugner, die heilige Dorothea und neben ihr den Priester, der gerade eine Messe liest. Auf ihn bezieht sich die Aufschrift ´1330 starb Pfarrer Friederich´. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier wahrscheinlich sein Grab gefunden. Er war offensichtlich der erste Pfarrer dieser Kirche. Aus dem Jahr 1330 stammt also die erste schriftliche Erwähnung nicht nur dieser Kirche, sondern auch der Stadt.“
Andere Freske stellen das letzte Abendmahl oder auch die zehntausend heiligen Märtyrer dar. Diese sind auch auf einem Altarbild dargestellt, das aus dem Jahr 1707 stammt. Die heiligen zehntausend Märtyrer waren unter den Bergleuten als Fürsprecher für plötzlich Verstorbene sehr populär, wie der Historiker erläutert:„Der Legende zufolge galt als Anführer der zehntausend Märtyrer der heilige Achatius. Er soll eine römische Legion in einer Schlacht auf dem Berg Ararat geführt haben. Achatius sei ein Engel erschienen, der ihm den Sieg in der Schlacht versprach, wenn er mit seinen Soldaten zum Christentum konvertiert. Das hat er getan, die Schlacht hat er gewonnen, aber sie wurden anschließend alle gekreuzigt – alle seine Zehntausend Soldaten.“
Neben der Nikolauskirche steht eine Kapelle. Das ursprüngliche Beinhaus wurde im 16. Jahrhundert in eine Kapelle zu Ehren von St. Anna umgewandelt. Die Deckenmalerei in der Kapelle stammt aus dem Jahr 1757. Der Prager Maler und Architekt schmückte die Decke mit einem Bild der Einführung Mariä in den Tempel. 30 Jahre später beteiligte sich Hager an der Ausschmückung der Kuppel der Nikolauskirche in Prag.
Das Friedhofsareal mit der St. Nikolauskirche und der St. Anna-Kapelle kann man seit Mai dieses Jahres mit einer Führung besichtigen. Im Mai und im Juni finden die Führungen nur samstags und sonntags viermal täglich statt. In der Hochsaison, im Juli und August gibt es täglich Besichtigungstermine: jeweils um 10.30, 12.00, 14.00 und 15.30 Uhr. Von Oktober bis April sind Führungen vom Montag bis Freitag nach vorheriger telefonischer Absprache möglich. Die Telefonnummer lautet: 00420 376503411. Mehr Informationen finden Sie unter www.pamatkykasphory.cz.