Karl Suchy und seine Chronik von Kundratitz
Architekt Karl Suchy beschreibt in seiner Chronik von Kundratitz die Geschichte seines Heimatortes im Böhmerwald.
Herr Suchy, Sie haben soeben in St. Maurenzen Ihren historischen Band „Unter dem Joch der Haberfürsten“ vorgestellt. Wie kamen Sie auf den Titel und worum geht es in dem Buch?
„In dem Buch geht es grundlegend um die Geschichte der Gemeinde Kundratitz und der umliegenden Dörfer. Im Fokus steht das Leben auf diesem Gebiet vor 200 oder 300 Jahren. Damals wurde dieses noch durch die Gutsherren bestimmt. Auf der einen Seite haben sie der Bevölkerung Arbeit gegeben. Aber auf der anderen Seite waren die Menschen der Willkür der Gutsherren ausgesetzt. Das war oft sehr schmerzhaft für die Leute. Gerade in der Zeit, als sie noch Leibeigene waren. Das war noch vor Maria Theresia. Das Wort Haberfürsten ist äquivalent mit der Bezeichnung eines Grundherrn. Das Wort bezeichnet Fürsten, die eigentlich keine Fürsten waren. Es war im Grunde genommen ein Schimpfwort, das das Volk sich ausgedacht hat. „Haber“ ist ein alter mittelhochdeutscher Begriff für Hafer. Damit wollte man sagen, dass die Grundherren ihr Geld nur mit Hafer und mit Früchten der Landwirtschaft verdient haben. Mit diesem Schmähwort wollte man die Gutsherren vom Adel unterscheiden. Es ist schließlich in unserer Mundart und unseren Gebräuchen erhalten geblieben. In Bayern existiert heute noch der Begriff ,Haberfeld treiben‘, womit man Negatives assoziiert.“
„Das Buch grenzt sich von den Geschichtsbüchern aus der Schule ab. Ich schreibe nicht über Kaiser und Könige. Ich habe mich mit der Sozialgeschichte auseinandergesetzt.“
Und Kundratitz ist ihr Heimatort?
„Kundratitz ist meine Heimat. Ich bin hier geboren. Dieses Jahr ist es genau 300 Jahre her, dass sich meine Urahnen väterlicherseits zwischen Winterberg und Bergreichenstein angesiedelt haben. Man nannte sie Sucherl. Die große Familie hat sich dann in drei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe ging nach Prag, die andere Gruppe ist dort geblieben. Die dritte Gruppe, zu der auch meine Vorfahren gehörten, kam hierher nach Rogau nach Maurenzen. Unser Name wurde dann im Jahre 1790 zu Suchy.“
Wie alt waren Sie als Ihre Familie vertrieben wurde?
„Ich war sechzehn Jahre alt. Ich wurde 1930 geboren. 1945 war ich im Gymnasium in Kašperské Hory / Bergreichenstein. Die Schulen waren dann für Deutsche geschlossen. Ich sollte nach Mittelböhmen gehen, um dort bei Bauern zu helfen. Über Beziehungen konnte ich dann aber in der Glashütte in Annathal als Lehrling unterkommen. Ich habe dort Schleifen gelernt und ein Jahr lang Glas geschliffen. 1946 sind wir dann nach Bayern vertrieben worden. Dort habe ich das Gymnasium fertig gemacht. Dann bin ich nach München gezogen und habe dort Architektur studiert. Meine Wanderjahre habe ich in Düsseldorf und Wien gemacht. In Wien hat es mir gar nicht gefallen. In Folge dessen bin ich dann wieder zurück nach München gegangen, wo ich im Jahre 1966 ein Architekturbüro gegründet habe. Ich war sehr erfolgreich und habe gut verdient. Dabei habe ich aber sehr viel Glück gehabt. Der Aufbau Deutschlands nach der Zerstörung hat einen großen Teil dazu beigetragen. Das Büro habe ich bis 2007 gehabt. In der Zwischenzeit habe ich schon an der Ahnenforschung gearbeitet. Mit den Forschungen habe ich vor 50 Jahren angefangen. Ich bin einer der Menschen, der Tagebuch schreibt. Hierfür habe ich es verwerten können. In meinem Buch ist die ganze Geschichte der Gemeinde Kundratitz mit den umliegenden Gemeinden Rogau, Ragersdorf, Papiermühle, Mirkau und weiteren Ortschaften aufgearbeitet. Das Buch grenzt sich von den Geschichtsbüchern aus der Schule ab. Ich schreibe nicht über Kaiser und Könige. Ich habe mich mit der Sozialgeschichte auseinandergesetzt. Ich gehe der Frage nach, wie die Leute damals gelebt und gesprochen haben oder wie sie ihre Felder genannt haben. Das waren alles bairische Namen. Mich interessiert, wie der Dialekt entstanden ist und wie er sich erhalten hat. Wir haben früher Wörter verwendet, die in Bayern heute gar nicht mehr existieren. Zudem habe ich vierzig Anekdoten über Geschehnisse geschrieben, die hier passiert sind.“Wann waren Sie das erste Mal im Böhmerwald? Schon während des Kommunismus?
„Das war 1966, also während der kommunistischen Herrschaft. Ich bin mit einem Visum über Österreich eingereist. Mit dabei waren meine Frau und mein kleiner Sohn. Wir haben uns da alles angeschaut. Die Leute, die zu der Zeit in Kundratitz lebten, waren keine Tschechen. Die Stimmung uns gegenüber war nicht gut, dass hat man schnell gemerkt. Wir haben über Frau Weinberger, die einen Tschechen geheiratet hat und in Böhmen geblieben ist, alles erfahren. Wir sind dennoch gut zurechtgekommen und haben ausschließlich gute Erfahrungen gemacht. Das war dann auch die Zeit, in der ich angefangen habe, in den Archiven von Prag und Pilsen zu forschen. Speziell bei den Pilsnern bin ich gut aufgenommen worden. Auch bei den Kommunisten. Die haben keinen Unterschied gemacht. Es lief alles sehr korrekt ab. Ich habe von ihnen Übersetzungen bekommen und noch vieles mehr. Ich war mehr als zufrieden.“Ich erinnere mich, dass Sie damals mit Herrn Prinz, der auch Architekt war, bei der Instandsetzung der Kirche St. Maurenzen dabei waren. Sie haben damals den Förderverein gegründet, von dem Sie jahrelang der Vorsitzende waren.
„Von Havels Gedanken habe ich mich führen lassen.“
„Der Verein wurde 1991 gegründet. Wir waren damals elf Leute, von denen ich heute der Letzte bin. Wir haben beschlossen, dass wir wieder zusammenkommen müssen. Wir hatten große Schwierigkeiten mit unseren eigenen Landsleuten gehabt. Ich habe gewiss auch Dinge gesagt, die den Tschechen nicht gefallen haben. Aber ich habe immer gesagt, dass ein Chronist ehrlich sein und die Wahrheit sagen muss. Von diesem Gedanken, den ich mir von Havel gemerkt habe – dass die Wahrheit und Liebe über Lügen und Hass siegen müssen – habe ich mich leiten lassen.“
Sie kommen, wie ich hörte, regelmäßig zwei Mal im Jahr hierher, um an einer Veranstaltung im St. Maurenzen teilzunehmen.„Ja, ich bin auch noch in der Lage, Auto zu fahren. Ich fühle mich wohl und bin zufrieden. Ich bin sehr viel am Computer. Ich setze mich immer noch mit Ahnenforschung auseinander und erforsche auch andere Dinge via PC. Dieses Buch hat zusätzlich noch 12 Seiten bekommen. Eigentlich ist es schon vor 40 Jahren entstanden. Durch den Zugang zum Internet habe ich noch sehr viel mehr eingebaut. Der Lektor hat mir bescheinigt, dass das Buch sehr wertvoll sei und dass es noch weiter verbreitet werden solle. Wir haben nur 130 Stück gemacht, die praktisch schon alle verkauft sind.“
Sie haben das Buch in St. Maurenzen vorgestellt. Haben Sie es auch schon in Deutschland an die Öffentlichkeit gebracht?
„Nein, ich habe es nur Bekannten vorgestellt. Und dabei sind die 130 Stück auch verkauft worden. Die Themen des Buches sind sehr breit gefächert. Es geht um Familien, aber auch um Sonderlinge, die hier einst gelebt haben. Es gibt zum Beispiel eine Mühle hier in Mirkov. 1883/1884 hat sich in dieser Mühle Hugo Schenk, einer der größten Frauenmörder der Monarchie versteckt. Sieben Frauen hatte er das Leben genommen. Im Jahr 1884 wurde er erhängt. Über diesen Justizfall hat sogar die Prager Zeitung berichtet. Der ,Rasende Reporter‘ Egon Erwin Kisch hat einen langen Artikel über diesen Fall geschrieben.“
„Es ist ein wunderbares Gefühl, wie Sankt Maurenzen von den Tschechen angenommen wurde.“
Ich kann mir vorstellen, dass auch in Tschechien Interesse an diesem Band besteht.
„Ich habe das Buch neun oder zehn Wissenschaftlern aus Prag verkauft. Ob das Buch irgendwann einmal übersetzt wird, kann ich nicht sagen.“
Arbeiten Sie an den Forschungen noch weiter?
„Ja es geht schon wieder weiter, weil ich neue Anknüpfungspunkte bekommen habe. Es gibt leider keine Zeitzeugen mehr, da alle gestorben sind. Durch das Internet komme ich mit meiner Arbeit gut voran.Heutzutage besuchen auch viele Tschechen St. Maurenzen. Um die Kirche kümmert sich eine Gruppe von jungen Tschechen. Haben Sie das Anfang der 1990er Jahre erwartet, dass St. Maurenzen zu einer Art Treffpunkt wird?
„Es ist ein wunderbares Gefühl zu sehen, wie das von den Tschechen angenommen wurde. Das habe ich schon auch dem Generalvikar gesagt. Es kommen so viele Tschechen hierher. Das haben wir 1991 niemals erwartet.“