Archaische Bräuche, Abhörpraktiken und geheimnisvolle Gärten

Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums Berlin

Viel Literatur, aber längst nicht nur – so lautet das Programm des Tschechischen Zentrums in Berlin für den Herbst. Mehr im Interview mit der stellvertretenden Direktorin des Zentrums, Christina Frankenberg.

Kateřina Tučková  (Foto: Pavel Hrdlička,  CC BY-SA 3.0)
Frau Frankenberg, um auch mit Literatur zu beginnen: Am 19. Oktober kommt Kateřina Tučková mit ihrem neuen Roman ins Tschechische Zentrum. Das Buch ist hier in Tschechien ein Bestseller. Vielleicht können Sie ein bisschen das Werk und seine Autorin vorstellen…

„Kateřina Tučková ist in Deutschland eigentlich noch gar nicht weiter bekannt. Sie hat zwar ihren ersten Roman – Die Vertreibung der Gerta Schnirch – einem Thema gewidmet, das sehr mit den Deutschen verbunden ist. Und zwar geht es um die Vertreibung einer Familie aus Brünn unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Werk wurde erstaunlicherweise aber noch nicht ins Deutsche übersetzt, obwohl es schon verschiedentlich Lesungen gab aus eigens dafür übersetzten Passagen. Es freut mich aber sehr, dass jetzt der zweite große Roman von ihr ins Deutsche übersetzt wurde und vom Verlag DVA unter dem Titel ‚Das Vermächtnis der Göttinnen‘ herausgegeben wird. Die Übersetzung stammt von Eva Profousová. Dieser Roman spielt in einer sehr geheimnisvollen Landschaft mit archaischen Bräuchen – in die Weißen Karpaten.

„Ganz weit weg von uns und dennoch nicht fern.“

Kateřina Tučková erzählt dabei von einem Geschlecht weiser Frauen, die über Heilkräfte verfügen und die Fähigkeit haben, die Zukunft vorauszusagen. An dem Roman finde ich sehr faszinierend, dass wir in eine archaische Welt geführt werden, die ganz weit weg von uns zu sein scheint, aber dann doch nicht so fern ist. Und die Autorin schafft es, einen Bogen zu schlagen von den fernen Zeiten der archaischen Bräuche bis in die Gegenwart.“

Vielleicht können Sie noch ein paar Worte mehr zur Autorin sagen…

Brünner Todesmarsch  (Foto: ČT24)
„Sehr gern. Kateřina Tučková ist in Tschechien recht bekannt, aber nicht nur als eine viel gelesene Autorin, sondern sie beschäftigt sich auch mit bildender Kunst und hat schon verschiedene Ausstellungen organisiert. Zudem ist sie vor einigen Jahren zusammen mit Freunden die Strecke des ‚Brünner Todesmarsches‘ nachgegangen. Was als ein kleines Projekt begonnen hat, ist dieses Jahr zum Beispiel zu einer großen Veranstaltung geworden, als viele Tschechen auf jenen Weg von Brünn nach Pohořelice nachgelaufen sind, auf dem damals die Deutschen vertrieben wurden. Das geschah zum 70. Jahrestag der Vertreibung.“

‚Die Gärten von Mönch Rabinovič‘  (Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums Berlin)
An dem Marsch hat ja im Übrigen sogar der Brünner Oberbürgermeister teilgenommen. Nur zwei Tage nach der Lesung von Kateřina Tučková wird bei Ihnen eine Ausstellung eröffnet. Und zwar vom russischen Künstler Viktor Pivovarov. Warum zeigen Sie einen russischen Maler im Tschechischen Zentrum?

„Viktor Pivovarov wurde 1937 in Moskau geboren und galt dort als ein Vertreter der halboffiziellen Kunstszene. Anfang der 1980er Jahre siedelte er aber dann nach Tschechien über, wo er sich am unabhängigen kulturellen und intellektuellen Leben beteiligt hat. Seit 30 Jahren liegt also sein Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Tschechien beziehungsweise zuvor in der Tschechoslowakei. Bei uns im Tschechischen Zentrum zeigen wir den Zyklus ‚Die Gärten von Mönch Rabinovič‘. Das sind Ölbilder zum Thema Gärten – ein Thema, das schon seit den 1970er Jahren in Viktor Pivovarovs Werk präsent ist. Dieser Mönch Rabinovič ist eine fiktive Gestalt. Im Ausstellungskatalog kann man im Übrigen auch Briefe dieses Mönches lesen. Die Ausstellung wurde Tomáš Glanc kuratiert. Er ist ein tschechischer Bohemist und Russist, der auch einige Zeit hier in Berlin an der Humboldt-Universität gelehrt hat. Und der Zyklus ist das erste Mal überhaupt außerhalb Tschechiens zu sehen.“

Montags zeigen Sie ja regelmäßig Dokumentarfilme. Der 26. Oktober allerdings fällt etwas aus dem Rahmen, könnte man sagen. Was ist denn geplant?

„Das wird auch für uns eine Überraschung.“

„An diesem Tag werden wir mit dem Prix Europa zusammenarbeiten. Der Prix Europa ist ein Preis, der alljährlich für beste europäische TV-, Radio- und Online-Produktionen verliehen wird. Diese Preisverleihung wird schon seit 1987 veranstaltet. Inzwischen sind 30 europäische Medienhäuser und Institutionen daran beteiligt, seit diesem Jahr auch der Tschechische Rundfunk und das Tschechische Fernsehen. Und zusammen mit dem Prix Europa werden wir am 26. Oktober zwei Filme bei uns vorstellen. Um 18 Uhr zeigen wir Andrea Sedláčkovás Dokumentarfilm ‚Život podle Václava Havla‘, der englische Titel lautet ‚Václav Havel – Living in Freedom‘. Der Film wird mit englischen Untertiteln laufen. In ihrem Dokument zeichnet Andrea Sedláčková das Leben Václav Havels nach – vom unbeugsamen Dissidenten und herausragenden Dramatiker bis zum späteren Staatspräsidenten. Um 20 Uhr werden wir dann einen der Gewinnerfilme zeigen. Der Prix Europa hat mehrere Kategorien im Bereich Dokumentarfilm. Einen dieser Gewinnerfilme wird es dann im Tschechischen Zentrum zu sehen geben. Das wird für uns selbst auch eine Überraschung, weil die Preisverleihung nur drei Tage zuvor stattfindet.“

Foto: Verlag Reclav
Bei uns in den Sendungen haben wir vergangenes Jahr ein Interview mit Antonín Brousek gesendet, er hat den Schwejk in ein zeitgemäßes Deutsch übersetzt. Jetzt hat sich Brousek aber auch noch Erzählungen von Hašek zur Brust genommen und kommt zu Ihnen ins Zentrum…

„Das wird am 3. November geschehen, wenn Antonín Brousek aus dem neuen Erzählungsband lesen dann auch über seine Arbeit erzählen wird. Er hat aus den etwa 1500 Texten mit Kurzprosa, die Jaroslav Hašek hinterlassen hat, ungefähr 50 Geschichten ausgewählt und in einem sehr schönen Band zusammengestellt. Der Band trägt den Titel einer der Erzählungen, und zwar ‚Die Ausrottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán‘. Und all diese Erzählungen, die etwa 10 bis 15 Seiten lang sind, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ungeheuer komisch oder absurd sind. Zugleich sind sie aber auch sehr tiefsinnig. Und ich selbst freue mich auf eine erneute Begegnung mit Antonín Brousek, der nicht nur ein hervorragender Übersetzer ist, sondern auch ein ebensolcher Vorleser. Er weiß zudem, ausgesprochen unterhaltsam und fundiert über seine Arbeit zu sprechen. Ich glaube, das wird ein weiterer sehr unterhaltsamer und zugleich lehrreicher Abend.“

„Spannend wird die Konfrontation des Originals mit dem Remake.“

Last bot not least geht es um Kino. Denn das FilmFestival Cottbus steht Anfang November an, und dessen Schwerpunkt liegt ja auf dem sogenannten osteuropäischen Film. Was gibt es diesmal aus Tschechien dort?

„Wir, also das Tschechische Zentrum, werden dort einen Filmklassiker aus dem Jahr 1970 präsentieren, zusammen mit dem FilmFestival Cottbus: den Film ‚Ucho‘ – ‚Das Ohr‘. Der Streifen beschäftigt sich mit dem Abhörpraktiken der Staatssicherheit in den 1950er Jahren. Die Geschichte handelt von einem stellvertretenden Minister, der zusammen mit seiner Frau von einem rauschenden Fest zurückkehrt und in der Nacht von dem Verdacht beschlichen wird, dass man ihn abhört. Er beginnt dann zusammen mit seiner Frau nach den Wanzen in seinem Haus zu suchen und wird auch fündig. Der Film vermittelt in sehr suggestiven Schwarz-Weiß-Bildern die Atmosphäre der Zeit und die Angst, die über allem schwebte, weil sich niemand sicher sein konnte, dass er nicht selbst irgendwann in politische Ungnade fallen würde. Da der Regisseur Karel Kachyňa und der Drehbuchautor Jan Procházka leider nicht mehr leben, freuen wir uns, dass wir eine der Töchter von Jan Procházka in Cottbus dabei haben. Iva Procházková ist selbst Schriftstellerin und wird in einem Gespräch nach dem Film an die Arbeit ihres Vaters erinnern. Ganz spannend wird die Konfrontation des Originals von ‚Ucho‘ mit einem Remake, das aus diesem Jahr stammt. Der in Prag lebende, aus Mazedonien stammende Regisseur Ivo Trajkov hat unter dem Titel ‚Honey Night‘ ein Remake des Films gemacht. Er hat die Handlung in das Mazedonien der 1990er Jahre versetzt. Ich selbst war sehr erstaunt, wie nahe der Regisseur am Originaldrehbuch geblieben ist, aber die andere Zeit, in der sein Film spielt, und durch die anderen Schauspieler eigentlich ein völlig neuer Film entstanden ist. Wer also etwas Zeit in Cottbus hat, der sollte sich bestimmt beide Kinowerke anschauen. Ansonsten kann ich bisher nur so viel verraten, dass es auch tschechische Filme im Wettbewerb geben wird. Genaueres dazu sagen darf ich leider noch nicht. Aber das Programm wird ab Mitte Oktober auf der Homepage des Filmfestivals nachzulesen sein.“

Autor: Till Janzer
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