Junge tschechische Autorin schreibt Roman über Todesmarsch von Brünn
Die Vertreibung ist ein heikles Thema, über das in Tschechien kaum gesprochen wird. Eine junge Autorin hat das Thema nun als Romanstoff aufgegriffen. Vor einem Monat hat sie ihr Buch über den Brünner Todesmarsch veröffentlicht – das Ereignis in der Tschechoslowakei, bei dem die meisten sudetendeutschen Opfer zu beklagen waren. Zum Buch und zu den geschichtlichen Hintergründen nun mehr von Iris Riedel.
In der Nacht des 31. Mai 1945 erging ein Befehl, alle Brünner Deutschen sollten sich bis Mitternacht auf dem Marktplatz versammeln. Dort warteten sie einige Stunden und dann setze sich der Tross in Bewegung. Die Menschen wurden Richtung österreichische Grenze getrieben. Der Brünner Todesmarsch begann, auch für die Romanfigur Gerta Schnirch.
„Sie kann nicht genau sagen, wie lange sie schon so gegangen sind. … Sie ist müde und ihre Begleiterin auch. Sollte sie versuchen anzuhalten und sich auszuruhen? Sie sind schon einige Male an Leuten vorbeigekommen, die auf der Erde oder auf ihrem Koffer saßen. Einige Male haben sie auch gesehen, wie zu ihnen ein junger Mann lief und ihnen mit dem Gewehrkolben den Kopf zerschlug.“
Dies ist ein Auszug aus dem im September erschienen Roman „Die Vertreibung der Gerta Schnirch“ von Kateřina Tučková. Die Vertreibung ist ein Thema, über das man in Tschechien nicht gerne spricht. Die junge Autorin war schockiert, dass sie vom Todesmarsch noch nie gehört hatte, obwohl sie in Brünn aufgewachsen war. Kateřina Tučková:
„Meine Generation weiß darüber fast gar nichts, denn während des Kommunismus wurde das Thema verschwiegen, nach der Wende bildete sich die Gruppe ‚Jugend für interkulturelle Verständigung‘, die erreichen wollte, dass sich die Stadt Brünn offiziell bei den Opfern entschuldigt, aber erfolglos. Dann ist das Thema wieder verschwunden und erst jetzt wird wieder im Zusammenhang mit meinem Buch darüber geredet.“
Der Brünner Todesmarsch endete in jener Nacht im 30 Kilometer entfernten Pohořelice. Dort teilte sich der Strom: Einige, die zu schwach waren, um weiterzuziehen, blieben dort und wurden in der Landwirtschaft eingesetzt. Die anderen zogen am nächsten Tag weiter über die österreichische Grenze. Wie viele Opfer diese spontan organisierte und schlecht geplante Aktion gekostet hat, ist bis heute nicht bekannt. Die Zahlen bewegen sich zwischen 1500 und 10.000 Opfern. Der Historiker Ondřej Matějka erklärt, wie diese Unterschiede in den Schätzungen zustande kommen.
„Es werden bis zu 2000 Todesopfer erwähnt, aber diese Zahl ist nicht bestätigt. Zumal nicht klar ist, wer als Opfer gezählt wird: ob das die Opfer sind, die auf dem Wege nach Pohořelice gestorben sind, oder ob das die Leute sind, die an Typhus erkrankt sind und dann später in Österreich gestorben sind.“
Weil es keine aussagekräftigen Dokumente gibt, kursieren viele verschiedene Ansichten darüber, wie der Todesmarsch genau abgelaufen ist. Strittig ist vor allem, ob Menschen gewaltsam zu Tode gekommen sind. Kateřina Tučková hat versucht, alle möglichen Standpunkte in ihren Roman mit einzubeziehen.
„Ich habe aber niemanden gefunden, der sich dazu bekannt hat, dass er einer der Täter war. Mit diesen hatte ich also keine Gelegenheit zu reden, weil sich dazu natürlich keiner gern bekennt,“ sagt sie.
Tučková hat sich bemüht, in ihrem Roman möglichst genau zu sein, was die historischen Fakten anbelangt. Sie ist den Weg sogar selbst bei Nacht zusammen mit Zeitzeugen und Historikern noch einmal gegangen. Das Schicksal ihrer Romanfigur Gerta Schnirch ist teils aus den Erlebnissen von Zeitzeugen konstruiert, teils erfunden. In Tschechien hat das Buch schon jetzt ein großes Echo hervorgerufen und bald soll es auch ins Deutsche übersetzt werden.