„Ich vermisse nur Menschen, aber keine Orte“ - Katja Fusek über Tschechien und die Schweiz

Katja Fusek (Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums München)

Katja Fusek ist Schriftstellerin und lebt in der Nähe von Basel. Geboren wurde sie in Prag. Vor 36 Jahren emigrierte ihre Mutter mit ihr aus der ehemaligen Tschechoslowakei in die Schweiz, damals war sie zehn Jahre alt. Fuseks Romane handeln oftmals vom Fremdsein und dem Verlust der eigenen Heimat.

Katja Fusek  (Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums München)
Frau Fusek, im Alter von zehn Jahren sind Sie gemeinsam mit Ihrer Mutter und Ihrer Schwester aus Tschechien in die Schweiz emigriert. Was hatte das für Beweggründe?

„Das hatte keine politischen Beweggründe, sondern war rein privat. Meine Mutter heiratete zum zweiten Mal, und ihr neuer Mann - mein ‚zweiter Vater’ - war Schweizer. Sie haben sogar vorher überlegt, ob er nicht nach Prag kommen könnte, aber dort herrschte Kommunismus und er hatte auch eine Stelle in der Schweiz. Deshalb war es dann eigentlich naheliegend, dass meine Mutter zu ihm in die Schweiz zieht und uns Kinder mitnimmt.“

Wie war für Sie die erste Zeit in der neuen Umgebung? Konnten Sie sich in dem fremden Land schnell einleben?

„Teilweise. Es war sehr schwierig bei den Kindern anzukommen, denn in der Schweiz redet man ja schweizerdeutschen Dialekt. Der Schulunterricht war zwar auf Hochdeutsch, sodass ich mich da ein wenig eingliedern konnte, aber bei den Kindern war ich verloren, weil man ohne Schweizerdeutsch einfach nicht kommunizieren kann. Somit habe ich mich bei den Altersgenossen sehr ausgestoßen gefühlt, bis ich nach drei Jahren dann auch selbst Schweizerdeutsch sprechen konnte - dann wurde es rapide besser. Bei den Erwachsenen hingegen, vor allem bei den Lehrern, fühlte ich mich sehr schnell zu Hause. Die waren sehr tolerant, entgegenkommend und nett.“

Foto: Chris Greene,  Stock.xchng
Woher kam bei Ihnen der Wunsch Schriftstellerin zu werden? Gab es vielleicht Autoren, die Sie besonders fasziniert haben?

„Nein, ich denke, dieser Wunsch ist nicht durch andere Autoren entstanden. Meine Großmutter hat uns sehr viel vorgelesen aus allen möglichen Büchern. Ich hatte aber eigentlich nicht den Wunsch, Schriftstellerin zu werden, sondern es war mir immer ein Bedürfnis, Geschichten zu erzählen. Meistens mir selbst, manchmal auch anderen, obwohl ich mich da nicht immer getraut habe. Ich mochte es einfach, Geschichten und Bücher fortzusetzen. Wenn ich ein Buch zu Ende gelesen hatte und ich mit dem Ende nicht zufrieden war oder dachte, dass die Geschichte noch weitergehen müsste, habe ich sie mir oft stundenlang so weitergestrickt, bis sie für mich stimmte. Der Wunsch zu erzählen und zu formulieren war also immer da. Erst später ist mir dann der Gedanke gekommen, dass ich das alles auch zu Papier bringen könnte. Es gab aber nie einen Autor als Vorbild. Ich hatte einfach immer das Bedürfnis, mich mitzuteilen.“

Illustrativesfoto: Radio Prague International
Obwohl Ihre Muttersprache Tschechisch ist, schreiben Sie auf Deutsch. Warum?

„Die ersten Geschichten, die ich mir erzählt habe, waren natürlich auf Tschechisch. Später, mit 20 oder 21 Jahren, als ich Germanistik studiert habe, bin ich dann zum Deutsch gekommen. Das ist einfach die Sprache, die ich besser beherrsche, mit der ich mich besser ausdrücken kann und die mir mehr Möglichkeiten bietet zum Texteerschaffen. Das Deutsche ist für mich auch weniger emotional besetzt. Es schafft also eine innere Distanz und ist so wie ein Material, das ich zum Schreiben habe. Damit fühle ich mich sehr wohl, denn ich habe in dieser Sprache eine große Fülle und kann sie gleichzeitig ein bisschen besser überblicken als das Tschechische.“

Foto: Garant Verlag
Sie kommen gebürtig aus Tschechien, leben in der Schweiz und haben neben Germanistik auch französische Sprach- und Literaturwissenschaft studiert. Welche der drei Sprachen ist Ihnen denn am liebsten? Gibt es vielleicht Bereiche, in denen Sie eine der Sprachen bevorzugen?

„Das ist kontextgebunden, würde ich sagen. Tschechisch ist eben die Familiensprache und die emotionale Sprache. Ich könnte mit meinen Kindern und meinem Mann nicht auf einer anderen Sprache als Tschechisch reden, sogar mit unserem Hund und unserer Katze rede ich Tschechisch. Mir erscheint es auch völlig sinnlos, mit ihnen Deutsch zu sprechen. Deutsch ist aber die Sprache, die ich in meinem Alltag benutzen muss, damit die Menschen mich verstehen. Außerdem schreibe ich in dieser Sprache, deshalb habe ich sie sehr gern. Auch die französische Sprache finde ich wunderbar. Früher habe ich noch Französisch unterrichtet, jetzt lese ich sehr viele französische Bücher. Welche Sprache ich wähle, hängt also immer von den Bereichen ab, in denen ich mich bewege.“

Prag  (Foto: Kristýna Maková)
Schreiben Sie heute denn auch manchmal noch auf Tschechisch oder vielleicht sogar auf Französisch?

„Auf Französisch schreibe ich nicht. Ich habe sehr lang Tagebücher auf Tschechisch geschrieben. Das lief für lange Zeit immer parallel mit, aber ich habe damit aufgehört, weil diese Zeit jetzt vorüber ist. Das waren meine intimsten Texte, die auch für kein Publikum bestimmt waren - und die konnte ich einfach nicht auf Deutsch schreiben.“

Sie wurden in Prag geboren. Welchen Bezug haben Sie heute noch zu der Stadt?

„In Prag gibt es immer noch mein Elternhaus, das mein Urgroßvater damals gebaut hat. Meine Tante wohnt dort mit meiner Cousine und ihren Kindern. Zwei bis drei Mal im Jahr fahren wir nach Prag in die Wohnung meiner Großmutter, in der wir früher auch selbst noch gewohnt haben. Wir leben also nicht in einem Hotel, sondern es ist, als würde ich in die Wohnung nach Hause kommen, in der ich geboren wurde. Jetzt sieht es dort aber ein bisschen anders aus. So ganz daheim fühle ich mich natürlich nicht, weil ich in Prag nur wenige Freunde und nicht meinen Alltag habe, aber es ist wirklich ein Gefühl des Aufatmens - immer noch, nach so langer Zeit.“

Basel  (Foto: Juri Weiss,  Staatskanzlei des Kantons Basel-Stadt,  Wikimedia CC BY-SA 3.0 DE)
Mit Ihrem Mann und Ihren Kindern leben Sie in der Nähe von Basel. Haben Sie Ihre Kinder auch zweisprachig erzogen?

„Ja, das habe ich ganz bewusst gepflegt. Mein Mann kommt auch aus Tschechien, und er ist erst durch die Heirat in die Schweiz gekommen, als er 30 Jahre alt war. Ich bin Lehrerin und habe das Tschechische deshalb natürlich auch gefördert. Als die Kinder noch kleiner waren, habe ich ihnen jeden Tag eine halbe Stunde auf Tschechisch vorgelesen. Die beiden reden miteinander auch Tschechisch und fragen immer noch nach Wörtern, die sie nicht verstehen. Ich akzeptiere aber nicht, dass sie Deutsch und Tschechisch mischen. Es ist mir wichtig, dass sie lernen, sich auf Tschechisch auszudrücken, auch wenn sie jetzt Teenager sind und nicht immer Lust dazu haben. Ich lasse sie sogar Diktate schreiben, und dadurch schreiben sie praktisch fehlerlos. Wenn sie vielleicht mal in Tschechien arbeiten oder studieren wollen, haben sie so den Zugang zu einer zweiten Sprache, ihrer Muttersprache, und es kann sich dadurch vielleicht auch eine neue Welt für sie öffnen.“

Vermissen Sie manchmal noch Ihre alte Heimat?

„Bis ich etwa 25 Jahre alt war, habe ich meine Heimat sehr vermisst, vor allem die Menschen dort. Dann hat sich das aber verändert, weil meine eigene Familie in Basel ist und sich da auch mein ganzes Leben abspielt. Genauso wenig vermisse ich aber auch Basel, wenn ich in Prag bin, weil ich mich dort auch wohlfühle. Das Gefühl, einen Ort zu vermissen, kenne ich eigentlich nicht mehr. Ich vermisse nur noch Menschen, aber Orte nicht.“


Dieser Beitrag wurde am 18. Juni 2013 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.