Heiterkeit und Ausbruch - Prager Maskenkränzchen 1910
Wir gehen auf den Tag genau 100 Jahre zurück. Für „Anno dazumal“ hat Christian Rühmkorf im Prager Tagblatt geblättert. Der 2. Februar 1910 war ein Mittwoch, aber kein Aschermittwoch. Und so berichtet das „Prager Tagblatt“ ganz im Sinne der fünften Jahreszeit. Es geht um Fasching – das Ventil einer gutbürgerlichen Gesellschaft.
„Das von der Ortsgruppe Teplitz des Vereines Reisender Kaufleute Oesterreich-Ungarns am 29. Januar in den ´Lindenhofsälen´ abgehaltene Maskenkränzchen, welches zu den gelungensten Veranstaltungen des heurigen Faschings zählt, erfreute sich, wie alljährlich, auch diesmal wieder eines außerordentlich starken Besuches. Die von Herrn Direktor Bistan und Dekorateur Mende in wahrhaft künstlerischer Weise ausgestatteten Säle boten mit dem Meer von Licht und der Fülle der reizendsten Masken einen prächtigen Anblick. Der Verein erbrachte durch sein rühriges Komitee unter der Leitung des bewährten Obmannes Herrn Arthur Fischer den Beweis, dass Humanität und Geselligkeit sehr gut zu vereinbarende Kompasziszenten sind.“
Mit anderen Worten: sich nicht ausschließen. Und so ist denn auch auf dem Maskenkränzchen der Reisenden Kaufleute ein „anschaulicher Betrag“ für den Witwen- und Waisenfonds des Vereins zusammengetragen worden.
Wesentlich unernster ging es, wenn man dem Prager Tagblatt Glauben schenken darf, beim Maskenkränzchen der nicht aktiven Offiziere zu. Aber die Zeitung beklagt zunächst:
„Maskenfeste sind in Prag recht selten. Warum? Es gibt ja kaum etwas Vergnüglicheres im ganzen Fasching als ungebundenen, lachenden Mummenschanz, freimütigen Frohsinn in bergender Maske, kurz das ganze harmlosübermütige Treiben, das Prinz Karneval heraufbeschwört.“
Aber warum gibt es Maskenfeste dann so selten im Prag des beginnenden 20. Jahrhunderts? Die Antwort sei einfach, meint das Prager Tagblatt:„Ein rechtes fröhliches Maskenfest bedarf ebenso der Vorbereitung und des Arrangements wie jede andere gelungene Veranstaltung. Dazu gehört aber sehr ernste und zielbewusste Arbeit und ein gewisses Geschick, das nicht jedermanns Sache ist.“
Aber weil die nicht aktiven Offiziere genau dieses Geschick und ein Verständnis für ernste und zielbewusste Arbeit haben, gehört ihr Maskenkränzchen bei allen Freunden reinen Faschingsvergnügens zu den Beliebtesten, meint das Prager Tagblatt und schreibt:
„Der gestrige Abend schoß aber den Vogel ab in der langen Reihe gelungener Kränzchen. (…) Der Abend bewegte sich auf dem Kamme des Erreichbaren.“
Die lange Reihe von Ehrengästen, die das lustige Gewühle und Getümmel von der Estrade aus verfolgten, die ersparen wir uns und gehen über zur Eröffnung des Abends: Drei Gruppen einziehender Masken, die mit ebensoviel Geschmack wie aktuellem Witz arrangiert waren:
„Nach einem ausgelassenen Schwarm von Pierrois und Pierreten hielt als zweiter Glanzpunkt ein funkelnagelneuer Komet ´1910 B´ seinen Einzug in den Saal, begleitet von einem lärmenden Trupp von Fastnachtsnarren. ´1910 B´ erregte einen Heiterkeitsausbruch, vor dem sich sein Kollege ´A´ verstecken kann.“
„Kollege A“ war im Übrigen der berühmte Halleysche Komet, der genau in diesem Jahr, im Jahre 1910, der Erde wieder mal gefährlich nah auf den Pelz rückte. Und so bekam er auf dem Maskenkränzchen der nicht aktiven Offiziere eine B-Version an die Seite gestellt, über die man sich herrlich lustig machen und damit Erleichterung verschaffen konnte. Denn ganz so geheuer war der Halleysche Komet den Prager Bürgern im Jahre 1910 noch nicht.Die dritte Eröffnungsmaske war ein "Aeroplan" der amerikanischen Gebrüder Wright, die just in diesem Jahr mit Motorflugambitionen eine Filiale in Berlin eröffneten. Das beeindruckende Flugobjekt auf dem Maskenball wurde von Fischblasen getragen und hatte „malerisch geflickte“ Tragflächen, wie es im Prager Tagblatt heißt:
„Das Publikum muss aber dennoch unzufrieden gewesen sein, denn es schlug den Flugapparat kurz und klein.“
Prager Maskenkränzchen im Jahre 1910 – Heiterkeit und Ausbruch einer geordneten, bürgerlichen Gesellschaft.