Häuser, die Geschichte(n) erzählen: berühmte Villen in Tschechien
Die bekannteste Villa Tschechiens ist zweifelsohne die Brünner Villa Tugendhat. Sie steht auf der Weltkulturerbeliste der Unesco. Auch die Prager Villa Müller, die von Architekt Adolf Loos entworfen wurde, ist inzwischen zum Begriff geworden. Damit wäre aber für einen Laien die Aufzählung berühmter Villen Tschechiens fast zu Ende. Nicht aber für die Besucher einer Ausstellung, die berühmte Villen Böhmens, Mähren und Schlesiens beschreibt.
Architekt Pavel Halík hat den Bildband über die Villen aus der Gegend von Liberec / Reichenberg zusammengestellt. Seinen Worten zufolge ist eine Villa ein sehr lebendiger Bau. Die Villen teilten das Schicksal einiger Generationen, meint der Experte:
„Eine Villa wurde immer für eine bestimmte Generation mit einem bestimmten Lebensstil erbaut. Bei der Arbeit am Bildband über die Architektur in Liberec wurde ich mir dessen bewusst, wie durchdacht diese Bauten sind. Die Leute, die sie erbauen ließen, hatten einen ausgeprägten Lebensstil und wussten, was sie wozu in ihrem Haus haben wollen. Dies ging schon während der Ersten Republik zum Teil verloren. Während des Kommunismus wurden in einigen Villen Kindergärten oder Kliniken untergebracht. Manchmal wurden die Villen in Archive oder ausnahmsweise in ein Museum umgewandelt. Viele der Villen aus der Zeit der Monarchie dienen heutzutage als Bürogebäude. Während des Kommunismus wurden in mehreren der Villen vier oder sogar fünf Wohnungen eingerichtet. Das Schicksal der Häuser ist ein wichtiger Bestandteil der Texte im Bildband sowie in der Ausstellung.“ Villen gibt es seit der Antike. Sie wurden schon im alten Rom erbaut. Auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens lässt sich aber erst seit den 1860er Jahren von einer Architektur der Villen sprechen. Was vorher erbaut wurde und den Villen ähnlich war, waren eher Lustschlösser, die sich Aristokraten auf dem Lande hinstellen ließen. Diese seien Bestandteil eines Herrenguts gewesen oder haben Parkanlagen oder Gehege ergänzt, sagt Kunsthistoriker Pavel Zatloukal. Er leitet das Kunstmuseum in Olomouc / Olmütz und hat bereits ein Buch über die Villen seiner Heimatregion Olmütz herausgegeben. Professor Zatloukal hat auch den abschließenden Bildband der Serie über berühmte Villen Tschechiens zusammengestellt. Eine schwierige Aufgabe, aus den etwa 800 Villen, die in den 15 Bildbänden vorgestellt wurden, 120 Bauten auszusuchen:„Dafür gab es mehrere Kriterien. Wir haben verschiedene Baustile berücksichtigt sowie namhafte Architekten, aber vor allem spielte die Qualität der Gebäude eine Rolle. Das war bestimmt das wichtigste Kriterium, auch wenn die Qualität ein sehr relativer und subjektiver Begriff ist. Wir haben uns bemüht, dass im Bildband nicht nur die Prager oder Brünner Villen vertreten sind. Der Bildband sowie die Ausstellung sollten wertvolle Architektur auch aus kleineren Städten zeigen. Zudem haben wir darauf geachtet, dass in der Ausstellung Bauten aus verschiedenen Epochen vorgestellt werden. Der erste Bau, der hier präsentiert wird, stammt aus dem Jahr 1815 – also aus der Zeit, als Napoleon die Schlacht bei Waterloo verloren hatte. Und die jüngste Villa in der Ausstellung wurde 2010 erbaut.“ Er sei bei seiner Arbeit manchmal auch auf kuriose Bauten mit bewegtem Schicksal gestoßen, erzählt der Kunsthistoriker weiter:„In einer kleinen mährischen Stadt beschloss ein Industrieingenieur, der eine kleine Fabrik für Werkzeug besaß, sich eine Villa bauen zu lassen. Sie sollte eine Taschenausgabe der berühmten Villa Tugendhat sein. Das war im Jahr 1937. Schon 1945 wurde seine kleine Fabrik verstaatlicht. 1948 wurde auch seine Villa vom Staat beschlagnahmt und der Mann wurde verhaftet. Die Villa bekamen er und seine Frau erst nach der Wende von 1989 zurück. Sie hatten aber keine Kinder, und so boten sie das Haus der Stadt an. Diese lehnte die Villa ab, obwohl sie von namhaften Architekten entworfen wurde. Heutzutage sieht das Haus wie eine Ruine aus, weil sich einfach niemand mehr darum kümmert.“
Die Ausstellung über berühmte Villen Tschechiens beinhaltet nicht nur Fotos, sondern auch Originalzeichnungen der Architekten sowie Möbel. Die Veranstalter bieten zudem ein reichhaltiges Programm nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder an. Neben Malerworkshops für die kleinen Besucher stehen Vorträge von Architekten auf dem Programm. Interessenten können auch an Führungen durch einige der bekannten Prager Villen teilnehmen. Zudem werden Fahrten zu einigen der berühmtesten Villen Süd- und Mittelböhmens organisiert. Ob eine solche Ausstellung etwas bewirken kann, was den Geschmack der Öffentlichkeit betrifft, konnte Pavel Zatloukal jedoch nicht sagen. Er sei da eher Skeptiker, räumt er ein:„Heute leben wir in einer Zivilisation der Hässlichkeit. Die Welt wird immer hässlicher. Sie entfernt sich immer mehr von der Art der Wohnungen, die ein wirkliches Zuhause geboten haben. Ich glaube, dass die Architektur der Villen bei uns schon in den Jahren 1900 bis 1910 ihren Höhepunkt erreicht hatte.“Gefragt nach einer Villa, die nicht nur ein besonderes Schicksal hatte, sondern bis heute als Beispiel einzigartiger Architektur dienen kann, nennt Pavel Zatloukal als Olmützer Lokalpatriot die Villa Primavesi. Sie wurde in den Jahren 1905-1906 nach dem Entwurf der Wiener Architekten Franz von Krauss und Josef Tölk erbaut. Sie sei aus einigen Gründen beachtenswert, meint Zatloukal.
„Es war ein Neubau, der inmitten des historischen Stadtkerns direkt an der Stadtbefestigung entstanden ist. Die Villa passt aber sehr gut in die Umgebung. Sie ist von lauter Barockarchitektur umgeben. Dabei haben die Architekten nicht versucht, historische Baustile nachzuahmen. Das Wichtigste daran ist, dass die Villa vom englischen Lebensstil ausgeht. Das Zentrum des Hauses ist eine zweistöckige Halle mit einem Kamin, an dem die Familie zusammenkommt. Intime Räumlichkeiten – wie Schlaf- oder Kinderzimmer - befinden sich in der ersten Etage. Dorthin führt eine offene Treppe. Der Baustil der Villa lässt sich eigentlich als Anfang des Funktionalismus bezeichnen. Denn die Gliederung des Hauses entspricht den Funktionen der Räumlichkeiten.“ Interessant an der Villa Primavesi sei aber nicht nur der Bau selbst, sondern auch die Familie, die sie einst bewohnte, erzählt Zatloukal:„Die Familie Primavesi kam Ende des 18. Jahrhunderts aus Norditalien nach Olmütz nieder und arbeitete im Bankwesen. Otto Primavesi (1868-1926) heiratete eine berühmte Wiener Schauspielerin, die sich Mäda nannte. Beide waren mit namhaften Künstlern der Zeit befreundet. Bei Gustav Klimt haben die Primavesis mehrere Gemälde bestellt und daraus entstand in Olmütz einst eine Sammlung von 15 Gemälden von Gustav Klimt aus verschiedenen Epochen. Der Bildhauer Anton Hanak beteiligte sich an der Gestaltung der Villa. In der jetzigen Ausstellung kann man einige Entwürfe von Hanak besichtigen. Zu den Freunden der Familie Primavesi gehörte auch der damals bewunderte österreichische Architekt Josef Hoffmann.“
Primavesi investierte viel in die Wiener Werkstätte – eine Produktionsgemeinschaft bildender Künstler. Die Familie siedelte nach dem Ersten Weltkrieg aus Olmütz nach Wien über. In der Olmützer Villa wurde später ein Sanatorium eingerichtet. Nach der Wende von 1989 haben die Nachkommen des Sanatoriums-Besitzers die Villa vom Staat zurückerhalten. Sie bemühen sich Zatloukal zufolge, die Villa entsprechend in Stand zu halten.Die Ausstellung über die berühmten Villen Tschechiens ist in der Technischen Nationalbibliothek in Prag bis zum 28. November zu sehen. Die Veranstalter rechnen damit, sie als Wanderausstellung künftig auch im Ausland zu zeigen.