Jahrestreffen der Seliger-Gemeinde wirft Fragen über die Zukunft der sudetendeutschen Sozialdemokraten auf

Logo der Seliger-Gemeinde

Die Seliger-Gemeinde, deren Mitglieder - sudetendeutsche Sozialdemokraten - im Unterschied zu den meisten ihrer sudetendeutschen Landsleute 1938 den Einmarsch Hitlers in die Tschechoslowakei nicht begrüßt hatten, sondern in den Widerstand bzw. ins Exil gingen, setzt sich bereits seit Ende der 70er Jahre aktiv für ein gutes Verhältnis zu den tschechischen Sozialdemokraten und eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein. Doch ihre Mitglieder werden zunehmend älter, im Februar ist der langjährige Bundesvorsitzende der Seliger-Gemeinde, Volkmar Gabert, gestorben und zum diesjährigen Jahrestreffen im oberbayerischen Brannenburg am ersten November-Wochenende konnten aktive Mitglieder wie etwa Jiri Loewy, ein in Deutschland lebender bekannter tschechischer Publizist, erstmals nicht anreisen. Über die Perspektiven der Seliger-Gemeinde unterhielt ich mich vor dieser Sendung mit Jaroslav Sonka von der Europäischen Akademie Berlin.

Logo der Seliger-Gemeinde
Schultheis: "Herr Sonka, Sie haben die diesjährige Versammlung der Seliger-Gemeinde bereits im Vorfeld als möglicherweise letztes Treffen bezeichnet. Was hat Sie zu dieser Prognose veranlasst - und vor allem: ist sie eingetreten?"

Sonka: "Diese Prognose ist nicht eingetreten, aber veranlasst hat mich die Eigenschaft der sozialdemokratischen Bewegung. Denn die sudetendeutschen Sozialdemokraten sind in den nachfolgenden Generationen einfach mit der deutschen Sozialdemokratie zusammen gewachsen - ganz im Gegensatz etwa zu der sudetendeutschen Landsmannschaft, wo man noch heute als junger Mensch eine politische Karriere starten kann. Das ist bei der Seliger-Gemeinde nicht so, und es war traurig zu sehen, dass eigentlich diejenigen, die als Gegner von Hitler besonders wichtig waren und die heute um die 80 Jahre alt sind, heute an Aktivität nicht mehr das zeigen können, was sie vor 30 Jahren gezeigt haben."

Schultheis: "Gibt es denn keinen Nachwuchs?"

Sonka: "Es gab auch keine Tendenz, sich um einen Nachwuchs zu kümmern. Es ist aber jetzt so, dass es eine neue Spitze gibt. Und mit den Historikern Martin Bachstein und Peter Becher sind da zwei Leute dabei, die quasi der zweiten und dritten Generation angehören und beide sind eine Gewähr dafür, dass man jetzt intellektuell die Sache weiter zieht."

Schultheis: "Worin sehen die Mitglieder der Seliger-Gemeinde und namentlich die neu gewählte Doppelspitze heute ihre vorrangige Aufgabe? Kamen auf dem Treffen auch aktuelle Fragen wie die Diskussion um ein Zentrum gegen Vertreibung oder die "Danziger Erklärung" des polnischen und deutschen Präsidenten zur Sprache?"

Sonka: "Nun, man hat über diese Sachen natürlich gesprochen, ohne irgendwelche Beschlüsse zu fassen. Die Beschäftigung mit den Opfern war bei der Seliger-Gemeinde immer eine bevorzugte Perspektive, die deutsch-tschechischen Beziehungen zu sehen. In der Brannenburger Erklärung von 1998 heißt es, Umarmungen werde es nicht geben, sondern ein realistischer Blick auf die historischen Gegebenheiten - das ist es, worauf man eine Verständigung aufbauen will und darin will die neue Doppelspitze jetzt weiter machen."

Schultheis: "Worin sehen Sie persönlich heute die Bedeutung der Seliger-Gemeinde - im Umfeld der tschechisch-deutschen Initiativen, die es sonst gibt?"

Sonka: "Die deutsche Sozialdemokratie braucht einen Impuls, um zu erkennen, wo ihre Wurzeln sind und auch diese mitteleuropäischen Wurzeln, die über Wenzel Jaksch und über Volkmar Gabert hinein gekommen sind, wieder wahr zu nehmen."