Josef Bolf – Kunst als Abstandhalter zu sich selbst

Reden ist nicht seine Sache, die Kindheit war es auch nicht, und trotzdem kehrt er in seinen Bildern immer wieder zu ihr zurück. Es sind Bilder voller Schmerz und Einsamkeit. Seit einigen Jahren schon verkaufen sie sich gut, Josef Bolf gilt als einer der ungewöhnlichsten tschechischen Maler der Gegenwart und wurde sogar zur „Tschechischen Künstlerpersönlichkeit des Jahres 2010“ gewählt. Christian Rühmkorf sprach mit ihm in seinem Prager Atelier.

Josef Bolf hat sein Atelier mit vielen anderen Künstlern in einer Prager Fabrikhalle aus den 20er Jahren – es sind die so genannten Karlín-Studios. Ein Atelier wie in Paris um 1900. Josef Bolf selbst könnte wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität sein. Dunkler Pullover, Hemd. Hohe Stirn mit Geheimratsecken, das kurzgeschnittene Haar ist für einen 40-Jährigen zu grau. Bolf lächelt zurückhaltend und serviert Tee in Gläsern, die aussehen, als wären sie für Tuschwasser bestimmt. An der hinteren Wand hängen Bilder: Verloren wirkende Kinder auf betonierten Schulhöfen, umgeben von Plattenbauten. Sie haben Tierköpfe oder tragen eine Maske. Und manche von Ihnen bluten aus den Augen und aus den Händen. Dann wiederum die gekachelten Räume eines Krankenhauses. Schmutzig, menschenleere Flure. Ein abgestellter Rollstuhl älterer Bauart. Der Atombunker für die Notversorgung aus der Zeit des Kalten Krieges. Alles in Schwarz-weiß und Violett, Kratzereien in Wachsmalfarbe, hier und da verlaufende Tusche.

„Ich war ein kränkliches Kind und habe einigermaßen viel Zeit in Krankenhäusern verbracht. Ich bin also in ein Umfeld zurückgekehrt, in dem ich als kleiner Junge vor x-Jahren einiges erlebt habe. Es ging um eine Gegenüberstellung. Das ist in meiner ganzen Arbeit wichtig - der Vergleich von Erinnerung und Gegenwart beziehungsweise die Frage, wie die Vergangenheit die Gegenwartbeeinflusst, das ist wichtig in meinen Bildern. Wenn man über die Vergangenheit spricht, dann kreiert man diese Vergangenheit oder auch Erinnerung im Grunde auf´s Neue. Das ist ein interessantes Spannungsfeld für mich.“

Josef Bolf
Arbeiten Sie mit diesen Fragen intuitiv oder gehen Sie eher zielgerichtet an die Motive heran?

„In diesen Phasen ist das eine ziemlich bewusste und zielgerichtete Arbeit mit diesen beiden Polen: hier ist die Erinnerung, da die Realität heute. Und gerade dazwischen ist ein großer, ziemlich kreativer Raum, in dem man sich recht frei bewegen kann, ausgehend von den realen Dingen, die man in den Bildern in einen anderen Kontext einarbeiten kann.“

Erinnerung, das heißt für Sie auch Kindheit in der Prager Südstadt Anfang der 70er Jahre, Kindheit in einer endlosen Plattenbausiedlung, eine Schule aus Beton, Schutzübungen mit Gasmasken auf dem Gesicht für den atomaren Ernstfall, Kommunismus - das alles fließt auch in Ihre Bilder ein...

„Die haben uns das so in die Köpfe gehämmert, ihre Ideologie. Der Feind war wichtig für sie. Und er war grausam. Wenn ich darüber nachdenke, dann war da bei mir früher auch so eine Wut - auf die Schule, auf die Eltern. Ich dachte damals, sie wissen doch eigentlich, dass das alles verlogen ist. Dieses Spiel hat die Erwachsenen in meinen Augen als Autoritäten irgendwie disqualifiziert. “

Sie sind ein Meister der Depression, des Schmerzes, der Apokalypse. Und: Immer wieder ist es die Schulzeit, in die Sie dabei zurückkehren. Wie haben Sie diese Zeit persönlich erlebt?

„Ich war eigentlich das Kind, das man immer mit dem Nachnamen gerufen hat. Da gehört man wahrlich nicht zu den beliebten Kindern, ist aber auch noch nicht am absoluten Ende des Rudels angesiedelt. Ich glaube nicht, dass ich in der Schule ein besonders zufriedenes Kind war.“

Was war noch für Sie inspirierend als junger Maler, neben den konkreten Erfahrungen und Erinnerungen aus der Kindheit?

„Eine große Inspiration war für mich die Sakralkunst. Die Gotik und auch die Frührenaissance waren für mich anziehend, da passiert einfach viel. Und gerade auch weil ich nicht religiös erzogen worden bin, habe ich auch nicht ganz verstanden, was sich auf den Bildern abspielt. Die Mythologie, die ziemlich gewaltsamen Szenen, das hat mich immer angezogen und fasziniert. Ich denke dann die unbekannte Mythologie zu Ende, suche nach Antworten.“

Ein Jahr nach der Wende schaffen Sie die Aufnahmeprüfung an der Prager Akademie für bildende Kunst. Es folgen Stipendien in Stockholm und Stuttgart. Als Sie 1998 Ihren Abschluss machen, erlebt die Kunstszene in Tschechien gerade ihre erste Ernüchterung nach der Samtenen Revolution. Sie halten sich über Wasser, indem Sie Kulissen für amerikanische Filmproduktionen in Prag malen. In dieser Zeit zeichnen Sie jeden Abend bis zu zwanzig Porträts, ganz einfach um in Ihrer eigenen künstlerischen Welt zu bleiben. Dann der radikale Bruch. Ein ganzes Jahr fliehen Sie in die virtuelle Welt des Computerspiels „Wolfenstein“. Sind Sie ein Mensch der Extreme?

„Ich habe einen Hang zu bestimmten Abhängigkeiten. Ich muss da ein bisschen aufpassen. Das war fast ein Jahr lang, dass ich kaum etwas anderes gemacht habe. Das war schon ein bisschen... Ich habe den Hang zu einer Art Eskapismus oder wie ich das nennen soll. Ich habe die Tendenz, vor unangenehmen Dingen wegzulaufen. Das betrifft das alltägliche Funktionieren. Ich kann Konfliktsituationen nicht gut aushalten. Das sind alles Gründe, warum der Mensch vor etwas wegläuft."

Jetzt haben Sie mehr Kontrolle über sich, wie es scheint, oder?

„Den größten Teil meines Lebens habe ich mich nicht kontrolliert. Ich kontrolliere mich jetzt mehr, und es liegt mir mehr daran, wie meine Arbeiten aufgenommen werden. Aber lange habe ich mich überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt. (lacht) Das war anstrengend, das soziale Funktionieren und die Psyche. - Das genügt. Hier reden wir nicht weiter drüber. (lacht)“

Der Durchbruch kam vor ein paar Jahren, als ein Sammler aus Brünn Ihr Talent entdeckte. Heute hängen Ihre Bilder in der tschechischen Nationalgalerie und waren auch schon in New York zu sehen. Fällt es Ihnen nicht schwer, Bilder, die mit so viel Persönlichem verbunden sind, an die Öffentlichkeit zu bringen, sie zu zeigen?

„Wenn ich nicht eine seltsame, exhibitionistische Störung hätte, die sich danach sehnt, Dinge zu teilen und mitzuteilen, die ich nicht verstehe, dann würde ich das vielleicht nicht machen.“

Wäre ein anderer Beruf für Sie überhaupt denkbar?

„Vielleicht wäre ich Taucher geworden.“