„Hej rup“ – Ausstellung in Berlin zeigt Kunst und Design der tschechischen Avantgarde
„Hej rup!“ – unter diesem Motto steht eine neue Ausstellung im Bröhan-Museum in Berlin. Mit über 300 Objekten wird ein umfassender Überblick über die tschechische Avantgarde im 20. Jahrhundert geboten. Eröffnet wird die Schau am Donnerstag.
Tobias Hoffmann ist hörbar begeistert. Er spricht über die neue Ausstellung, die derzeit in seinem Haus, dem Bröhan-Museum in Berlin, zu sehen ist:
„Ich bin seit 21 Jahren Museumsdirektor. Seit zehn Jahren leite ich das Haus in Berlin. Ich glaube, das ist jetzt schon eine meiner Lieblingsausstellungen überhaupt.“
Hoffmann ist nicht nur der Direktor des Berliner Landesmuseums für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, das nach dem Kunstsammler Karl H. Bröhan benannt ist, er hat die Ausstellung zur tschechischen Avantgarde auch mitkuratiert. Aber wie ist es zu diesem Projekt gekommen? Das verrät er im Interview mit Radio Prag International:
„Der Ausgangspunkt war ein Konvolut an tschechischen Stahlrohrmöbel. Wir haben es vor etwa drei Jahren gekauft, aber noch nie so richtig gezeigt. Nun gab es die Überlegung, nicht nur das Mobiliar zu präsentieren, sondern den gesamten Kosmos aufzumachen und die ganze Welt zu zeigen, die hinter diesen Gegenständen steckt.“
Die Wörter „Kosmos“ und „Welt“ lassen aufhorchen und verraten bereits: Ganz klein wird die Schau wohl nicht sein, die da in Charlottenburg zu sehen ist. Und das ist sie auch nicht. 300 Objekte werden gezeigt, allesamt stammen sie aus der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. Zu sehen ist dabei nicht nur bildende Kunst, sondern auch Design.
Das Motto, das über all dem steht, lautet „Hej rup“. Dies ist der Name eines Films des Befreiten Theaters aus den 1930er Jahren, in dem unter anderem die beiden Protagonisten der Gruppierung, Jan Werich und Jiří Voskovec, auftreten:
„Wir sind während der Recherche auf den Film gestoßen und fanden ihn ganz toll. Diesen Schwung, die Dynamik und den Zukunftsoptimismus, der in der tschechischen Avantgarde steckt, bringt der Titel sehr schön zum Ausdruck.“
Literatur, Tanz, Fotografie: Zusammenarbeit zwischen Disziplinen im Blick
Ein Anliegen der Ausstellung in Berlin ist es, die tschechische Avantgarde und ihre Strömungen in den Kontext der europäischen Moderne zu stellen. Dabei gebe es ein zentrales Alleinstellungsmerkmal, sagt Kunsthistoriker Hoffmann:
„Ich kenne mich sehr gut in der deutschen Avantgarde aus. Anlässlich des Bauhausjahres haben wir vor einiger Zeit zudem eine Ausstellung über die nordischen Bewegungen gemacht, die auf die deutsche Moderne reagierten. Auch über Frankreich weiß ich recht viel. Mit Tschechien war das bisher anders. Bei meiner Beschäftigung ist mir sofort aufgefallen, dass die unterschiedlichen Disziplinen dort sehr eng zusammengearbeitet haben.“
Vertreter aus Malerei, Literatur, Design und Architektur, aber auch aus Theater, Film und Fotografie hätten in der Tschechoslowakei so eng miteinander kooperiert wie sonst kaum, fährt Hoffmann fort:
„Ich glaube, das ist wirklich eine Besonderheit, die es sonst in Europa nicht gab. Natürlich waren all diese Tätigkeitsfelder auch in Deutschland vertreten. Aber diese enge Verzahnung und diesen intensiven Austausch sucht man dort vergebens – ebenso wie Künstler, die gleichzeitig in mehreren Bereichen aktiv waren.“
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit werde laut Hoffmann an einem Beispiel ganz besonders deutlich: dem Buch „Abeceda“ aus den 1920er Jahren nämlich, auf das auch in der Schau eingegangen wird…
„Im Kern geht es bei dieser Publikation um das Alphabet. Eine Tänzerin hat damals die einzelnen Buchstaben verkörpert. Fotos dieser Aufführung verbindet Karel Teige dann mit typographischen Elementen. Der Literat Vítězslav Nezval wiederum schrieb zu jedem Buchstaben ein Gedicht. Diese wunderbare Mischung zeigt sich in der Publikation par excellence. Fotografie, Tanz, Typographie und Literatur verschmelzen miteinander. Aufgeführt worden ist die Performance im Befreiten Theater in Prag, diese Ebene kommt also auch noch hindazu. Später ist dann ein Film darüber entstanden. Das zeigt, wie die tschechische Avantgarde geradezu explodierte und wie eng die einzelnen Charaktere damals zusammengearbeitet haben.“
Internationale Vernetzung der Akteure
Neben der Verzahnung verschiedener Kunstströmungen habe sich die Avantgarde in der Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg auch über die Staatsgrenzen hinweg orientiert, betont Hoffmann:
„Die Künstler haben immer geschaut, was die anderen machen, und zum Teil aufeinander reagiert. Die tschechische Avantgarde war dabei ein ganz starker Player mit eigenständigen Positionen, die sich natürlich aber auch aus dem Austausch ergaben – mit Deutschland sowie vor allem mit Frankreich und bis 1918 mit Wien.“
Auf diese internationale Vernetzung wird auch in dem umfangreichen Katalog zur Ausstellung eingegangen, der demnächst erscheint. In der Schau an sich werden vor allem die verschiedenen Strömungen und Tendenzen in der Tschechoslowakei vorgestellt. Auf eindrückliche Weise verschwimmen dabei Kunst und Design miteinander:
„In einem ersten Raum stellen wir den tschechischen Kubismus vor. Da gibt es Möbel, Gemälde und als große Plots an der Wand Bilder von Gebäuden aus Prag.“
Extrempositionen in der Architektur
Auf Häuser und Bauwerke richtet sich die Aufmerksamkeit auch im Rest der Exposition…
„Ein spezieller Raum widmet sich nur der Architektur. Dabei geht es vor allem um das bahnbrechende Projekt der Baťa-Siedlung in Zlín. In einem weiteren Bereich vermischen sich Architektur und Design. Wir gehen dort intensiv auf Karel Teiges Positionen zur Minimalarchitektur ein, bei dem es um Wohnen für das Existenzminimum auf kleinstem Raum geht.“
Das Teigsche Konzept der Minimalwohnung vertrete dabei auch extreme gesellschaftspolitische Positionen, so der Kurator. Im Grunde sei es Teige um die Auflösung der Familienstruktur gegangen:
„Jeder lebt in einer Wohnzelle, das Erziehen der Kinder und das Kochen werden vergemeinschaftet. In dieser Minimalrichtung ist die tschechische Avantgarde außerordentlich krass. Gleichzeitig entsteht mit der Villa Tugendhat in Brünn das meines Erachtens luxuriöseste Projekt, das die europäische Moderne überhaupt je hervorgebracht hat. In der tschechischen Architektur gab es also diese beiden Extrempositionen. Das war anderswo in Europa nicht so.“
Umfangreiches Begleitprogramm
Der Baukunst widmen sich ebenfalls Teile des Begleitprogramms, das in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum Berlin erarbeitet wurde. Vorgestellt wird etwa die Publikation „Klein-Berlin in Groß-Prag“ von Lenka Kerdová, die deutschsprachige Architekten im Prag der Zwischenkriegszeit vorstellt.
Bei einer weiteren Abendveranstaltung wird auf das Werk des Architekten Bohuslav Fuchs eingegangen. Und ganz im genreübergreifenden Sinne der Avantgarde werden auch noch andere Künste vorgestellt. So nimmt ein Vortrag die Malerin Toyen in den Blick, zudem werden mehrere tschechische Schriftsteller vor dem Kontext der Moderne beleuchtet.
Die Ausstellung „Hej rup! Die Tschechische Avantgarde“ kann im Bröhan-Museum in Berlin bis zum 3. März 2024 besucht werden. Geöffnet ist dienstags bis sonntags sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet acht Euro. Weitere Informationen zur Ausstellung sowie einen Überblick über das umfangreiche Begleitprogramm finden Sie online unter: www.broehan-museum.de/ausstellung/hej-rup-die-tschechische-avantgarde-im-kontext-der-europaeischen-moderne.