Heinrich Rimpel: Sehnsucht ohne Rückkehr

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Heinrich Rimpel, der am 10. März seinen hundertsten Geburtstag gehabt hätte, kehrt sozusagen posthum nach Prag zurück: Seine Fotografien werden das erste Mal seit Rimpel 1969 Tschechien verließ wieder in seiner Heimat ausgestellt. "Sehnsucht ohne Rückkehr" heißt die Ausstellung. Denn Rimpel selbst konnte die Stadt, die er so liebevoll in Bildern festgehalten hat, nicht noch einmal sehen. Für den heutigen Kultursalon hat Renate Zöller die Vernissage besucht.

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Es ist eng in dem kleinen Eingangsbereich des Heinrichsturm in der Prager Innenstadt, gedrängt steht man zusammen, aufgeregt begrüßen sich alte Bekannte, man hat sich teils seit vielen Jahren nicht gesehen. Der Aufzug ist ständig blockiert und das, wo doch heute ein großer Teil der Besucher bereits älter ist, manche sind gebrechlich. Man trifft sich, um die Bilder eines verstorbenen Bekannten, Freundes, Mithäftlings oder Familienmitglieds zu sehen.

"Zumindest seine Bilder sind zurückgekehrt und wir können uns jetzt daran freuen", sagt ein tschechischer Besucher der Ausstellung. Wie so viele der Gäste ist er ein Verwandter von Heinrich Rimpel, den er bei seinem Spitznamen "Hobby" nennt. Rimpels Tochter Vera Harms, sein Sohn Thomas Rimpel und deren Familen haben die Ausstellung organisiert. Vieles hier ist der Erinnerung gewidmet. Der schmächtige Herr mit den weißen Haaren zeigt gerade auf einem Foto seiner Frau eine gemeinsame Freundin. Er sagt;

"Wir sind Verwandte. Ich erinnere mich, als ich als Student das erste Mal nach Prag gekommen bin, da habe ich bei Hobby Rimpel in seinem Haus zwei Nächte gewohnt."

Der fünfte Stock des Jindrichturms ähnelt einer Familienfeier, nur dass diese Familie aus ganz Europa zusammenkommt. Ein anderer Gast, ebenfalls ein entfernter Verwandter, wird gerade von seiner Tochter mit dem Rollstuhl hereingeschoben, Valtr Kraus, 92 Jahre alt, ist extra aus London eingeflogen, um die Ausstellung zu sehen.

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"Ich bin froh dass ich hier bin, denn die Bilder sind nicht nur Bilder sondern sind lebendige Erinnerung, sie erwecken auch Erinnerungen, die ansonsten irgendwo vergraben gewesen wären."

Doch Heinrich Rimpels Bilder sind mehr als ein Familienalbum, sie sind eine Hommage an seine Stadt. Heinrich Rimpel war Wahlprager. Und das mit Leib und Seele. Der böhmische Jude, der bei der Volkszählung 1930 als Nationalität "deutsch" angab war in Ostrau geboren worden. Erst etwa 1935 kam er in die Hauptstadt. Hier heiratete er 1936 und versuchte sich als Architekt durchzuschlagen. Später, als die Rassenpolitik der Nationalsozialisten es immer schwieriger machten, einen Job zu finden, machte er eine Art verkürzte Lehre als Schreiner. Seine Frau hatte als Sekretärin etwas bessere Chancen. Sie kamen so über die Runden.

Bis auch diese bescheidene Freiheit ein Ende hatte und die Nationalsozialisten begannen die böhmischen und mährischen Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt zu deportieren. Mit einem der ersten Aufbaukommandos fuhr Heinrich Rimpel am 4. Dezember 1941 nach Theresienstadt. Seine Frau und seine Schwiegermutter kamen 1942 nach. Heinrich Rimpel und seine Frau überlebten das Konzentrationslager, es gelang dem damals jungen und starken Heinrich, durch Arbeit in Außenlagern sich selbst und seine Frau vor dem Transport nach Auschwitz zu schützen. Von seinem zweiten Arbeitslager bei Hof in Bayern kehrte er mit einem der so genannten Todesmärsche kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee zurück.

Vera Harms erinnert sich: "Als wir klein waren, erzählte er über die Schrecken des Krieges und der Verfolgung etwas mehr, unsere Mutter konnte über diese Zeit gar nicht sprechen. Sie zeigten uns nie die Städte wo sie geboren worden und wo sie aufgewachsen sind, geschweige denn, dass sie mit uns nach Theresienstadt gefahren wären. Es waren so unerträglich schmerzhafte Erinnerungen, von denen sie uns verschonen wollten. Aber warum haben wir keine Fragen gestellt?"

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Kinder sind für das Bedürfnis der Eltern zu schweigen empfindsam, erklärt das der israelische Psychologe Dan Baron. In die junge Tschechoslowakei und die kommunistische Revolution setzte das Ehepaar Rimpel nach dem Krieg dann große Hoffnungen. Sie versuchten, ein normales Leben aufzubauen. Seit der Errichtung des Protektorats hatten die Rimpels Tschechisch als ihre Muttersprache angenommen. Ihr deutschsprachiger Hintergrund, ihr Judentum und ihre KZ-Erfahrungen rückten für ihre beiden Kinder Thomas und Eva in den Hintergrund. Vera Harms erklärt:

"Es scheint mir, dass der Vater für sich eine andere Art, wie er seine Gefühle artikulieren konnte, gefunden hat, und zwar das Fotografieren. Er betrieb sein Hobby sehr leidenschaftlich und sehr ausdauernd, mit einer ungewöhnlichen Gründlichkeit. Es lag ihm an jedem kleinsten Detail, nichts wurde dem Zufall überlassen. Nur selten machte er Schnappschüsse, im Gegenteil, seine Motive wurden sorgfältig ausgesucht, genauso wurden die Belichtung, die Blende, die Zeit mit Hilfe eines Exposimeters genau eingestellt."

Der Vater bekam 1948 eine Stelle beim Zentralrat der Gewerkschaften, er baute und modernisierte Ferienheime für die Arbeiter. Er kam viel herum in Tschechien. Und immer war sein Fotoapparat dabei. "Tschechische Landschaften" heißt dann auch eine Sektion der Ausstellung. Rimpels Blick für das Schöne ist es, der auch Außenstehende von der Bilderschau im Jindrichturm begeistert. Günter Wollstein, Besucher aus Deutschland etwa sagt:

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"Ich bin beeindruckt über den Versuch von Herrn Rimpel die Schönheit und die Harmonie und die historischen Bezüge hier zu verdichten und damit die tragische Lebensgeschichte zu kompensieren, damit fertig zu werden. Das finde ich in großartiger Weise gelungen. Ich bewundere jeden, der nach so viel Elend und soviel Leid es wieder fertig bringt ein bürgerliches, ziviles Leben zu führen."

Vor allem aber sind die Bilder Rimpels eine Hommage an seine Stadt, durch die er am meisten streunte auf der Suche nach dem richtigen Blickwinkel. Aufgrund der Jahre im Konzentrationslager war seine Gesundheit belastet, er wurde herzkrank und bereits früh als Invalide pensioniert. Die Reisen waren damit vorbei und so konzentrierte er sich auf Prag, dabei vor allem auf die Moldau. Eine ganze Ausstellungstafel ist der Zucht der Weihnachtskarpfen gewidmet, immer wieder sieht man das Moldauufer, mal städtisch-mondän, mal verwunschen einsam, immer sind es Bilder auch von einer untergegangenen Stadt. Der ältere Verwandte schwärmt:

"Ich schaue mir gerade ein Bild an, das man heute gar nicht mehr in Erinnerung hat: Über die Karlsbrücke sind damals Autos gefahren. Die jüngere Generation kann sich daran überhaupt nicht mehr erinnern."

Prag in der Mitte des Jahrhunderts, das war Rimpels Welt, als der Charme des tschechisch-deutsch-jüdischen Bürgertums noch nicht ganz vergangen war und es doch auch noch nicht die leuchtenden Reklamen gab, die heute viele Nostalgiker irritieren. Freiwillig hätte Heinrich Rimpel seine Stadt niemals verlassen. Er folgte gemeinsam mit seiner Frau seinen Kindern, die 1968 nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts nach Deutschland gingen, in das Land seiner Verfolger, erst sein Sohn Thomas, kurz darauf seine Tochter Vera. Es war eine Zeit, so erinnert Vera Harms sich, als man nicht wusste, ob man einander jemals wiedersehen würde, wenn man sich trennen würde.

Heinrichsturm / Jindrisska Vez
Da er sich 1930 für die deutsche Nationalität entschieden hatte, wurden er und seine Familie in Deutschland eingebürgert, er bekam eine Entschädigung und seine Rente, so dass seine Frau und er einen gesicherten Lebensunterhalt hatten. In der Ferne aber, in Bremen, träumte Heinrich Rimpel immer davon, einmal nach Prag zurückzukehren. Das kann Valtr Kraus gut nachvollziehen

"Prag ist eine Stadt die einen nicht loslässt. Sie ist ein Stück meines Lebens, deswegen freue ich mich, wenn ich diese Bilder sehe und so ein bisschen in meine Jugend zurückkomme."

Doch alle Versuche, ein Visum für Heinrich Rimpel zu bekommen, blieben erfolglos. Seine Tochter reiste statt seiner, besuchte seine Freunde und berichtete. Man schrieb Brief, später konnten einige Freunde die Familie Rimpel auch in Bremen besuchen.

So lagen denn die über 300 Bilder, die Heinrich Rimpel bei seiner Ausreise mitnehmen konnte, nach seinem Tod 1979 all die Jahre in irgendwelchen Schränken und Kisten, nur ein Teil wurde in den Wohnungen der nächsten Verwandtschaft aufgehangen. Bis Vera Harms die Idee hatte, ihrem Vater zum 100. Geburtstag doch noch eine Art Heimkehr zu ermöglichen. Wo die Ausstellung das erste Mal stattfinden sollte, diese Frage stellte sich nicht wirklich, findet Günter Wollstein: "Es ist eine Ausstellung die nur nach Prag gehört und sie hat immer hierher gehört, sie ist nicht zurückgekommen."

Die Ausstellung im Heinrichsturm (Jindrisska Vez) in der Prager Innenstadt wird noch bis zum 10. April zu sehen sein.

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