Havels Übersetzer Joachim Bruss: Übersetzung war wichtige Möglichkeit, um überhaupt publiziert zu werden

Joachim Bruss (Foto: Projekt „Das wiederentdeckte Erzgebirge“)

Die Sprache, ihre Kraft, die Dinge in Gang zu setzen, die Macht des Wortes – das waren für Václav Havel immer große und wichtige Themen. Der Übersetzer Joachim Bruss hat Havels Worte und Texte in die deutsche Sprache übertragen. Radio Prag hat Joachim Bruss, heute Ko-Vorsitzender des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, für unsere Sendung ans Mikrophon gebeten.

Joachim Bruss  (Foto: Projekt „Das wiederentdeckte Erzgebirge“)
Herr Bruss, Sie sind eigentlich eine Art Vermittler Václav Havels in Deutschland, Denn das, was er zu sagen hatte, haben Sie ins Deutsche übertragen. Dies gilt sowohl für seine Theaterstücke, die Sie übersetzt haben, als auch für seine späteren politischen Auftritte, die Sie gedolmetscht haben. Sie kannten Václav Havel aber auch persönlich – was für ein Mensch war er?

„Václav Havel war ein Mensch, der mich persönlich sehr beeindruckt war, weil er sehr zurückhaltend war, am Anfang einer Begegnung häufig einen fast schüchternen Eindruck machte. Wobei er aber durchaus feste Ansichten hatte und ganz offensichtlich auch einen unerschütterlichen Willen, diese Ansichten öffentlich zu machen und auch durchzusetzen, sobald es für ihn als Politiker später auch möglich war.“

Als Übersetzer haben Sie Václav Havel über die Sprache und mittels der Sprache kennengelernt. Die Sprache und das Wort waren für Václav Havel von großer Bedeutung. Wie würden Sie seine Sprache charakterisieren, die Macht des Wortes von Václav Havel?

„Ich glaube, das muss eigentlich nicht ich charakterisieren, sondern das hat er selber am allerbesten gemacht: in seiner Rede, die er für die Frankfurter Paulskirche geschrieben hat. Sie wurde dort bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahre 1989, also noch vor dem Herbst 1989, vorgetragen. Da äußert er sich ziemlich genau und ausführlich dazu, wie er selber die Macht des Wortes empfindet. Auch vor allen Dingen die Macht des Wortes in einer Gesellschaft, die durch Unfreiheit gezeichnet war.“

Und war das an seiner Sprache zu erkennen, dass das Wort für ihn so wichtig ist?

Werke Havels  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Das war sehr deutlich in seiner Sprache zu erkennen. Wobei er gleichzeitig sehr spielerisch mit dem Wort umgehen konnte, vor allen Dingen in seinen Theaterstücken.“

Es ist üblich, dass der Übersetzer mit dem Autor die schwierigen Stellen des Textes bespricht. Haben Sie sich mit Václav Havel beim Übersetzen seiner Werke beraten? Haben Sie vielleicht gemeinsam an der Übersetzung gearbeitet?

„Ich habe mit Václav Havel an diesen Texten in Bezug auf das Deutsch nicht sehr viel zusammengearbeitet. Das war im Grunde auch weder nötig, noch ohne weiteres möglich. Er hat zwar mehr Deutsch verstanden, als er je zugegeben hat, aber er war keiner der Autoren, die das Bedürfnis hatten, weitgehend in die Texte einzugreifen.“

Können Sie sich an ihr erstes literarisches Treffen mit Václav Havel erinnern? Welcher war der erste Text, den Sie übersetzt haben?

„Der erste Text, den ich von ihm übersetzt habe, war ein Interview, das er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einem französischen Journalisten gegeben hat und das die Frankfurter Rundschau abdrucken wollte. Ich habe das aus dem tschechischen Original damals in einer Nacht- und Nebelaktion ins Deutsche übersetzt. Das war 1982 gewesen. Ich habe mir damals überlegen müssen, schreibe ich jetzt meinen Namen darunter oder schreibe ich meinen Namen nicht darunter. Ich habe mich entschieden, das mit meinem Namen veröffentlichen zu lassen, und es ist mir trotzdem nie etwas passiert. Ich bin danach dann häufig in die Tschechoslowakei gereist.“

Und ihr erstes persönliches Treffen: Ist es Ihnen in der Erinnerung geblieben?

„Es muss 1984 gewesen sein, weil ich in diesem Jahr das erste Mal für längere Zeit nach Prag gekommen bin, um an der Botschaft eine Urlaubsvertretung zu übernehmen. Ich war eigentlich Freiberufler, aber für vier Wochen Angestellter des Auswärtigen Amtes und als solcher an die Botschaft nach Prag abgeordnet. Das muss entweder in dem oder im darauffolgenden Jahr gewesen sein, dass ich ihn zum ersten Mal gesehen und mit ihm so einiges besprochen habe, was mit den Übersetzungen, mit den Büchern und Texten zusammenhing, die er publizieren lassen wollte. Denn in der Zeit war für die tschechischen Autoren, die im eigenen Land nicht publizieren konnten, die Übersetzung, vor allem die Übersetzung ins Deutsche, eine der wichtigen Möglichkeiten, um überhaupt publiziert zu werden. Das konnte dann dazu führen, dass die Exilausgaben der tschechischen Texte zurückkamen ins Land.“

Sie haben Václav Havel als Dissidenten und Theaterautor und auch als Politiker und Präsidenten gekannt. Wie würden Sie seinen Werdegang vom Dissidenten zum Präsidenten charakterisieren. Hat sich Václav Havel verändert?

„Solches Amt verändert jeden. Das hat sicherlich auch ihn verändert. Aber es hat ihn nicht verändert in seiner Grundhaltung. Wovon er wirklich überzeugt war, das hat er auch als Präsident ganz authentisch formuliert, ohne dabei Rücksicht auf sein Amt zu nehmen. Das war nicht gegen das Amt gerichtet, aber das war die Überzeugung, die er schon vorher, als auch Dissident, in gleich überzeugender Weise formuliert hat.“

Nach dem Ausscheiden aus dem Amt als Präsident gelang Václav Havel ein Comeback auf die Theaterbühne mit dem Stück „Der Abgang“. Sie haben auch dieses letzte Stück von Havel übersetzt. War es anders als die Stücke aus den 80er Jahren, oder haben Sie darin den alten Theaterautor wiedererkannt?

„Ich habe schon den alten Theaterautor wiedererkannt. Das Stück ist von seiner Struktur her nicht so viel anders als die Stücke, die er vorher geschrieben hat. Es wird vom Inhalt her vielfach interpretiert, als ob es quasi biographisch wäre, das ist es aber nicht eigentlich. Obwohl natürlich viel von dem eingeflossen ist, was er selber erlebt hat.“

Meine letzte Frage – wie war Ihre letzte Begegnung mit Vaclav Havel?

Václav Havel auf seiner Geburtstagsfeier  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
„Meine letzte Begegnung war auf seiner Geburtstagsfeier hier in Prag. Er hat zu seinem 75. Geburtstag im Ausstellungsraum DOX eine große Feier veranstaltet. Ich war eingeladen und hatte zum Glück auch die Gelegenheit, noch ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Er meinte, er sei wieder dabei, ein Stück zu schreiben, damit ich etwas zu tun hätte. Da hab ich mich natürlich auch darauf gefreut, dass es dazu wieder kommen würde, aber das wird es nun nicht...“