Jiri Pavlaca - Kapellmeister des ältesten Volksmusikensembles in Tschechien (Portrait)

Willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer, Jitka Mladkova begrüßt Sie zu diesem halbstündigen Programm von Radio Prag am ersten Weihnachtstag. Bei Ihnen zu Hause oder wo auch immer Sie uns jetzt hören, herrscht ganz bestimmt eine angenehme, festliche Weihnachtsstimmung, zu der wir gerne einen Beitrag leisten wollen - mit Wort, aber vor allem schöner Musik!

Das, was Sie zur Einleitung gehört haben, liebe Freunde, war der erste Teil der Missa prima in F pro festis Natalitiis von Jiri/Georgius Zrunek. Und ich will Ihnen gleich ein paar Eckdaten über diesen Komponisten anbieten: Er Jiri/Georgius Zrunek wurde 1736 im südmährischen Vnorovy geboren, besuchte das Piaristenseminar in Kromeriz/Kremsier und erhielt etwas später die Priesterweihe. Danach wirkte er als Lehrer, Priester, Organist und Prediger an verschiedenen Orten in der Slowakei und Ungarn. Er starb 1789 in der Slowakei. Messen des pastoralen Typs, zu dem auch Zrunek´s Messe gehört, zeichneten sich durch Einschübe in der Nationalsprache - aus ganz praktischen Gründen: man wollte die Musik den Laienbesuchern der Kirche, die mit dem geistlichen Inhalt des Weihnachtsfestes vertraut gemacht werden sollten, verständlich machen. Hören Sie jetzt den 5.Teil der Messe genannt Benedictus. Wenn Sie gleich die ersten Töne an das Blöken der Schafe erinnern, dann liegen Sie mit dieser Wahrnehmung gar nicht falsch, das war die Absicht des Autors, ein ländliches Bild zu evozieren .Hören Sie zu: diese Töne sind in wunderbar klangmalerischer, stilisierter Form mit dem Klang volkstümlicher Instrumente verbunden.

Die über 200 Jahre alte Missa prima pro festis Natalitiis von Georgius Zrunek wurde vor kurzem auf einer CD herausgegeben - gemeinsam mit einer anderen Pastoralmesse, die erst drei Jahre alt ist. Ihr Komponist heisst Jiri Pavlica, Jahrgang 1953, und ist vor allem als Leiter des Hradistan, eines des ältesten Volkskunstensembles in Tschechien. Ihn, also Jiri Pavlica, möchte ich Ihnen etwas ausführlicher vorstellen. Zunächst aber eine musikalische Visitenkarte. Sie hören den ersten Teil Kyrie aus seiner Missa brevis:

Was bewog den jungen Musiker zum Komponieren der Missa brevis? fragte ich mich und holte mir die Antwort von Jiri Pavliva selbst :

"Das ist meine Antwort auf die Impulse, die mich zum Komponieren brachten. Das ist vor allem das Gefühl eines Menschen, der heute lebt und eine Zeit miterlebt, die uns alles Mögliche bietet - viele Informationen, aber gleichzeitig auch eine gewisse Verwirrung der Werte. Es ist also meine Antwort auf die Gefühle eines Menschen, der am Ende des Milleniums lebt. Eine Antwort in Form einer gewissen Rückkehr in die Kindheit, zu bestimmten Konstanten, die sich nicht verändern. Es ist auch die Rückkehr eines kleinen Kindes vom mährischen Dorf, das mit der Mutter die Morgenmesse besuchte und dann wieder in das warme Federbett zurückkehren durfte - in den Ort der grössten Geborgenheit, die man im Leben haben kann. Eine Messe zu komponieren hielt ich für die beste Möglichkeit, meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, Ich habe mich um eine durchaus harmonische Komposition bemüht - aus filosofischer als auch aus musikalischer Sicht."

Jiri Pavlica studierte in den Jahren 1973-78 Musikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Palacky-Universaität im mährischen Olomouc, in den 90-er Jahren absolvierte er ein ergänzendes Kompositionsstudium an der Janacek-Akademie der Musischen Künste in Brno/Brünn. Als Geiger und Komponist schöpft er aus umfangreichen Kenntnissen der mährischen Volksmusik, die er in ihrem regionalen sowie historischen Kontext erforscht hat. Seit 1975 ist Pavlica Primas und musikwissensschaftlich-künstlerischer Leiter der wohl bekanntesten mährischen Zimbalkapelle Hradistan. In den zurückliegenden zwanzig Jahren hat Hradistan 13 CD s aufgenommen, tritt bei verschiedenen Festivals im In- und Ausland auf, zuletzt auch auf der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover und spielt häufig im Radio und Fernsehen. Hören Sie nun eine typische südmährische Melodie mit Hradistan. Hradistu, Hradistu - so besingt man in dem Lied die alte Stadt Uherske Hradiste.:

Nach einigen Generationswechseln entschied sich das Ensemble Hradistan in den 70er Jahren, den damals gerade 23 Jahre alten Jiri Pavlica als seinen Leiter zu engagieren. Der hat sich zum Ziel gesetzt, mit dem Ensemble eine anspruchsvollere musikalische Farbe zu erarbeiten, ohne jedoch den Kontakt mit den Wurzeln der Folklore und dem Land zu verlieren, aus dem nicht nur das Ensemble und seine Mitglieder hervorgehen, sondern auch ihre Inspiration schöpfen. Hier noch ein temperamentvoller Titel aus dem Repertoir des Hradistan:

Die Volksmusik ist aber für Jiri Pavlica nichts Unveränderbares. Mit Vorliebe experimentiert er auch in diesem Bereich und ist als einer bekannt, der gerne Genres miteinander mischt. Warum macht er das? Hier seine Antwort:

"Zu diesem Moment gelangt man, wenn man sich damit befasst, was längst vor uns war. Mich hat interessiert zu erforschen, wie die Volkskunst vor 100, 200, 500 Jahren aussah. Und je weiter man zurück in die Vergangenheit blickt, um so mehr sieht man, wie sehr sich die Volkskunst im Laufe der Zeit wandelte und auf verschiedene kulturelle Impulse bzw. Vorbilder reagierte. Man behauptet z.B., dass die schriftlichen Fixierungen des volkstümlichen Liedguts aus dem 19.Jahrhundert einen sog. Goldenen Fonds darstellen. Es stimmt zwar, aber gleichzeitig ist es ein Ausschnitt, ein Moment - das Festhalten eines Vogelflugs. Es gibt viel mehr Gestalten der Musik und die Variabilität der Volkskunst ist unendlich. Ich lasse mich z.B. durch ein ethisches Vermächtnis meines Grossvaters oder Urgroßvaters inspirieren, weil sie die elementarsten Lebenswerte achteten - im Unterschied zu vielen von uns. So entsteht eine Komposition. Doch ich sehe keinen Grund, warum ein Kollege aus Kapstadt oder aus Tokio sich nicht durch dieselben Werte wie ich in seinem Schaffen inspirieren lassen könnte."

Dass man das kann und dass man zusammen spielen kann, demonstriert Jiri Pavlica auf einer neuen CD mit dem Titel Svitani/Sunrise/Sonnenaufgang.

Er spielt gemeinsam mit dem, wie Pavlica, kosmopolitisch denkenden japanischen Musiker, Yas-Kaz. Die Beiden finden oft zu einer gemeinsamen Melodie. Die andere Möglichkeit ist, dass sie die jeweilige Melodik ihrer nationalen Musikkultur zu einem neuen gemeinsamen Klang bringen - zu einer Art musikalischen Geflechts, in dem Mal die eine, mal die andere stärker zu hören ist. In diesem Fall geht es um ein Verflechten von fernöstlichen, vielleicht auch samuraischen Tonklängen, mit denen, die in Südmähren zu Hause sind. Das Resultat hört sich dann z.B. so an: der Traum - so der Titel!

Nun, wie kam es, dass ein tschechischer und ein japanischer Musiker wegen gemeinsamer Musikproduktion einander begegnen? Was vorausging, beschrieb Pavlica in einem Interview folgendermaßen:

"Er bekam unsere CD Ozveny duse/Echo der Seele in die Hand, die wir mit Hradistan 1994 aufnahmen. Offensichtlich fühlte er sich damit angesprochen, weil er sich bei mir per Fax meldete und fragte, ob wir nicht etwas gemeinsam machen könnten. Wir blieben einige Jahre in Kontakt, bis er im Früjhjahr 1997 mehrere Wochen bei uns in Uherske Hradiste verbrachte, in denen wir einige Konzerte veranstalteten und die Kompositionen für dieses Album aufnahmen."

Auf die Frage, ob aus dieser Begegnung irgendeine allgemeinere Erkenntnis resultiere, sagte Pavlica:

"Wenn sich die Menschen verständigen wollen, sollen sie danach suchen, was sie verbindet, und nicht danach, was sie trennt. Dann entdeckt man sogar eine Reihe unerwarteter Paralellen, so wie in unserem Falle zwei Texte, durch die wir die philosophische Ebene unserer tschechisch-japanischen Begegnungen einrahmten. Es ist ein japanisches waka-Gedicht aus dem 13. Jahrhundert und eine mährische Volkspoesie, die quasi die Tür in das nächste Jahrtausend vor uns öffnen würden."

"Ich fahre aufs offene Meer hinaus und blicke in die Ferne, möge die Welt ewig werden, und wir unsere Vergänglichkeit vergessen."

"Mensch mein lieber, die Morgenröte bricht an...

Wer früh erwacht, wird reichlich belohnt

Wie auch gesegnet ..."