Jožka gegen die Schweinemast – Vom Kampf um würdiges Erinnern an das Roma-KZ Lety
Über zwanzig Jahre wird schon diskutiert, doch passiert ist bislang nichts: Auf dem Gelände des ehemaligen Roma-Konzentrationslagers im südböhmischen Lety steht bis heute ein Schweinemastbetrieb. Jozef Míker gehört zu denjenigen, die sich seit langem dafür einsetzen, dass sich das ändert. Der frühere Grubenarbeiter hält Vorträge, demonstriert und verhandelt, damit in Zukunft auf würdige Weise an die Opfer von Lety erinnert wird. Der Dokumentarfilm „Jožka“ zeigt Jozef Míker bei diesem oft aussichtslos scheinenden Kampf.
„Hier haben wir ein schönes Denkmal. Da sieht man, wie gern uns die Tschechen haben – zum Andenken, dass sie uns damals umbrachten, haben sie uns Schweine dagelassen.“
1973 wurde unmittelbar neben und auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes eine Schweinemastanlage eingerichtet, ausgelegt für 20.000 Tiere. Inzwischen privatisiert, ist sie bis heute in Betrieb. Protagonist Míker und die Filmemacher gehen mit der tschechischen Gesellschaft hart ins Gericht. Zur ersten Vorführung in Tschechien kam in der vergangenen Woche auch Regisseur Hamze Bytyci nach Prag, auf Einladung der Theresienstädter Initiative. Sein Verein „RomaTrial“ sitzt in Berlin und setzt sich mit ganz unterschiedlichen Projekten gegen Rassismus und die Diskriminierung von Sinti und Roma ein.
„Wir haben Jozef vor einem Jahr bei einer Veranstaltung in Dresden kennengelernt. Da haben wir bemerkt, wie absurd es ist, dass so gut wie niemand etwas über dieses Thema weiß. Daraufhin hat er uns eingeladen, am Gedenkakt teilzunehmen, der jedes Jahr in Lety stattfindet. Und wir als Verein RomaTrial haben es auch als Verpflichtung gesehen, unseren Anteil beizutragen.“Pflicht der Mehrheitsgesellschaft
Finanziert wurde der Film unter anderem vom Go East-Filmfestival und vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, seine Premiere feierte er vor zwei Wochen auf dem Festival in Wiesbaden. Während der Dreharbeiten kamen verschiedene Perspektiven zusammen. Jozef Míker bezeichnet sich selbst als „tschechoslowakischen Rom“, Hamze Bytycis Eltern sind Roma aus dem Kosovo, Produzentin Veronika Patočková wiederum ist Tschechin und arbeitet als Wissenschaftlerin beim Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin.
„Ich selbst bin keine Romni. Aber ich denke, dass es leider die tschechische Gesellschaft war, hier im Protektorat Böhmen und Mähren. Natürlich war es in ganz Europa oft so, dass in der NS-Zeit die lokalen Regierungen kollaboriert haben. Deshalb denke ich, ist es die Pflicht der sogenannten Mehrheitsgesellschaft, darauf aufmerksam zu machen, wenn im Jahr 2017 auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers eine Schweinemast steht. Ich als Weiße muss so etwas machen. Denn die Roma haben sich nicht selbst umgebracht – es ist unser Erbe.“
Das Lager Lety, 70 Kilometer südlich von Prag, bestand von 1940 bis 1943. Gegründet als Zwangsarbeitslager, wandelten es die deutschen Besatzer im August 1942 in ein „Zigeunerlager“ um. Von da an wurden ganze Familien dorthin verschleppt. Auf Anordnung der Deutschen überwachten Tschechen das Lager und die Deportationen nach Auschwitz. Dass mehr als 1.300 Menschen in Lety inhaftiert waren und 327 starben, wurde in der tschechischen Öffentlichkeit erst nach dem Fall des Kommunismus bekannt. 1994 entdeckte der amerikanische Ahnenforscher Paul Polansky umfangreiche Archivbestände zu Lety und publizierte seither mehrere Bücher. Nach Druck aus dem Ausland eröffnete der damalige Präsident Václav Havel 1995 die kleine Gedenkstätte beim früheren Lagergelände. Mehrmals wurde seitdem die Schließung der Schweinemast in Aussicht gestellt, bislang ergebnislos. Jozef Míker verfolgt die Sache seit Jahren:„Für Lety engagiere ich mich wohl seit 2002 oder 2003. Es begann Ende der 1990er, als ich meine jetzige Frau getroffen habe – eine tschechische Romka aus der Procházka-Familie. Ihr Großvater und ihr Onkel haben mir viel erzählt, was sie in Lety erlebt haben. Später habe ich Miro Brož kennengelernt, und gemeinsam haben wir in Ustí nad Labem die Organisation Konexe gegründet, gegen Neonazis und für die Rechte von Roma. So haben wir zu kämpfen begonnen, und das machen wir bis jetzt.“Opfernarrativ geht vor
Das Scheitern der Bemühungen begründeten die Politiker zumeist mit den hohen Kosten für den Kauf der Schweinemast. Als die aktuelle Regierung im vergangenen Jahr ankündigte, den Wert des Betriebes schätzen zu lassen, um Kaufverhandlungen aufnehmen zu können, schrieb das Boulevardblatt Blesk: „Die Regierung will bis zu eine Milliarde aus dem Fenster werfen.“ Auch Spitzenpolitiker äußern sich immer wieder negativ über Lety – zuletzt im Herbst 2016 Finanzminister Andrej Babiš (Partei Ano).
„Er hat die Existenz des Konzentrationslagers in Lety bezweifelt und sagte, es sei kein Konzentrationslager gewesen, sondern ein Arbeitslager. Wer nicht arbeiten wollte, sei ruck-zuck dort gelandet. Damit hat er die ganze Geschichte sehr vereinfacht. Als ein anderer Politiker vor Jahren das gleiche gesagt hat, hat sich der Präsident darüber schrecklich aufgeregt. Und heute? Die Meinungen ändern sich, die Menschen ändern sich, die Politiker ändern sich.“Die Ursachen für die Tendenz liegen laut Veronika Patočková sehr tief. Die tschechische Gesellschaft sei bis heute in erster Linie geprägt von der Selbstwahrnehmung als Nazi-Opfer und besetztes Land:
„Ich glaube, dass dieses Narrativ sehr wichtig ist. Die eigene Mitschuld anzuerkennen, wäre ein großer Schritt, der noch zu tun ist. Weil er eben gegen das Narrativ ‚Wir, die armen Opfer‘ ginge. Noch sieht man es so, dass ein Opfer nicht gleichzeitig Täter sein kann. In dem Sinne müsste die Gesellschaft noch erwachsen werden, glaube ich. Dabei kann man auch differenzieren, und sagen, dass es nicht alle Teile der Gesellschaft waren. Zugleich kann man es als Chance wahrnehmen, sich neu zu definieren.“
Die Kritik in „Jožka“ richtet sich vor allem gegen die Versäumnisse auf tschechischer Seite. Aktivisten wie der Journalist Markus Pape oder die Dresdner Gruppe „Gegen Antiromaismus“ fordern jedoch auch mehr Engagement von Deutschland, als Nachfolgestaat der historisch Hauptverantwortlichen. Im Film klingt zudem Kritik an der EU an. Das Europäische Parlament hat in zwei Resolutionen zum Stopp der Schweinemast aufgerufen, doch auch in Brüssel hat Jozef Míker schon demonstriert:„Sie sollten größeren Druck ausüben, auf diese Schweinemast. Dieser Betrieb wurde 1973 für ursprünglich für 20.000 Schweine errichtet. Heute sind dort etwa die Hälfte. Und ohne die Subventionen der EU gäbe es diesen Betrieb vermutlich schon lange nicht mehr. Natürlich weiß ich das nicht zu hundert Prozent. Aber die Tatsache, dass die EU die Schweinemast aus ihren Landwirtschaftsfonds fördert, gefällt mir nicht.“
Bildungszentrum statt Schweinemast
Am vergangenen Samstag ist Jozef Míker erneut zum Gedenkakt nach Lety gefahren. Menschenrechtsminister Jan Chvojka (Sozialdemokraten) sagte der Presse, das Gutachten zur Schweinemast liege vor, die Verhandlungen mit dem Betreiber sollen im Juni beginnen. Ob die wankende Regierung das Ende der Schweinemast in Lety noch in dieser Legislaturperiode besiegeln kann, bleibt abzuwarten. Für Veronika Patočková wäre es erst der Anfang:„Ich glaube fest daran, dass die Schweinemast eines Tages zumacht, aber ich verbinde damit auch Befürchtungen. Denn ich kann mir vorstellen, dass dann viele Leute sagen, mein Gott, so viel Geld wird dafür ausgegeben, das hätten doch unsere Kinder eher brauchen können als die Roma-Kinder. Die Schweinemast störe doch niemanden, das sagte im Film auch ein Passant bei einer Gedenkveranstaltung in Theresienstadt. Sie bringe doch so viele Steuergelder ein, damit würden doch die ganzen Sozialleistungen für die Zigeuner bezahlt … Also, die Schweinemast ist natürlich ein sehr wichtiger Schritt, und sie ist ein Symbol. Aber ich glaube, wir dürfen dann nicht mit unserer Arbeit aufhören. Es braucht noch viel mehr.“
Aufklären über die Roma, ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit in Tschechien will Jozef Míker auch weiterhin. Sein Film soll bald in Schulen gezeigt werden. Für Lety nach der Schweinefarm wünscht er sich ein Bildungszentrum:„Am meisten Sinn sehe ich im Unterricht. Am besten wäre, wenn Jugendliche mit der Schule dorthin fahren. Auch unsere, die Roma-Kinder! Warum gibt es keine Schulausflüge nach Lety, so wie regelmäßig Busse nach Lidice oder Theresienstadt fahren? Bei den Älteren sind die Vorurteile schon eingraviert, aber in den Kindern liegt meine Hoffnung. Dass in Zukunft keine Konzentrationslager mehr gebaut werden, für Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität, Religion oder sexueller Orientierung. Das ist die Hoffnung, die ich habe.“