Tagung zur Migrationsliteratur im Prager Goethe-Institut

Milan Kundera

Als Emigranten haben sich viele Autoren tschechischer Herkunft für das Deutsche als Literatursprache entschieden. Ihrem Werk war der erste Tag einer dreitägigen Tagung zur Migrationsliteratur im Prager Goethe-Institut gewidmet. Silja Schultheis hat sich dort am Donnerstag unter die Tagungsgäste gemischt.

Vor allem nach der Niederschlagung der Reformbewegung des "Prager Frühlings" von 1968 sind zahlreiche tschechische Autoren in die Bundesrepublik Deutschland emigriert und haben dort z.T. auf Deutsch publiziert. Bekannteste Beispiele: Libuse Monikova, Ota Filip, Jiri Grusa. Einige ihrer Werke sind sogar bis heute noch nicht auf Tschechisch erschienen.

Worin sich die Literatur der nach Deutschland emigrierten Tschechen von derjenigen der tschechischen Emigranten in anderen Ländern unterscheidet, erklärte Professor Milan Tvrdik, Lehrstuhlinhaber der Germanistik an der Prager Karlsuniversität:

"Wie man bei den in Deutschland etablierten tschechischen Autoren sieht, entgleiten sie in ihren Äußerungen und in ihrem Werk oft zu diesem deutsch-tschechischen Verhältnis. Und das ist z.B. bei Milan Kundera oder anderen, die woanders leben, nicht der Fall. Die sind eher international orientiert, während die in Deutschland lebenden Autoren eher zwischennational orientiert sind. Immer wieder läuft es dann auf das Problem Tschechen und Deutsche hinaus, also auf diesen kleineren mitteleuropäischen Kontext."

Nach 1989, als die Exilliteratur wieder zugänglich war, wurde in den ehemaligen Ostblockstaaten der Versuch unternommen, Exilliteratur und die im eigenen Land entstandene Literatur zu einer Literatur zu vereinen und auch gemeinsam etwa in Literaturlexika aufzunehmen. Dieser Vereinigungsprozess gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht.

Alfrun Kliems, Dozentin für Literaturwissenschaft am Slawistischen Institut der Berliner Humboldt-Universität und Mitherausgeberin eines demnächst erscheinenden Werks zur Migrationsliteratur in Ostmitteleuropa:

"Das hat auch damit zu tun, dass man gegenseitig sehr viel Kritik aneinander geübt hat. Die Daheimgebliebenen haben den Vorwurf an die Exilanten gerichtet, dass sie nicht in der Heimat geblieben sind, um möglicherweise von innen heraus destruierend zu wirken. Und die Zurückgekehrten waren immer der Meinung, es wurde vielleicht Zuhause zu wenig getan und sie würden zuwenig eingebunden in die Integrationsprozesse."

Das hängt nach Meinung von Alfrun Kliems auch damit zusammen, dass die Werke von Exilautoren in der damaligen Tschechoslowakei wesentlich weniger rezipiert wurden als dies in anderen ehemaligen Ostblockstaaten bei verbotenen Autoren der Fall war. Dadurch seien nach 1989 im Grunde zwei unterschiedliche Welten nahezu unvorbereitet aufeinandergeprallt. Auch heute, so bemerkte Frantisek Cerny, ehemaliger tschechischer Botschafter in der Bundesrepublik, seien die Werke emigrierter Autoren noch wenig ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen:

"Ich glaube, sie werden einfach zu wenig wahrgenommen. Die Frage ist, wieviel Literatur überhaupt in der Tschechischen Republik jetzt registriert wird. Da ist ein großes Defizit. Und da wären Bücher wie z.B. die Sachen von Ota Filip für die Tschechen sehr lesenswert."

Eva Behring/Alfrun Kliems/ Hans-Christian Trepte (Hrsg.): "Grundbegriffe und Autoren ostmitteleuropäischer Exilliteratur 1945-1989. Versuch einer Systematisierung und Typologisierung" (erscheint Ende 2002 oder 2003 im Franz Steiner Verlag. Stuttgart)