Aufbruch in eine neue Sprache: Literatur auf Deutsch von tschechischen Exil-Autoren
Die Heimat mussten sie verlassen, doch das Schreiben wollten sie nicht aufgeben– viele tschechoslowakische Literaten haben nach dem Schicksalsjahr 1968 auch in den deutschsprachigen Ländern Fuß gefasst. Und manche von ihnen haben auch begonnen, auf Deutsch zu schreiben. Strahinja Bucan hat sich die deutschsprachige Literatur tschechischer Autoren angeschaut und wie sie sich bis in die Gegenwart verändert hat.
Ota Filip: „Ich lebe für immer in Deutschland, meine Leser sind Deutsche, ich lebe vom Schreiben, also muss ich in der Sprache schreiben, die sie verstehen.“
1974 musste Ota Filip die Tschechoslowakei verlassen. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 waren für ihn das Leben, und vor allem das literarische Schaffen, in der Tschechoslowakei unmöglich geworden. Er ließ sich zunächst in München nieder, später zog es ihn nach Murnau am Staffelsee. 1981 veröffentlicht Ota Filip seinen ersten Roman auf Deutsch, „Großvater und die Kanone“.
Ota Filip war kein Einzelfall. Das gleiche Schicksal teilten unter anderem auch Jiří Gruša, Pavel Kohout und Jan Faktor. Die Germanistin Renata Cornejo beschäftigt sich an der Universität von Ústí nad Labem / Aussig an der Elbe mit dem Phänomen der deutschsprachigen Literatur tschechischer Autoren:
„Obwohl die Schicksale dieser Schriftsteller sehr individuell sind, gibt es etwas, das sie verbindet: Sie sind über verschiedene Wege und Umwege in die deutschsprachigen Länder gekommen und haben Deutsch zu ihrer Literatursprache gemacht.“Mit der Zeit entstand in Deutschland, Österreich und der Schweiz eine tschechische Literatenszene. Man wollte sich bemerkbar machen, gerade gegenüber dem deutschsprachigen Publikum. Man wollte verstanden werden. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Szene jedoch weiter, neue Gesichter stießen hinzu und brachten neue Impulse.
„Man kann in der Tat von verschiedenen Generationen sprechen, auch wenn das nur ein Hilfsbegriff ist. Es ist nämlich ein Unterschied, wenn ein Autor schon in der Tschechoslowakei Schriftsteller war und erst mit 50 seine Literatursprache gewechselt hat, oder sich später als junger Germanistikstudent entschieden hat, Deutsch zu seiner Schreibsprache zu machen. Die Jüngsten sind dann als Kind ausgereist und wurden schon in der Schule auf Deutsch sozialisiert und literarisiert. Für sie gab es fast keine andere Möglichkeit, als auf Deutsch zu schreiben.“
Heimatlosigkeit und Schmerz
Libuše Moníková: „Mein erstes Buch habe ich ursprünglich auf Tschechisch angefangen zu schreiben, aber das Thema war mir wortwörtlich peinlich, vom Wort Pein – durch die Verlagerung ins Deutsche konnte die Intensität reduziert werden, der Text wurde dadurch nüchterner und überzeugender.“
Tatsächlich ist der Schmerz ein wichtiges Motiv in der Literatur der tschechoslowakischen Exil-Autoren. Auch bei Libuše Moníková, die eigentlich 1971 durch Heirat legal nach West-Berlin gekommen ist. Sie hat den Kontakt zur Tschechoslowakei nie ganz verloren, die alte Heimat wurde bei ihr sogar zum bestimmenden Thema:
„Das Verhältnis zur Heimat ist bei den Generationen unterschiedlich. Autoren, die sie unfreiwillig verlassen mussten und ins Exil gingen, thematisieren die verlorene Heimat sehr stark. Vor allem diejenigen, die das traumatische Ereignis des Prager Frühlings erlebt haben, machen das zu einem wichtigen Motiv in ihren Büchern. Die Schriftsteller imaginieren die verlorene Heimat neu. So spielen alle Werke von Libuše Moníková in der Tschechoslowakei, ähnlich ist es bei Ota Filip und Jiri Grusa. Bei den Jüngeren ist das schon weniger der Fall, obwohl das Tschechische immer irgendwie in ihrer Literatur vorkommt. So gibt es auch bei Michael Stavarič, der seine alte Heimat nie explizit in seinen Werken betont hat, immer mehr Verknüpfungen zum Leben in Tschechien. Unter anderem in seinem Werk ‚Königreich der Schatten‘.“
Entfremdung und Neuanfang
Katja Fusek: „Schon von Anfang an entsteht zwischen mir und dem Text eine Distanz, die mir die Arbeit am Text erleichtert. Die deutsche Sprache ist eine wunderbare Materie, die ich schaffen kann, deren Struktur ich kenne und die mir nah ist, aber auf einer abstrakteren und intellektuelleren Ebene als meine Muttersprache“.
In Wirklichkeit sind die Autoren im Exil dem tschechischen Publikum immer fremder geworden. Auch wenn sie heutzutage zunehmend übersetzt und gelesen würden in Tschechien, wie Renata Cornejo bemerkt. Ist es aber nicht schmerzhaft für einen Schriftsteller, zu Hause langsam in Vergessenheit zu geraten? Und gibt es nicht einen Weg zurück von der deutschsprachigen Literatur in die tschechische?
„Selbstverständlich bleiben diese Schriftsteller in der deutschen Sprache, weil das deutschsprachige Publikum auch ganz andere Möglichkeiten bietet als die tschechische Leserschaft. Dennoch ist es den Autoren wichtig, in Tschechien rezipiert zu werden. Einige schaffen den Weg zurück in die tschechische Sprache, wie zum Beispiel Ota Filip. Wobei gerade er da ein Skeptiker ist. Mit 80 Jahren hat er Bilanz gezogen und angemerkt, dass ihm das Deutsche immer noch fremd ist, er sich mit der Zeit aber auch vom Tschechischen entfremdet hat. Seine letzten Romane hat er dennoch verstärkt auf Tschechisch geschrieben und fühlt sich in seiner alten Muttersprach wieder zu Hause.“
Nichtsdestotrotz haben die tschechischen Autoren einen gut sichtbaren Fußabdruck in den deutschsprachigen Ländern hinterlassen. Jiri Grusa muss man niemandem mehr vorstellen in der Bundesrepublik und Libuše Moníková ist mit dem Franz-Kafka- und dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet worden. In Österreich und der Schweiz wiederum sind Michael Stavarič oder Katja Fusek aus der Literaturszene nicht mehr wegzudenken. Damit sind die tschechischen Autoren Teil eines langfristigen Trends in der deutschsprachigen Literatur. Diese ist nämlich immer bunter geworden:„Die Autoren mit Migrationshintergrund spielen überhaupt zurzeit eine wichtige Rolle in der deutschsprachigen Literatur. Sie bekommen ja auch viele Auszeichnungen. Die Shortlist zum Deutschen Buchpreis ist zum Beispiel fast ausschließlich besetzt mit Autoren, die einen Migrationshintergrund haben. Wenn man dabei bedenkt, wie klein die Tschechoslowakei war und Tschechien ist, dann wird umso deutlicher, wie wichtig die tschechischen Autoren in den deutschsprachigen Ländern sind. Sie werden gelesen, über sie werden Seminare an den Universitäten abgehalten, und es erscheint Sekundärliteratur zu ihnen.“
Literatur jenseits der Grenzen
Michael Stavarič: „Ich bin weder Österreicher, noch Tscheche, ich bin am ehesten vielleicht noch Europäer.“
Heute gibt es eigentlich keine Grenzen mehr in Europa, und auch das Exil ist für die Tschechen ein Begriff der Vergangenheit. Ist es für junge tschechische Autoren dadurch vielleicht attraktiver geworden, auch auf Deutsch zu schreiben? Oder vielmehr: Gibt es überhaupt noch Sprachgrenzen in der Literatur, oder bewegen sich die Autoren nicht viel freier zwischen den Kulturen?