Von der Neorenaissance zum Kubismus: Berühmte Villen in Mittelböhmen

Bauers Villa in Libodřice

Mittelböhmen hat ein kunsthistorisches Kleinod innerhalb Tschechiens: seine vielfältige Villenarchitektur. Villen findet man in den Böhmischen Ländern sonst überall, wo sich die Industrie entwickelt hat: nahe der Fabriken oder in den Gartenvierteln am Stadtrand. In Mittelböhmen gibt es jedoch viele Orte, die praktisch nur aus Villen und Sommerresidenzen bestehen. Viele dieser Bauten wurden von namhaften Architekten entworfen. Eine Auswahl der berühmten Villen aus Mittelböhmen wird in einer Ausstellung vorgestellt, die seit Dienstag im Mittelböhmischen Museum in Roztoky bei Prag zu sehen ist.

Villa des Apothekers Hartmann in Kutná Hora
Die Ausstellung über berühmte Villen in Mittelböhmen wird nicht zufällig eben in Roztoky bei Prag gezeigt. Denn in Roztoky haben viele reiche Prager seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Sommerresidenzen erbaut. Bis heute sind einige davon erhalten geblieben. Die Ausstellung wurde aufgrund eines Bildbands zusammengestellt, der von der Agentur Foibos herausgegeben wurde. Mit dem Buch über die berühmten Villen Mittelböhmens beendet der Herausgeber die Buchreihe über architektonisch wertvolle Villen in allen Regionen Tschechiens. In jedem Buch der Serie sind etwa 50 Villen beschrieben. Für die Region Mittelböhmen rechnete die Agentur Foibos mit 60 Villen. Leider waren aber nicht alle Besitzer mit der Präsentation ihrer Villa im Buch einverstanden. So sind im Buch insgesamt nur 57 Villen dargestellt. Hinzu kamen noch Beschreibungen von zehn so genannten „Villegiaturen“ – der Sommerresidenzen. Dazu gehören die nahe von Prag gelegenen Städtchen wie Černošice, Dobřichovice, Roztoky, Jevany oder Nespeky.

Villa des kaiserlichen Rats und Winzers Josef Viktorín
Rostislav Švácha ist Architekturhistoriker, er ist Mitautor des Buches und hat die gleichnamige Ausstellung vorbereitet. Bemerkenswert sei, so Švácha, nicht nur die Zahl der architektonisch wertvollen Villen in Mittelböhmen, sondern auch die Vielfalt der Baustile.

„Was das 19. Jahrhundert betrifft, herrscht hier natürlich der Neorenaissancestil vor. Aber auch dieser Stil ist bei uns in verschiedenen Modifikationen verbreitet. Es gibt hier Villen im internationalen Neorenaissancestil, aber auch im tschechischen Neorenaissancestil. Der zuletzt genannte Stil ist eine Mischung von Neorenaissance und Volkskunstelementen. Eine mittelböhmische Kuriosität ist eine Villa im neugotischen Stil, die in Kutná Hora / Kuttenberg steht. Dieser Stil ist für Villen sehr ungewöhnlich. Die Villa des Apothekers Hartmann wurde nach dem Entwurf von Jiří Zach erbaut. Zach unterrichtete an der Realschule in Kuttenberg und war ein großer Kenner der Kuttenberger Gotik.“

Villa des Lehrers Alois Horáček
Ein typisches Beispiel der internationalen Neorenaissance sei, so der Experte, die Villa des kaiserlichen Rats und Winzers Josef Viktorín. Der Architekt der „Villa der heiligen Julia“, wie die Residenz genannt wurde, war Josef Schulz, der unter anderem das Gebäude des Prager Nationalmuseums entwarf. Im Stil der tschechischen Neorenaissance wurde beispielsweise die Villa des Lehrers Alois Horáček erbaut. Der Entwurf stammt vom hochbegabten Kuttenberger Architekten Bohuslav Moravec.



Sommerresidenz des Schriftstellers Jan Herben
Der Gründer der modernen tschechischen Architektur, Jan Kotěra, hat seinen Stil, was die Villenarchitektur betrifft, in Mittelböhmen entwickelt. Kotěras älteste Villa überhaupt ist die Sommerresidenz des Schriftstellers Jan Herben in Hostišov bei Votice. Erbaut wurde sie 1901. Zehn Jahre später erschuf Kotěra in Ratboř das neoklassizistische so genannte „Neue Schloss“. Das Schloss, vielmehr vielleicht eine große Villa, wurde für die Familie Mandelík erbaut, die eine Zuckerfabrik besaß, erklärt Rostislav Švácha.

Villa des Malers František Lexa in Rakovník
„Neben Kotěra haben einige seiner Schüler mehrere beachtenswerte Villen in Mittelböhmen erbaut. Zwei erstklassige Villen hat beispielsweise Architekt Otakar Novotný in Rakovník und in Benešov entworfen und realisiert. Josef Gočár erbaute eine kubistische Villa in Libodřice. Kubismus ist der einzige Stil, der in Böhmen entstanden ist. Eine weitere Villa mit kubistischen Elementen befindet sich in Lysá nad Labem. Ihr Architekt Emil Králíček ist nicht so bekannt wie Gočár, aber der Bau ist sehr gelungen.“



Váňas Villa in Benešov
In der kubistischen Villa in Libodřice wurde vor zwei Jahren das Museum des tschechischen Kubismus eingerichtet, wo eine ständige Ausstellung von Möbeln und Design zu sehen ist. Das Museum konzentriert sich auf den kubistischen Gedanken insgesamt und auf die Architektur von Josef Gočár.

Die Ära der Villen erlebte mit dem Krieg einstweilen ihr Ende. Seit der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahre 1948 gab es niemanden, für den man in der Tschechoslowakei hätte Villen bauen können. Eine Ausnahme gibt es doch: in der romantischen Gegend am linken Moldauufer am Stausee Orlík wurde in den Jahren 1959 bis 1961 die so genannte „Präsidentenvilla“ erbaut. Rostislav Švácha:

Präsidentenvilla
„Die kommunistische Partei und die Regierung beschlossen, aus einigen Hotels und Familienhäusern in Vystrkov eine Art Erholungszentrum für die Parteibonzen zu errichten. Dieses Erholungszentrum wurde von Architekten entworfen, die alle aus verschiedenen absurden Gründen eingesperrt wurden. Im Prager Gefängnis Pankrác entstand das so genannte ´Basaprojekt´ - zu Deutsch etwa ´Knastprojekt´. Es handelte sich um ein Atelier, wo diese verurteilten Architekten arbeiteten. Dies ist ein trauriges Kapitel in der tschechischen Architekturgeschichte und zudem ein Rätsel für die Architekturhistoriker. Nie wurden Pläne und andere Dokumente zum Erholungszentrum in Vystrkov gefunden. Auch wenn man die Baupläne entdecken würde, zweifele ich daran, dass die eingesperrten Architekten sie damals unterzeichnen durften. Die Architekten von Vystrkov bleiben wahrscheinlich anonym.“

Benies Villa in Lysá nad Labem
Villen wurden in Böhmen erst seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut. Die älteste Villa in Böhmen stammt aus dem Jahr 1860. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich vor allem Industrielle und Großunternehmer Villen entwerfen. Um das Jahr 1900 konnten sich Rostislav Švácha zufolge auch andere Gesellschaftsschichten – wie Ärzte, Lehrer, Schriftsteller, eine Villa leisten. Die Architekten suchten meistens nach Inspiration im Ausland.



„Die Neorenaissancevillen wurden nach dem Vorbild der alten florentinischen Villen aus dem 15. Jahrhundert erbaut. Seit 1900 änderte sich der Trend. Eine wichtigere Rolle spielten zu der Zeit Vorbilder aus England.“

Bauers Villa in Libodřice
Die Ausstellung über die berühmten Villen Mittelböhmens ist im Museum im Schloss in Roztoky bei Prag bis zum 29. August zu sehen. Das Buch über die mittelböhmischen Villen wurde auch in englischer Fassung herausgegeben.

Fotos stammen aus dem Buch „Die berühmten Villen Mittelböhmens / Slavné vily Středočeského kraje“ (Rostislav Švácha et kol.)