Molomor - tschechische Exillyrik auf dem Weg in die Heimat

Vladimir Vlasaty (Foto: Autor)

Basel, das ist seit fast vier Jahrzehnten das Zuhause von Vladimir Vlasaty. Seine Heimat aber ist Prag - als Student beteiligte er sich hier in den 60er Jahren an der tschechoslowakischen Avantgarde; nach der Niederschlagung des Prager Frühlings blieb nur das Exil. Auch in der Schweiz hat Vladimir Vlasaty aber nicht aufgehört, auf Tschechisch zu schreiben. Erstmals ist nun eine Auswahl seiner Gedichte in Tschechien herausgekommen.

Na druhem brehu Na druhem brehu rozsvicena okna.

Vecer se do proudu reky propada.

Rozhlizim se,

pozoruji reku,

hledam.

Neni tam nic.

Jenom voda

Am andern Ufer Am anderen Ufer ein erleuchtetes Fenster.

der Abend versinkt in der Strömung des Flusses.

Ich schaue mich um,

beobachte den Fluss,

suche

Da ist nichts.

Nur Wasser.

Vladimir Vlasaty  (Foto: Autor)
Am Lesepult ein Mann mit breiten, aber weichen Zügen, von massiger Gestalt, mit Händen, die sich bei der Begrüßung nicht leicht umfassen lassen und die gelegentlich Mühe haben, in den feinen Papieren zu blättern. Der Vortrag unpathetisch, mit leiser Ironie, genau wie die Gedichte des 66-Jährigen: Mal vielschichtige Bilder, mal vorgeblich naiv und aphoristisch zugespitzt. Valdimir Vlasatys Lyrik ist nun erstmals in einer Auswahl in Tschechien erschienen - eine späte Rückkehr und eine Brücke zurück zu den literarischen Anfängen in den liberalen 60er Jahren, als Vlasaty in Prag Kultursoziologie studierte.

"Daneben habe ich ein Theater der kleinen Formen gehabt. Das war damals - ich gebe es zu - eine Mode, das Theater Semaphor hatte damit angefangen. Aber wir wollten auch etwas sagen, etwas machen, dabeisein! Die Lage damals - um es mit Jaroslava Blazkova zu sagen: Ein Nylonmond strahlte über der Tschechoslowakei, und es war eine schöne Zeit!"

Eine Zeit, die im Sommer 1968 jäh zu Ende ging. Im Manifest "Wir stehen zu Euch - steht zu uns" (Jsme s Vami - budte s nami) hatten Intellektuelle Wochen vor dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen die Fehlentwicklungen des Sozialismus kritisiert und von der Regierung eine unbedingte Fortsetzung der Reformen gefordert.

"Zu diesem Aufruf habe ich eine Unterschriftenaktion organisiert, die zum Schluss etwa 200.000 Leute unterzeichnet haben. Als die Russen kamen, da haben sich mich gleich gesucht. Also bin ich weggegangen - via Mikulov nach Wien, in Wien war ich eine Woche, aber da war es unmöglich, länger zu bleiben, denn es waren 60.000 Tschechen in Wien. Als die Schweiz Visa angeboten hat, habe ich mir auch eines organisiert und dann sind wir mit einem Sonderzug des Roten Kreuzes in die Schweiz gefahren. Seitdem bin ich dort - bis heute."

In Basel ist Vladimir Vlasaty dann zu einem zweisprachigen Dichter geworden: Deutsch schreibt er, damit ihn die Umgebung versteht, Tschechisch, damit er nicht verlernt, sich selbst zu verstehen. Jedes Gedicht hat seine eigene Sprache:

"Keines ist übersetzt - ich schreibe entweder Deutsch oder Tschechisch, denn ich habe festgestellt, dass es nicht geht, in der einen Sprache Gefühle, Zustände, Probleme im Kopf für ein Gedicht zusammenzuordnen, und das dann nachher in die andere Sprache zu übersetzen. Dann wird es falsch. Ich muss die Gedichte entweder ganz auf Deutsch ausdenken und schreiben, oder auf Tschechisch."

V me ruce jina moje ruka Na planku schodiste trava,

pod travou hlina,

v hline hroby. Zadny z mych kamaradu neprisel,

vsichni jsou na hrbitove.

Kazdy vecer stejne zvuky,

prusvitne stiny,

nezna nedokoncena poselstvi. Na planku schodiste kroky,

v me ruce jina ruka

jina moje ruka.
Hand in Hand mit mir Auf dem Plan der Stufen Gras,

unter dem Gras Lehm,

im Lehm Gräber.

Keiner meiner Freunde ist gekommen,

alle sind auf dem Friedhof.

Jeden Abend die gleichen Laute,

durchscheinende Wände,

zarte, unvollendete Botschaften

Auf dem Plan der Stufen Schritte.

in meiner Hand eine andere Hand,

meine andere Hand.

Im Herbst 1989 fielen die Grenzen. Der Weg zurück in die alte Heimat war aber schwierig.

"Ich habe gedacht: Jetzt komme ich wieder nach Hause. Aber ich bin nicht nach Hause gekommen. Es hat sich so viel verändert! Die Natur und die Gebäude sind gleich geblieben, aber die Leute waren anders, und auch ich habe mich in einem ganz anderen Umkreis bewegt, als meine alten Kollegen hier in Prag. Alles war anders, und ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich wieder die richtige Sprache gefunden habe."

Co zbylo Nad hlavou nebe,

pod nohama hroby.

V nakyslem blaboleni

tu a tam

seminko vonave travy.

Was geblieben istÜber dem Kopf der Himmel,

unter den Füßen Gräber.

Im säuerlichen Gefasel

hier und da

ein Samenkorn duftenden Grases.

Vladimir Vlasaty  (links)  (Foto: Autor)
"Ich bin schon länger in der Schweiz als ich hier in Prag gelebt habe. Ich bin jetzt 66 Jahre, mit 28 bin ich weggegangen, das können Sie also ausrechnen. Als das Buch erschienen ist, habe ich gesagt, ich muss eine Taufe für das Buch hier in Prag machen. Da habe ich dann schon ein wenig Sorge gehabt: Kommt überhaupt jemand? Wie viele Leute kennen mich noch? Aber Sie haben ja gesehen: Der Saal war voll! Vielleicht bin ich ängstlicher als es nötig ist - und das ist auch eine Antwort auf die Frage, warum ich das Buch erst jetzt herausgebracht habe."

Und der Titel des Bandes? Molomor, das könnte man in etwa als "Mottenmörder" übersetzen - eine Kindheitserinnerung, mit Ernst und Ironie ins Allgemeine gewendet:

"In unserer Wohnung, als ich ein kleiner Junge war, gab es einige Zeit lang eine Mottenplage. Die Motten haben an der Decke gesessen, wo sie nicht zu erreichen waren. Mein Vater hat deshalb einen Bambusstock genommen, auf das Ende ein kleines Kissen gesteckt, und damit hat er versucht, die Motten zu beseitigen. Und so habe ich mein Buch auch Molomor, also etwa ´Mottenmörder´, genannt - eine Waffe zur Beseitigung der Dinge, die einem im Leben nicht unbedingt passen."