Gratias-Agit-Preis 2008: Antje Vollmer im Gespräch mit Radio Prag

Antje Vollmer bei der Preisverleihung (Foto: ČTK)

Am 3. Oktober diesen Jahres wurde Antje Vollmer von Außenminister Karel Schwarzenberg für ihr langjähriges Engagement um die deutsch-tschechischen Beziehungen mit dem Gratias Agit Preis der Tschechischen Republik ausgezeichnet. Radio Prag berichtete über die Preisverleihung im tschechischen Außenministerium. Die Publizistin, grüne Politikerin und Ex-Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages war gemeinsam mit Václav Havel treibende Kraft zur Deutsch-Tschechischen Erklärung und Mitinitiatorin des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds 1997. Dennis Rauschenbach sprach anlässlich der Preisverleihung auf dem Hradschin mit Antje Vollmer über ihre politische und persönliche Beziehung zu Tschechien sowie aktuelle Themen innerhalb ihrer Freundschaft zu Außenminister Karel Schwarzenberg, Vizepremier Alexandr Vondra und dem ehemaligen Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, Tomáš Kafka.

Antje Vollmer mit Außenminister Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Frau Vollmer, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Gratias Agit 2008, den Sie heute erhalten haben. Wie fühlen Sie sich so kurz nach der Preisverleihung?

„Es ist doch immer schön, wenn man hier in so einem schönen Palais sein kann. Für mich ist das eine Gelegenheit, alte Freunde zu treffen. Und Fürst Schwarzenberg gehört dazu.“

Sie kennen sich persönlich sehr lange und sind seit 1995 auch politisch intensiv mit der Tschechischen Republik verbunden. Wie kamen Sie dazu, was ist Ihr Bestreben in Richtung Böhmen?

„Ich kam nicht, was mein Glück war, durch persönliche Beziehungen dazu. Also keine sudetendeutschen Wurzeln. Und ich sage ebenfalls immer: auch keine tschechischen Liebhaber. Ich war also ganz neutral. Václav Havel hat 1995 eine große Rede gehalten. Ich wurde eingeladen und mir wurde gesagt, dass keiner der wichtigen Politiker dorthin fahren würde, das sei doch nicht richtig. Und das fand ich auch. So habe ich mir damals gedacht: Also, ich fahre da jetzt hin. Und tatsächlich war alles, was ich damals gemacht habe, eine Antwort auf Václav Havels Rede. Denn ihm war es schon seit der Samtenen Revolution 1989/1990 außerordentlich wichtig, das Verhältnis zu den Deutschen zu entspannen. Er war es, der damals sagte, dass es auch ein Teil des Demokratisierungsprozesses sei, alte Feindbilder zu überwinden und wieder Einladungen auszusprechen. Und, soweit das eben menschenmöglich ist, altes Unrecht zu besänftigen – mehr kann man ja mit Unrecht nicht machen. Man kann es ja nicht mehr aus der Welt kriegen. Und so hat sich das dann entwickelt. Es hat allerdings viel länger gedauert und war viel komplizierter als angenommen, die Deutsch-Tschechische Erklärung hinzukriegen. Diese war allerdings die Brücke, über die dann die Tschechische Republik nach Europa gehen konnte.“

Gratiat-Agit-Preis
Die Tschechische Republik nach Europa – Sie haben die Hand gereicht, nachdem Sie gerufen wurden. Welche Beziehung hat sich seitdem, vielleicht auch auf persönlicher Ebene, nach für Sie Tschechien aufgebaut?

„Also ich bin weiterhin in Gesprächen – übrigens auch sehr oft in Streitgesprächen – mit Sascha Vondra und mit Fürst Schwarzenberg. Es gibt hier auch enge Freunde wie Tomáš Kafka, mit denen ich zusammen im Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gearbeitet habe. Aber es gibt da jetzt auch wirklich viele offene Fragen. Dieser Raketenschild ist zum Besispiel etwas, das ich kritisiere, das aber von der Seite meiner tschechischen Freunde befürwortet wird. Da muss man dann tiefer diskutieren, was die Rolle Europas ist. Aber das macht eine gute Freundschaft natürlich aus. Nicht wie man das immer so floskelhaft sagt, sondern dass man sich dann auch wirklich nahe rückt und offen sagt: ´Ich verstehe nicht, warum ihr diese Position habt´. Oder aber: ´Ich verstehe es vielleicht´. Denn, wenn man sich sehr gut kennt, versteht man natürlich auch die historischen Ängste des Anderen. Aber selbst dann muss man offen sagen können: ´Ich halte es nicht für gut, so eine Position zu haben´.“

Sie sind ja gerade für Ihren Appell an die Empathie innerhalb der deutsch-tschechischen Beziehungen, innerhalb der deutsch-tschechischen Geschichte bekannt. Denken sie, dass so etwas wie das aktuelle Raketenbasisprojekt hier in Tschechien – welches die hiesige Regierung den US-Plänen ja ohne Volksentscheid relativ einfach überlassen hat – denken Sie, dass man auch so etwas mit der Empathie der deutsch-tschechischen Freundschaft vielleicht überwinden, vielleicht noch einmal anders darüber reden kann? Oder einfacher gefragt: Wie werden Sie streiten?

„Ich sagte ja bereits, ich bin längst dabei. Die Gründe sind klar: Das sind die Ängste vor den Russen, das ist 1968, das ist das Münchner Abkommen. Die Frage ist immer: Inwieweit ist es der Vergangenheit erlaubt, die Gesetze für die Zukunft zu bestimmen. Ich glaube, dass wir alle in Europa – aber eigentlich auch in der ganzen Welt – jetzt einmal nachdenken müssen. Wir haben 1989 eine unglaublich glückliche Entwicklung gehabt, die auch in der ganzen Welt angekommen ist. Das war faktisch wie ein Sieg von bestimmten Werten. Und zwar ein Sieg weitgehend ohne Blutvergießen. Aber dennoch gab es vorher einen Krieg. Und einen Krieg beendet man, indem man sich mit dem früheren Gegner wirklich versöhnt und auch ihm eine Perspektive gibt. Und in diesem Zusammenhang ist natürlich dieser Raketenschirm aus alten Ängsten geboren, die ich verstehe. Aber er ist noch nicht Teil eines Versöhnungskonzepts. Und darüber genau geht die Frage. Also nicht darüber, ob man die eine oder die andere Seite versteht, denn verständlich ist das alles. Sondern die Frage ist, ob es an der Zeit ist auch diesen Kalten Krieg mit anderen Schritten zu überwinden als mit Triumphalismus auf der einen Seite und mit Ängsten auf der anderen Seite.“

Sie haben gerade selbst die historische Acht in der tschechischen Geschichte angesprochen – 1938, 1948, 1968. Jetzt haben wir sie wieder in 2008, vieles hat sich historisch gejährt in diesem Jahr. Und unter anderem haben auch Sie heute hier den Gratias-Agit-Preis erhalten, gehen damit in ein Stück Geschichte ein. Auf jeden Fall in die deutsch-tschechische Geschichte. Haben Sie dazu noch zum Abschluss eine Assoziation, ein Gefühl?

„Also ich habe von mir selbst ehrlich gesagt nicht das Verhältnis oder die Einschätzung einer historischen Figur. Ich bin ja vor allen Dingen neugierig. Und selbst alles, was in diesem deutsch-tschechischen Verhältnis entstanden ist, war ja immer Versuch und Irrtum, Neugier aufeinander, Verständnis füreinander – auch gab es spannende Erkenntnisse. Darüber was Historie ist entscheiden ganz andere Mächte. Aber dieses hier heute Abend ist einfach eine schöne Geste. Und es ist schon komisch, dass man dafür mehr von den Tschechen ausgezeichnet wird als von den Deutschen.“