Kardinal Schönborn: „Tschechien ist für uns europaweit ein Blickpunkt“

Christoph Schönborn (Foto: Christian Bier, Creative Commons 3.0)

Er gehört zumindest in Europa derzeit zu den bekanntesten Kardinälen: der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn. Geboren wurde Schönborn in Nordböhmen, später knüpfte er Kontakte zu Menschen in der Tschechoslowakei wie zum Beispiel dem heutigen Prager Erzbischof Dominik Duka. Als vor kurzem das Prager Erzbistum den 450. Jahrestag der Widerherstellung der Erzdiözese nach den Hussitenkriegen beging, wurde Schönborn von Papst Benedikt XVI. zur Feier entsandt. Das folgende Interview entstand kurz vor dem Festgottesdienst im Prager Veitsdom.

Christoph Schönborn  (Foto: Christian Bier,  Creative Commons 3.0)
Eminenz, Sie sind in Böhmen geboren. Wie ist Ihre Beziehung zur Tschechischen Republik?

„Die Beziehung zur Tschechischen Republik ist die, dass es meine Heimat ist. Freilich bin ich nicht sehr alt geworden in dieser Heimat – ich war neun Monate alt, als wir nach Österreich gegangen sind. Aber meine ganze Kindheit ist natürlich von den Erinnerungen meiner Eltern geprägt, und so bleibt die Beziehung zur alten Heimat ein wichtiger und wesentlicher Teil meiner eigenen Geschichte.“

Sie haben den Kontakt zu Ihrer Heimat auch während des Kommunismus nicht abbrechen lassen. Die kommunistische Tschechoslowakei haben Sie einige Mal besucht. Wie erinnern Sie sich an diese Besuche?



Dominik Duka
„Das war eine schlimme Zeit, weil es keine Freiheit gegeben hat. Ich sage immer, wir haben zwar die Heimat verloren, aber die Freiheit gewonnen. Die, die hier geblieben sind, haben auch sehr viel verloren, viele haben alles verloren, auch die Freiheit dazu. Dieses Gefühlt der Unfreiheit hat uns am meisten schockiert an der Situation in den kommunistischen Ländern. Die Angst, die Vorsicht, was man sagt, was man tut, das Klima von Verdacht, Bespitzelung – das war schon erschreckend. Aber gleichzeitig habe ich als Erinnerung an diese Zeit eine große Lebendigkeit so zu sagen ´im Untergrund´. Das waren meine Mitbrüder – die heimlichen Dominikaner. Ich erinnere mich gut an Pater Dominik Duka, wie er bei Škoda gearbeitet hat und heimlich Dominikanerpater war. Es war auch eine sehr intensive Zeit. Man hat sehr viel diskutiert und gelesen. Das geistige, das intellektuelle, aber auch das religiöse Leben hatte einen sehr intensiven Platz. Da müssen wir heute in der freien Gesellschaft sehr viel mehr kämpfen, um diese geistige Intensität nicht zu verlieren. Ich hatte einen besonders guten Freund - einen Priester, der als Pfarrer am Land in Čečelice bei Mělník gelebt hat. Er war ein hoch kultivierter Mann, sehr belesen, auch ein geheimer Treffpunkt für Prager Intellektuelle, die hinausgefahren sind zu ihm in den Pfarrhof. Das Gespräch mit ihm war immer sehr spannend, es war ein intensives geistiges und geistliches Leben.“

František de Paula Schönborn - der Ururgroßonkel von Christoph Schönborn
Für die katholische Kirche nicht nur in Tschechien, sondern in der ganzen Welt und vor allem in Europa stellt die sehr säkularisierte Gesellschaft eine Herausforderung dar. Die Kirche sucht danach, wie sie sich gegenüber der Gesellschaft verhalten soll. Wie sehen Sie die Möglichkeiten der Gegenwartskirche, die anderen anzusprechen? Dies betrifft ja die Kirche in Tschechien sowie in Österreich…

„Ich glaube, das Erste und Wichtigste ist, Ja zu sagen zu der Zeit, in der wir leben. Es ist das Heute Gottes. Wir leben nicht gestern, wir leben nicht morgen, wir leben heute. Und ich bin eigentlich froh, dass ich heute lebe. Ich möchte nicht im 19. Jahrhundert leben, ich lebe nicht im 19. Jahrhundert. Die Zeit, als mein Ururgroßonkel hier in Prag Erzbischof war, war eine ganz andere Zeit. Und wir leben auch nicht im Jahr 2050 oder 2100, sondern wir leben heute, und Gott spricht zu uns in dieser Zeit. Er spricht zu allen Menschen, er spricht zu allen Herzen, aber er spricht sozusagen in verschiedenen Sprachen. Das Spannende ist, in einer sehr säkularen Gesellschaft sich als Christen, als gläubige Menschen, nicht zu einer Sekte zu isolieren, aber auch nicht konturlos und formlos sich in der Gesellschaft aufzulösen. Es geht um das Verhältnis von Identität und Offenheit zueinander. Ich denke, Papst Benedikt hat gerade bei seinem Besuch in Ihrem Land großartige Gedanken zum Ausdruck gebracht. Ich werde sie auch in der Predigt ansprechen. Man sagt, er sei so konservativ, aber wenn man dann seine Texte liest und seine Reden hört, ist man immer wieder beeindruckt, wie wach und lebendig er auf die Situation der Zeit eingeht. Und gerade sein Hinhören auf die Agnostiker und die Atheisten und das Suchen nach der Wahrheit das ist etwas ganz Vorbildliches. Denn er hat in Assisi über die Agnostiker, die er auch zum Treffen der Religionen eingeladen hat, gesagt: ´Wir sind gemeinsam auf dem Pilgerweg zur Wahrheit.´ Das sind großartige Worte. Ich denke, das ist auch eine Wegweisung für unsere gesellschaftliche Situation. Gerade Tschechien ist für uns auch europaweit ein Blickpunkt, weil dieses Land besonders säkularisiert ist, aber gleichzeitig die dramatische und spannende Erfahrung des gemeinsamen Ringens um die Freiheit in der kommunistischen Zeit erlebt hat. In diesem Land waren Václav Havel und Dominik Duka in demselben Gefängnis und haben miteinander den Versuch gemacht, in der Wahrheit zu leben, wie Havel das genannt hat. ´Der Versuch, in der Wahrheit zu leben´, heißt ein Buchtitel von Havel. Das ist eine ganz spannende Herausforderung, wo wir gerade von unserem Land, wenn ich es so sagen kann, etwas lernen können.“


Schloss Skalka  (Foto: ČT 24)
Kardinal Schönborn stammt aus einer Adligenfamilie, die eine wichtige Rolle in der Geschichte der Böhmischen Länder spielte. Friedrich Schönborn war im 19. Jahrhundert beispielsweise österreichischer Justizminister. Der Prager Erzbischof František de Paula Schönborn initiierte 1884 die Errichtung des ersten Kollegs für tschechische Theologiestudenten in Rom. Kardinal Christoph Schönborn stammt aus Nordböhmen, er ist auf dem Schloss Skalka / Skalken in Vlastislav geboren. Auch wenn Familie Schönborn kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Loyalität gegenüber dem tschechoslowakischen Staat demonstrierte, wurde sie 1945 vertrieben. Auch eine Petition, die die Bewohner der Gemeinde Vlastislav zur Unterstützung der Schönborns damals verfassten, half nicht.