Jako doma: neues Zuhause für obdachlose Frauen in Prag

Jana

Ein Zuhause, das wünschen sich viele obdachlose Menschen. Doch ohne professionelle Hilfe ist das kaum zu erreichen. Jako doma, zu Deutsch „Wie Zuhause“, ist eine Hilfsorganisation, die sich besonders um obdachlose Frauen kümmert. Wegen ihres feministischen Ansatzes ist sie einmalig in Tschechien. In diesem Jahr feiert Jako doma sein zehnjähriges Jubiläum.

In diesem Jahr feierte Jako doma sein zehnjähriges Jubiläum

Jana ist Hobby-Rapperin. Stolz präsentiert sie ihre Musik. In ihren Liedern bedankt sie sich bei Jako doma zum zehnten Geburtstag der Organisation. Jana berichtet von ihrer Zeit auf der Straße:

„Ich wurde obdachlos, nachdem mein Mann starb. Das war im Mai 2014. Sechs Jahre lang habe ich auf der Straße gelebt. Ich habe in besetzten Häusern geschlafen und Hilfszentren aufgesucht, wie das von Naděje oder von der Heilsarmee. Dort konnte ich zumindest meine Kleidung reinigen und duschen. Mitarbeiter des Hilfszentrums im Prager Stadtteil Florenc haben mich dann von der Straße geholt und zu einer Unterkunft von Jako doma gebracht. Dort bin ich dann wieder auf die Beine gekommen. Sie boten mir auch Arbeit an. Ich begann mit dem Gärtnern, habe Gras gemäht und Erde geharkt. Später hat mir Jako doma einen Job im Bistro Jídelna angeboten.“

Das Bistro Jídelna beschert Jana nun ein festes Einkommen. Es ist ein Langzeitprojekt von Jako doma. Damit wird die von Spendengeldern abhängige Organisation finanziell unterstützt. In dem Bistro arbeiten nur Frauen, die von der Straße kommen oder dort leben. Durch das Kochen verdienen sie Geld und haben wieder einen geregelten Tagesablauf. Denn das Leben auf der Straße ist hart. Wer einmal dort „unten“ angekommen ist, findet ohne Hilfe kaum mehr den Weg zurück in die Gesellschaft.

Jenny und Rad Bandit | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

Rad Bandit ist einer der Gründer von Jako doma. Er hat sich intensiv mit den Ursachen von weiblicher Obdachlosigkeit auseinandergesetzt. Er hat darüber sogar ein Buch geschrieben. Bandit leitet unter anderem das Komunitní centrum – eine Art Gemeindehaus von Jako doma.

„Das Zentrum ist für Frauen da, die auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften leben. Das heißt, sie haben keinen Ort, an dem sie den Tag verbringen können. Bei uns gibt es Duschen, hochwertige Nahrungsmittel und einen Raum zum Ausruhen. Denn die Nacht auf der Straße ist sehr hart, und wir möchten den Klientinnen einen sicheren Rückzugsort bieten“, so der Mitgründer.

Garten | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

Des Weiteren stellt das Komunitní centrum auch diverse Dienstleistungen bereit, um die Frauen auf ihrem Weg zurück in die Gesellschaft zu unterstützen.

„Dienstags mache ich Gartentherapie mit den Klientinnen. Jeden Montag, Dienstag und Freitag können die Frauen ins Büro kommen und über ihre Probleme reden. Meistens geht es um Bürokratisches. Sie wollen zum Beispiel einen Ausweis beantragen oder sich für eine Sozialwohnung bewerben. Wir helfen aber auch bei ernsteren Dingen, beispielsweise wenn sie Opfer von Gewalt wurden. Alles in Allem bieten wir im Komunitní centrum den Besucherinnen Hilfe und einen Ort, an dem sie sich wieder sammeln können“, so Bandit weiter.

Doch der Himmel verdüstert sich über dieser Oase. Rad berichtet davon, wie eines Tages plötzlich die Speisekammer leer war. Die Essenslieferungen blieben aus, sie wurden alle an die ukrainische Grenze gebracht. Rad Bandit:

Foto: Magdalena Hrozínková,  Radio Prague International

„Zuerst kam Corona, dann folgte der Krieg in der Ukraine. Das wirkt sich auch auf unsere Schützlinge aus. Denn jetzt stehen die Flüchtlinge aus der Ukraine im Fokus. Besonders im Komunitní centrum spüren wir, dass sich die Atmosphäre verändert hat. Die unsicheren Zeiten bereiten unseren Frauen viele Sorgen. Auch der Zustrom an Geldern und Lebensmitteln hat einen anderen Weg eingeschlagen: Alles wird in Richtung der Ukraine kanalisiert. Wir müssen härter um Unterstützung kämpfen und uns mehr anstrengen, um diese zweite Krise zu überstehen“, erläutert der Mitbegründer der Organisation.

Jennys sicherer Hafen

Jenny ist eine der Frauen, die öfters im Gemeinschaftshaus vorbeischauen. Sie kommt eigentlich aus Rothenburg ob der Tauber in Bayern. Als sie noch ein Kind war, zog die tschechisch-deutsche Familie in die USA. Der Vater misshandelte die Kinder, Jenny floh von zu Hause. Jahrelang lebte sie in den Vereinigten Staaten auf der Straße, dann kam sie nach Tschechien. Auch hier war sie obdachlos. Jenny beschreibt, was Jako doma für sie bedeutet:

Foto: Hilfsorganisation Jako doma

„It is a safe haven (Anm. d. Red.: Es ist ein sicherer Hafen). Ich weiß nicht, wie man das auf Deutsch sagt, aber Jako doma ist für mich ein von Gott gesandter Ort. Einfach ein sicherer Raum für Frauen, wo sie sich wohl fühlen können und sie selbst sein dürfen.“

Jenny wohnt nun in einer Unterkunft von Jako doma und hat wieder Stabilität im Leben gefunden. Außerdem hilft ihr die Organisation bei Sprachbarrieren und bürokratischen Dingen. Mit der Hilfe von Jako doma konnte Jenny den Teufelskreis der Obdachlosigkeit durchbrechen. Obwohl sie Deutsch spricht, versagt ihr die Stimme bei emotionalen Themen. Sie bevorzugt dann lieber Englisch:

Foto:  Hilfsorganisation Jako doma

„Sie gaben mir Halt und Sicherheit, damit ich mich um mich selbst kümmern konnte. Draußen war ich immer von jemandem abhängig, das wurde eigentlich immer ausgenutzt. Ich muss sagen, Jako doma hat mir wirklich das Leben gerettet…“

Sie findet keine Worte mehr. Tränen rollen ihr über das Gesicht.

Die Gründer von Jako doma haben sich sehr viele Gedanken gemacht, wie man weiblicher Obdachlosigkeit am besten begegnet. In herkömmlichen Heimen wird nämlich kaum auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen eingegangen. Um ihnen dauerhaft zu helfen, haben sich die Gründer die Sozialarbeit in vielen Ländern angesehen, besonders in Skandinavien. Und so ist eine Hilfsorganisation entstanden, die weit entfernt ist von der traditionellen Sozialarbeit in Tschechien. Rad Bandit:

Foto:  Hilfsorganisation Jako doma

„Wir sind sehr anders. Eigentlich sind wir nicht einmal als sozialer Dienst registriert. Denn hätten wir eine Registrierung, dann könnten wir unsere Arbeit nicht so frei gestalten. Die Regierung hat sehr strenge Regeln für soziale Arbeit, aber wir verfolgen andere Ansätze. Wir praktizieren eine feministische Herangehensweise und folgen dem Prinzip der radikalen Sozialarbeit. Bei der radikalen Sozialarbeit steht Selbstermächtigung im Vordergrund. Wir wollen unsere Frauen dazu bekommen, selbst für ihre Rechte einzutreten. Durch unsere Arbeit sollen sie nicht lernen zu gehorchen, sondern gestärkt und emanzipiert werden.“

Feminismus und radikale Sozialarbeit sind zwei moderne Ansätze, um Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Ein weiteres wichtiges Prinzip von Jako doma ist Housing First.

Foto: Petr Zewlakk Vrabec,  Hilfsorganisation Jako doma

„Dabei geht es darum, zuerst die Menschen von der Straße wegzubekommen. Sie müssen also nicht beweisen, dass sie bereit sind wieder eine Wohnung zu haben. Wir gehen davon aus, dass ein eigenes Zuhause der erste Schritt zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit ist. Dieser Ansatz ist überall auf der Welt sehr erfolgreich. Menschen, die wieder ein Obdach bekamen, haben bewiesen, dass sie sich darum bemühen, ihre Unterkunft auch behalten zu können. Psychische Probleme, Sucht, Krankheit und so weiter können wir auch später behandeln. Zuallererst müssen wir eine sichere Umgebung schaffen“, erläutert Bandit.

Zuerst ein Dach über dem Kopf

Um Housing First anbieten zu können, leitet Jako doma das Covid-Hotel. Das Wohnheim wurde von der Organisation zu Anfang der Corona-Pandemie übernommen, daher auch der eigentümliche Name. Jedoch muss Ende Juni die gemeinnützige Organisation wieder aus dem Hotel ausziehen. Der Eigentümer will das Hotel renovieren. Wo die Frauen dann unterkommen werden, ist unklar. Lenka ist eine der Sozialarbeiterinnen in dem Wohnheim:

Lenka und Jana | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

„Wir arbeiten mit Frauen zusammen, die sehr komplexe Bedürfnisse haben. Zum Beispiel psychische Problemen, Traumata oder körperliche Leiden. Für sie könnte es schwer sein, alleine zu leben, falls es überhaupt Unterkünfte für sie gibt. Ich finde solche Wohnheime wie unser Covid-Hotel sehr wichtig. Manchmal bekommen wir Anrufe von den Behörden. Wenn sie keinen Platz haben, fragen sie uns, ob wir nicht eine Frau, die von ihrem Mann missbraucht wurde, aufnehmen können. Diese Art von Hilfe wird in Zukunft fehlen. Und auch wir werden sie vermissen.“

Housing First bedeutet in der Praxis aber auch, dass zum Beispiel Drogenkonsum nicht verboten ist.

Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

„Wenn du drogensüchtig bist, dann musst du die Rauschmittel nehmen. Das ist keine freie Entscheidung mehr. Wäre der Drogenkonsum im Haus verboten, müssten wir die Bewohnerinnen hinausschmeißen – und das wollen wir nicht. Denn viele Obdachlose haben Süchte, und auf der Straße sind ihre Chancen noch geringer. Also müssen wir uns damit auseinandersetzen“, so Lenka.

Die Frauen sind für sich selbst verantwortlich. Sie entscheiden auch, ob sie an den Projekten – den Therapien und Kursen – teilnehmen wollen. Und sie kümmern sich selbst darum, ob sie Hilfe bei der Wohnungs- oder Jobsuche brauchen. Das ist ebenfalls ein Grundsatz der radikalen Sozialarbeit.

Bistro Jídelna | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

„Unsere Mitarbeiter sind rund um die Uhr vor Ort. Wir kennen die Frauen und versuchen mit ihnen zu kommunizieren. Wir helfen ihnen mit allem. Zusätzlich hat jede Bewohnerin eine Ansprechperson. Und wir bieten allen Bewohnerinnen die Möglichkeit, sich mit unserem Psychiater und unserem Therapeuten in Verbindung zu setzen. Darüber hinaus verteilen wir natürlich Nahrungsmittel. Manchmal unternehmen wir auch etwas Gemeinschaftliches. Zum Beispiel gehen wir ins Theater oder veranstalten Treffen“, so die Betreuerin Lenka.

Psychologische Therapie und professionelle Begleitung sind sehr wichtig für die Klientinnen. Denn auf ihrem Weg in die Obdachlosigkeit ist Gewalt oft ein wesentlicher Bestandteil. Häufig kommen sie aus Beziehungen mit traditionellen Rollenbildern. Das heißt, dass sie finanziell von ihrem Ehepartner abhängig waren. Teils sind sie auch missbraucht worden. Aber irgendwann wird eine Schmerzgrenze überschritten und die Straße zur letzten Möglichkeit. Längst sind Drogen, Alkohol und psychische Probleme die ständigen Begleiter der Frauen. Aber auf der Straße heißt es: Survival of the Fittest. Alleine ist es dort meist noch gefährlicher. Nicht selten lassen sich Frauen auf eine Beziehung ein, um Schutz zu erhalten – das nennt man Überlebenssex.

Obdachlosigkeit und Gewalt

Bistro Jídelna | Foto: Julian Faik,  Radio Prague International

Im Covid-Hotel wohnt noch eine zweite Jana. Sie ist bereit, über ihre Traumata zu reden. Ihr erster Mann ging fremd, bis er sie dann vertrieben hat. Von ihrem zweiten Mann wurde sie misshandelt, daraufhin verfiel sie dem Alkohol und entwickelte psychische Probleme, bis es eines Tages zu viel für sie wurde …

„Es war der 1. Mai. Mein Mann und seine Freunde hatten sehr viel gesoffen. Er hat mich an diesem Tag windelweich geprügelt. Mein ganzes Gesicht war grün und blau. Ich saß auf dem Vítkov-Hügel, als zufälligerweise Lenka von Jako doma vorbeikam. Ich habe mit ihrem Hund gespielt, da hat sie mein Gesicht gesehen. Sie wollte wissen, was passiert ist, aber ich habe mich geschämt. Trotzdem haben sie und ihr Mann mich in die Unterkunft gebracht“, so Jana.

Foto: Hilfsorganisation Jako doma

Sie ist eine gebrochene Frau. Ihr fällt es schwer, nach all ihren Erlebnissen noch optimistisch auf das Leben zu blicken. Bis Ende Juni wird Jana noch im Covid-Hotel wohnen. Dann wird die Unterkunft geschlossen. Wie alle Bewohnerinnen steht auch sie vor einer unsicheren Zukunft:

„Aber was jetzt? Ich habe keine Wohnung mehr, keine Arbeit und bin hier. Ich bin sehr krank. Aber ich muss arbeiten, ich brauche die Arbeit! Aber was kann ich machen? Soll ich mich hinlegen? Nein, das ist nichts für mich. Ich möchte normal leben, normal leben! Verstehen Sie das?“

Foto: Magdalena Hrozínková,  Radio Prague International

Es ist nicht leicht, wieder auf die Beine zu kommen. Seit zehn Jahren setzt sich Jako doma für ein besseres Leben von Frauen auf der Straße ein. Nochmal Rad Bandit, einer der Mitgründer:

„Ich denke, durch die Medien haben wir das Leben vieler beeinflusst. Vor zehn Jahren war das dominanteste Wort in den Medien noch ‚bezdomovec‘, das impliziert, dass es sich um einen obdachlosen Mann handelt. Gemeint ist jemand, der auf einer Parkbank liegt, mit einem langem Bart und einer Bierflasche in der Hand. Das war die gesellschaftliche Vorstellung von Obdachlosigkeit. Frauen waren komplett unsichtbar, nun kann man sich auch weibliche Obdachlose vorstellen. Durch das Bistro, das Hotel, das Gemeinschaftshaus, unsere Lobbyarbeit und andere Aktivitäten haben wir sehr vielen Frauen geholfen.“

Bis zum Ende des Monats ist es nicht mehr lange, noch hat sich keine neue Unterkunft für Jako doma gefunden. Jana die Rapperin, Jenny aus Bayern und Jana aus dem Hotel bangen solange weiter. Denn eines ist klar: Auf die Straße will keine zurück.

Autor: Julian Faik
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