Initiative „Gemeinsam gegen Hass“: Strengere Strafverfolgung von Vorurteilskriminalität gefordert
Fünf Jahre Haft oder nur drei? Den Unterschied macht laut tschechischem Strafgesetzbuch, wer genau das Opfer einer Straftat aus Hass ist. Gewalt aus rassistischer oder religiöser Motivation wird hierzulande strenger bestraft als die gleiche Straftat, wenn sie sich gegen die sexuelle Orientierung, die Genderidentität oder den eingeschränkten Gesundheitszustand einer Person richtet. Darum fordert die Initiative „Společně proti nenávisti“ (Gemeinsam gegen Hass) eine Anpassung des Strafgesetzbuches und damit einen besseren Schutz von LGBT+-Personen und Menschen mit Behinderung.
Man wolle keine Extrawurst, sagt Czeslaw Walek. Der Leiter der Initiative „Jsme fér“ (Wir sind fair) und des Prague Pride Business Forums betont, dass sich alle Menschen in Tschechien sicher fühlen sollen. Allerdings gebe es dafür noch Löcher in der tschechischen Gesetzgebung, und aus diesem Anlass war Walek einer der Mitveranstalter der Konferenz „Společně proti nenávisti“ (Gemeinsam gegen Hass) in Prag. Das Datum, nämlich der 16. Februar, war bewusst gewählt. Es verweise auf den tödlichen Anschlag vor einer Gay-Bar in Bratislava Mitte Oktober vergangenen Jahres, wie Walek zum Auftakt betonte:
„Das Ziel dieser Expertenkonferenz ist zu diskutieren, wie Opfer von Vorurteilskriminalität in Tschechien geschützt werden und ob dieser Schutz vor allem für Lesben, Schwule, Bi- und Transgender-Personen sowie für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen ausreicht. Heute sind es genau vier Monate seit dem Terroranschlag und dem Mord an Juraj und Matúš. Diese Taten sind ein Memento dessen, wohin es führen kann, wenn der Staat seine Arbeit nicht gut macht und Angehörige besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen nicht ausreichend geschützt werden.“
Prague Pride organisierte die Konferenz gemeinsam mit der Organisation In Iustitia, die Opfern von Vorurteilsgewalt rechtlich beisteht und Aufklärung zum Thema betreibt. Beteiligt war außerdem das Nationale Institut für seelische Gesundheit (NÚDZ), und die Schirmherrschaft hatten Innenminister Vít Rakušan (Stan) sowie die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Klára Šimáčková Laurenčíková, inne.
Vorausgegangen war ein öffentlicher Aufruf mit dem gleichen Titel „Společně proti nenávisti“, dem sich insgesamt 23 Organisationen und 23.000 Menschen angeschlossen haben. Darin werden die Politikerinnen und Politiker Tschechiens ermahnt, über die genannten Personengruppen nicht mehr in beleidigender oder verfälschender Weise zu reden. Und es werden drei legislative Schritte eingefordert: die Einführung der Ehe für alle, die Abschaffung der Zwangssterilisierung von Menschen in Transition sowie die Ergänzung des Strafgesetzbuches, um auch Angriffe auf LGBT+-Personen und auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen strengst möglich zu ahnden.
Hasskriminalität nimmt zu
Belegt wird die Forderung mit dem Hinweis, dass immer häufiger Übergriffe auf diese beiden Personengruppen registriert werden. Michal Pitoňák, wissenschaftlicher Mitarbeiter im NÚDZ und Vorsitzender des Vereins Queer Geography, stellte dazu eine neue Studie mit dem Titel „LGBT+-Sein in Tschechien“ vor. Von den fast 3500 Befragten habe mehr als die Hälfte schon Erfahrungen mit Hassäußerungen gemacht:
„In der Bewertung der aktuellen Lage wird ein Negativtrend deutlich – dies besonders durch wachsende Vorurteile und die Ablehnung vor allem von Seiten der politischen Vertreter. Zugenommen haben zudem Angriffe oder unangebrachte Witze, die sich zumeist gegen Trans-Menschen richten. In den vergangenen fünf Jahren beobachten wir eine steigende Diskriminierung. Man kann also nicht davon sprechen, dass sich die Lage verbessert. Eher verschlechtert sie sich.“
Vor diesem Hintergrund unterstrich Klára Kalibová die Notwendigkeit einer Änderung des tschechischen Strafgesetzbuches. Allen Menschen, die durch Vorurteilsgewalt bedroht sind, müsse ein gleichwertiger Rechtsschutz gewährleistet werden, fordert die Geschäftsführerin von In Iustitita:
„Wir können uns nicht damit abfinden, dass derzeit nur fünf Personengruppen geschützt sind – nämlich Menschen, die wegen ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung oder ihrer Hautfarbe angegriffen werden. Zugleich fehlt dieser gesetzliche Schutz aber für andere Menschen, die ebensolche Angriffe erleben, nämlich für LGBT-Personen und auch für Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung.“
Deutlich wird die gesetzliche Schieflage an dem Beispiel einer Körperverletzung. Wird sie aus Rassismus oder wegen dem religiösen Glauben des Opfers begangen – also Motivationen, die das Strafgesetzbuch anerkennt –, dann muss das Gericht eine Strafe von einem bis fünf Jahre verhängen. Beruft sich der Täter oder die Täterin aber auf einen Beweggrund, der bisher nicht im Strafgesetzbuch zu finden ist – also die sexuelle Orientierung, die Genderidentität oder den eingeschränkten Gesundheitszustand des Opfers –, dann liegt das Strafmaß nur bei einem halben bis zu drei Jahren.
Übergriffe werden nicht bei der Polizei gemeildet
Erschwerend komme das Misstrauen der Opfer gegenüber der Polizei hinzu, bemerkte Czeslaw Walek. Er zitierte Statistiken, nach denen 87 Prozent der angegriffenen LGBT+-Personen und 80 Prozent der Opfer mit gesundheitlichen Beeinträchtigung die Übergriffe nicht bei der Polizei meldeten. Polizeipräsident Martin Vondrášek beteuerte daraufhin, seine Behörde würde sich der Problematik bestmöglich widmen. Er verwies auf besondere Schulungen der Beamten, auf Beratungstelefone oder die langjährige Zusammenarbeit mit Organisationen wie etwa In Iustitia. Ähnlich argumentierte auch Innenminister Vít Rakušan:
„Die Polizistinnen und Polizisten müssen durch die Polizeiausbildung in der Lage sein zu unterscheiden, was die besondere Gefahr durch Vorurteilskriminalität ausmacht – damit diese Taten nicht marginalisiert werden, damit die Beamten sie erkennen und darauf empathisch und gerecht reagieren. Das ist das Erste, worauf wir uns konzentrieren und worüber wir auch mit den Ausbildern sprechen. Denn dort fängt die Veränderung an. Und dies ist vielleicht um ein Vielfaches wichtiger als die Gesetzesanpassung, für die unser Ministerium nur teilweise zuständig ist und lediglich als Hinweisgeber agiert.“
Obwohl nicht sein Ressort, sondern nur das Justizministerium eine Änderung des Strafgesetzbuches initiieren könne, unternehme auch das Innenministerium kleine Schritte, um der LGBT-Community zu helfen, fügte Rakušan hinzu. So sollen registrierte Partnerschaften bald unbürokratisch auch auf Standesämtern geschlossen werden können…
„Um dies und anderes bemüht sich das Innenministerium als ein Ressort, das im Allgemeinen ja eher mit Repressionen in Verbindung gebracht wird. Daher ist es vielleicht ein neues Vorgehen, etwa eine positive Haltung zur Ehe für alle einzunehmen. Ich halte das schon für einen Fortschritt. Bezüglich einer Änderung des Strafgesetzbuches hat das Innenministerium in der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe angekündigt, dass es daran mitarbeiten will. Wir gehören zu jenen, die sich einen besseren, allerdings gut durchdiskutierten Gesetzesschutz von Mitgliedern möglicherweise gefährdeter Minderheiten vorstellen können.“
Auch das Justizministerium sei bereit, sich dem Thema zu widmen, versicherte der stellvertretende Ressortleiter Karel Dvořák. Ehe eine Entscheidung getroffen würde, müssten aber genügend Daten aus wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen und eine tiefgehende Diskussion stattfinden, mahnte er an:
„In dieser Debatte sollten wir die Frage klären, wozu das Strafrecht eigentlich dient: Es soll jene Werte schützen, die die Gesellschaft als wichtig ansieht. Also handelt es sich nicht um eine fachliche Debatte, sondern um eine Wertedebatte und auch um eine politische Debatte. Es liegt in der Entscheidung der Politik, ob ein physischer Angriff auf jemanden wegen dessen Andersartigkeit, seiner sexuellen Orientierung, seines Alters oder Gesundheitszustandes strenger als bisher bestraft wird – so wie es bei Angriffen wegen der Nationalität oder politischen Überzeugung bereits der Fall ist. Ich persönlich wäre für eine solche Änderung. Die politischen Meinungen zu dieser Frage sind aber nicht einheitlich. In Tschechien erwarten uns also weitere Debatten dazu, und ich bin ebenso wie die Partei Stan bereit, mich darin einzubringen.“
Das Ergebnis müsse sein, dass sich alle Menschen im Land sicher und nicht vernachlässigt fühlten, ergänzte Dvořák.
Besserer Schutz wird auch auf EU-Ebene vorgeschlagen
Ein besserer Gesetzesschutz für LGBT+-Personen und Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen wird nicht nur auf nationaler Ebene in Tschechien diskutiert. Auch in der Europäischen Union würden entsprechende Schritte vorbereitet, berichtete die Leiterin der EU-Vertretung in Prag, Monika Ladmanová:
„Weil das Problem grenzübergreifend ist, hat die Europäische Kommission den Mitgliedsländern einen Vorschlag vorgelegt. Dieser sieht die Ergänzung der EU-Liste anerkannter Straftaten um das Delikt der Hasskriminalität vor. Falls alle Mitgliedsländer einheitlich zustimmen, könnte die Europäische Kommission eine Rechtsnorm erstellen, die Hassäußerungen und -kriminalität genauer beschreibt. Diese würden dann unter Strafe gestellt, und es gebe eine genaue Definition sowie andere Voraussetzungen für die Strafverfolgung. Dazu braucht es aber Einstimmigkeit.“
Diese Einstimmigkeit sei jedoch bisher nicht gegeben, so Ladmanová weiter. In einer Testabstimmung im ersten Halbjahr 2022 habe sich eine kleine Gruppe von Ländern gegen den Entwurf ausgesprochen. Diese Länder, fügte Ladmanová an, seien in Mitteleuropa zu finden, und eine besonders harte Anti-Haltung würde Polen einnehmen.
Bei der Konferenz in Prag wurde immer wieder der Vergleich mit weiteren EU-Staaten gezogen, in denen es bereits einen guten gesetzlichen Schutz von gefährdeten Personengruppen hinsichtlich Vorurteilskriminalität gibt. Anders als etwa Frankreich, Österreich, Litauen oder auch Rumänien gehöre Tschechien – wie übrigens auch Deutschland – immer noch zu den roten Ländern, die keinen ausreichenden Schutz böten, kritisierte Klára Kalibová von In Iustitia:
„Die Frage ist nicht, ob wir den Rechtsschutz für LGBT-Personen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen verbessern. Sondern die Frage ist, zu welchem Rechtsraum wir gehören wollen: Ob das die konservative, postsowjetische Rechtssphäre des Ostens sein soll, oder ob wir dorthin gehören wollen, wo wir immer hingehört haben. Denn schon die Tschechoslowakei war ein Land, das seine Menschen bereits in den 1930er Jahren vor Vorurteilskriminalität geschützt hat.“
Es sei nun also wichtig, die öffentliche Debatte über eine Anpassung des Strafgesetzbuches in Tschechien so bald wie möglich ins Justizministerium sowie ins Abgeordnetenhaus zu bringen, fügte Kalibová hinzu. Dorthin richtete auch Czeslaw Walek seinen Appell, einen entsprechenden Gesetzesbeschluss noch in dieser Legislaturperiode zu fällen. Die aktuelle Regierungskoalition hat dafür noch etwa zweieinhalb Jahre Zeit. Absichtsbekundungen aus Politikerkreisen gab es bei der Konferenz „Společně proti nenávisti“ jedenfalls genug. Zwischen den Zeilen ließ sich aber heraushören, dass die Diskussion lange dauern könne. Und so mahnte Walek abschließend an:
„Die heutige Expertenkonferenz verstehe ich als Auftakt des Prozesses zur Änderung des Strafgesetzbuches. Das Justizministerium hat alle Mittel dafür, dass dies schnell gehen könnte. Wir wollen drei einfache legislative Schritte, die zügig beschlossen werden können. Nötig ist nur der politische Wille. Und ich glaube fest daran, dass sich dieser politische Wille nach den Ereignissen in Bratislava auch in Tschechien finden lassen muss.“