Josef Kajetán Tyl: Neue Heimat Shoppingmall
Erst ein paar Tage ist es her, da wurde in seiner Heimatstadt Kutná Hora der 200. Geburtstag von Josef Kajetán Tyl begangen. Der Dramatiker, Theaterautor und Revolutionär wäre heute wohl nicht mehr ganz so bekannt, wenn er nicht 1834 ein anfangs unscheinbares Lied für sein Singspiel „Fidlovačka“ geschrieben hätte: Kde domov můj – Wo ist mein Heim – bald ein Nationallied, später und bis heute die Nationalhymne der Tschechen.
„Wo ist mein Heim, mein Vaterland?“, heisst es da. „Wo durch Wiesen Bäche brausen, wo auf Felsen Wälder sausen, wo ein Eden uns entzückt.“ Das Paradies Böhmen, das Tyl allerdings nicht vor Augen hatte, als er diese Zeilen schreib – als Rechnungsoffizial beim 28. Fussregiment hatte er nur ein kleine karge Zelle in der Prager Josefskaserne, einem ehemaligen Kloster am heutigen Platz der Republik.
Kasernen werden heute nicht mehr gebraucht, jedenfalls nicht in der Prager Innenstadt, und die wahren Kriege des tschechischen Alltags werden ohnehin im Winterschlussverkauf geschlagen. Statt dem etwas antiquierten „Schwerter zu Pflugscharen“ heisst es daher heute viel marktgerechter: „Kasernen zu Kaufhäusern“ – das böhmische Paradies der Gegenwart, rund um die Uhr geöffnet, voll klimatisiert und noch bunter als das richtige Leben. In der historischen Schale von Josef Kajetán Tyls karger Kaserne ist inzwischen die glitzernde Shopping-Passage Palladium entstanden. Immer mehr Prager lassen sich lieber von diesem Eden entzücken, anstatt ihre Wochenenden da zu verbingen, „wo durch Wiesen Bäche brausen, wo auf Felsen Wälder sausen“. Hymnendichter Josef Kajetán Tyl hat in der Ladenmeile eine Gedenktafel bekommen. „Kde domov můj", steht darauf – wo ist meine Heimat. Die Antwort darf sich jeder Sonntags-Shopper selbst geben.