Innovation: Tschechien und Sachsen sollten Produkte und Baugruppen gemeinsam entwickeln
„Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation“ – mit diesem Thema befasste sich der wirtschaftspolitische Workshop namens „Štiříner Gespräche“, den die Konrad-Adenauer-Stiftung Prag und die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer vor zwei Wochen veranstaltet haben. Lothar Martin war für Radio Prag vor Ort und hat viele interessante Aspekte, die auf Schloss Štiřín bei Prag erörtert wurden, zusammengetragen.
„Innerhalb eines Jahres, von 2010 auf 2011, sind die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Tschechien um 25 Prozent gestiegen. Das war für mich eine sehr überraschende Zahl. Eine andere Zahl aber rückt die Verhältnismäßigkeit dieses Zuwachses wieder ins rechte Licht. Bezogen auf ihre Wirtschaftskraft gibt die Tschechische Republik für Forschung und Entwicklung 1,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Vergleichen wir das aber mit den Spitzenvertretern in diesem Bereich wie Israel, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, dann stellen wir fest, dass diese Länder zwischen drei und vier Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in die Forschung und Entwicklung investieren. Das ist also in etwa das Doppelte von dem, was Tschechien ausgibt.“
Mit diesem Anteil liegt Tschechien also allenfalls im internationalen Mittelfeld. Und auch in punkto Innovationen hat man einigen Nachholbedarf, sagt die Vorsitzende des Regierungsrates für Forschung, Entwicklung und Innovation, Miroslava Kopicová:„Tschechien ist ein durchschnittlicher Innovator. Aus regionaler Sicht können wir noch ganz gut mithalten, doch der Abstand zur Weltspitze ist leider nicht geringer geworden. Ihn zu verkürzen, muss aber unser Anspruch sein.“
Einer der Gründe für dieses Defizit ist die relativ bequeme Situation, in die die tschechische Wirtschaft nach der politischen Wende gelangt ist. Die direkten Investitionen ausländischer Geldgeber haben den hiesigen Firmen einerseits auf die Beine geholfen, andererseits haben sie diese auch etwas unselbständig gemacht. Weil tschechische Unternehmen zumeist in die Rolle von Zulieferern geschlüpft sind, mussten sie folglich oft nur klar vorgeschriebene Aufträge erfüllen, so Kopicová:„Wir waren nicht zu Innovationen gezwungen, und ebenso wenig dazu, Spitzenforschung zu betreiben und hochqualifizierte Arbeitnehmer zu beschäftigen. Denn für das, was wir zu tun hatten, waren unsere Arbeitnehmer ausreichend gut ausgebildet.“
Nach Meinung von Rudolf Haňka, dem Hauptberater des Premierministers für Wissenschaft, sei jedoch auch in Tschechien genügend Geld für Forschung und Entwicklung vorhanden. Die Frage sei vielmehr, ob es auch effizient verwendet werde, so Haňka:„Der Druck zur Kommerzialisierung ist hierzulande einfach noch nicht da. Wir haben zur Kommerzialisierung noch eine ganz andere Einstellung als die Top-Länder.“
Um zu erläutern, was er damit meint, prangerte Haňka auch die fehlende Risikobereitschaft vieler tschechischer Unternehmer an:
„Wenn dir jemand im Ausland Geld zur Finanzierung deines Projekts vorstreckt, dann bekommst du auch zu hören: ´Und wie viel hast du selbst dazugegeben´? So war es jedenfalls bei mir, bevor ich meine Firma gegründet habe. Diese Frage aber bekommt man hierzulande nicht zu hören. Hier wird lediglich die Hand aufgehalten mit der Bemerkung: ´Staat gib mir Geld, und ich überquere die riskante Schlucht´.“
In seinem kritischen Vortrag verwies Professor Haňka zudem auf die geringe Mobilität der hiesigen Arbeitnehmer ebenso wie auf den bereits recht hohen Altersdurchschnitt der tschechischen Wissenschaftler. Es werde immer noch zu wenig dafür getan, um dem Nachwuchs eine Karriere in den Bereichen Wissenschaft und Technik richtig schmackhaft zu machen, sagt Haňka:„Wir bringen den jungen Leuten bei, wie sie Software zu nutzen haben. Aber wir bringen ihnen kaum etwas darüber bei, was alles in der Software steckt. Das wäre jedoch wichtig. Im Jahr 2020 wird die Europäische Union über eine Million neuer Software-Ingenieure benötigen. Zu diesem Zeitpunkt aber werden nur etwa 500.000 Leute auf diesem Gebiet studieren. Uns werden diese Ingenieure spürbar fehlen.“
Über den nur dünn gesäten Nachwuchs im Bereich Forschung und Entwicklung aber macht man sich nicht nur in Tschechien, sondern auch im Freistaat Sachsen seine Gedanken. Heidrun Steinbach ist Geschäftsführerin des Interessenverbandes Chemnitzer Maschinenbau e.V. (ICM) sowie Vorsitzende der Landesfachkommission Innovationsförderung und Technologietransfer:„Wir haben das Problem der Nachwuchssicherung. Erst gestern hatten wir ein Gespräch vom Wirtschaftrat in einem Unternehmen in Limbach, das auch ein Partnerunternehmen in der Nähe von Liberec hat. Dort hat man große Probleme, Facharbeiter zu generieren. Von den Limbachern kam deshalb der Vorschlag, dass sie gern für ihre tschechischen Unternehmen die Ausbildung und Entwicklung in Sachsen übernehmen würden.“
Das sächsische Angebot zur Facharbeiter-Ausbildung für junge Tschechen kommt nicht von ungefähr, denn besonders in der Textilbranche hat sich die Zusammenarbeit zwischen Tschechien und Sachsen schon seit Jahren bewährt. Hierbei hebt Heidrun Steinbach das Forschungsinstitut für Textilmaschinen (VÚTS) im nordböhmischen Liberec / Reichenberg noch besonders hervor:
„In Liberec haben wir hervorragende Einrichtungen mit neuesten Laboren. Da gibt es Maschinen von TOS und Škoda, die bei uns genauso im Einsatz sind wie die Maschinen von Niles, Heckert und anderen deutschen Herstellern. Wenn man weltweit mithalten will, muss man Forschungs- und Industrieaufgaben auch über den Tellerrand hinaus ansiedeln. Das ist ein Beispiel, bei dem man sich gegenseitig helfen kann. In Liberec gibt es hervorragende Ergebnisse zu neuen Systemen der Manipulationen an großen Werkzeugmaschinensystemen. Wir wiederum haben neue Materialien in solche Baugruppen integriert und es gibt dort auch sehr interessante Forschungsaufgaben.“Am Ende des sehr informativen Workshops nutzte Radio Prag noch die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Heidrun Steinbach.
Frau Steinbach, was genau ist Ihre Aufgabe und wen vertreten Sie?„In den letzten 20 Jahren habe ich ein privates Industrieforschungsinstitut aufgebaut, da der Maschinenbau in Sachsen neue Produkte benötigt. Im Moment leite ich gleichzeitig in Sachsen eine Landesfachkommission für Innovationsförderung, d.h. all die Probleme, die heute hier bei den Gesprächen diskutiert wurden, sind natürlich auch in Sachsen ein Thema. Man sucht nach neuen Wegen, um Innovationsprozesse nach vorn zu bringen, was natürlich auch eine sehr spannende Aufgabe ist.“
Seit wann gibt es die Zusammenarbeit zwischen Tschechien und Sachsen?„Die Kollegen in Liberec sind mir seit zirka 18 Jahren sehr gut bekannt. Es gab ständige Treffen bei der Brünner Maschinenbaumesse und seitdem versuchen wir auch über kleinere Projekte bestimmte Aufgaben zu lösen. Diese Projekte werden teilweise durch die Europäische Union finanziert, aber auch über Direktaufträge zwischen Chemnitz und Liberec. Dabei hat jeder seine Stärken eingebracht und daraus ist eine langjährige Zusammenarbeit entstanden.“
Mit der Zusammenarbeit zwischen Chemnitz und Liberec meinen Sie die Kooperation der Technischen Universitäten beider Städte, oder?„Zum einen schon. Aber es sind auch die Industrieforschungseinrichtungen einschließlich der Unternehmen aus der Region, die mit Liberec ebenfalls konkret zusammen arbeiten.“
Wie genau ist die Zusammenarbeit entstanden?
„Zunächst einmal haben wir als Ausgangspunkt gemeinsame Ideen entwickelt. Jeder hat bestimmte Stärken, und wenn man die zueinander bringt, kann man gemeinsam bestimmte Aufgaben lösen.“
Was sind die Stärken des Standorts Liberec?
„Liberec kommt aus dem Gebiet der Textilmaschinenentwicklung. Diese gibt es auch in Sachsen, wir konnten aber hier Kooperationen zu Sondermaschinenbauern entwickeln, die mit neuen Lasertechnologien arbeiten. Auf diesem Gebiet kann auch in den nächsten Jahren gemeinsam noch viel passieren, da vor allem neue Verbundwerkstoffe eine immer größere Rolle spielen werden, sowohl in der Autoindustrie als auch im Maschinenbau.“
Was kann sich in Ihren Augen noch verbessern?„In Zukunft sollten auch bilateral ganz konkrete Produkte und Baugruppen gemeinsam entwickelt werden. Einer der Beteiligten könnte dabei die Automatisierungsseite einbringen und der andere entwickelt die Teile, die mit den neuen Technologien hergestellt werden.“
In Tschechien wird die Zusammenarbeit zwischen Staat und Firmen hinsichtlich Innovation und Technologie oft kritisch betrachtet. Was können Sie nach der heutigen Konferenz dazu sagen?
„Es herrscht noch eine gewisse Ungeduld, da bestimmte Probleme schnell gelöst werden sollen. Deshalb muss man darüber sprechen und eigene Wege entwickeln, die Besserung schaffen.“