Kein Spielball der Mächte mehr: Seit 25 Jahren gehört Tschechien der Nato an

Es war eines der wichtigsten Ziele nach der Samtenen Revolution hierzulande: die Einbindung in westliche Strukturen. Der erste Schritt dahin kam schneller, als sich viele vielleicht erhofft hatten. Schon 1999 wurde Tschechien zusammen mit Polen und Ungarn Mitglied der Nato. An diesem Dienstag jährt sich der Beitritt zum 25. Mal.

Seit 25 Jahren gehört Tschechien der Nato an. Zusammen mit Polen und Ungarn trat das Land 1999 dem Bündnis bei. Die Beitrittsurkunde unterschrieb damals Staatspräsident Václav Havel. Dies sei ein Schritt von historischer Bedeutung auch für künftige Generationen, sagte er bei seiner Ansprache. Und weiter:

Václav Havel | Foto: Tomáš Adamec,  Tschechischer Rundfunk

„Dieser Akt gibt uns die Hoffnung, dass unser Land nie mehr einem Aggressor unterliegt oder geopfert wird. Zugleich drückt er unseren Willen aus, die Freiheit der Völker, die Menschenrechte und die demokratischen Werte mit zu verantworten – ebenso wie den Frieden auf unserem Kontinent.“

Obwohl Havel die Urkunde schon am 26. Februar unterschrieb, kam es erst zwei Wochen später auch offiziell zum Beitritt. Dies geschah am 12. März 1999 bei einem feierlichen Akt in der Stadt Independence im amerikanischen Bundesstaat Missouri. Die Außenminister aus Tschechien, Polen und Ungarn übergaben dabei jeweils die Ratifizierungsurkunden ihrer amerikanischen Amtskollegin Madeleine Albright. Und die US-Außenministerin sagte in ihrer Rede zu diesem Anlass:

„Der 12. März 1999 geht in die Geschichte als der Tag ein, als Ungarn, die Tschechische Republik und Polen durch die offene Tür der Nato spaziert sind und ihren berechtigten Platz im Nordatlantikrat eingenommen haben. Ich sage den Dreien, dass nun Präsident Clintons Versprechen erfüllt ist: Niemals mehr wird Euer Schicksal wie Pokerchips auf einem Spieltisch herumgeschoben werden.“

Die früheren Ostblock-Länder seien nun echte Alliierte und würden damit endlich nach Hause kommen, so Albright weiter.

Madeleine Albright | Foto: Tomáš Adamec,  Tschechischer Rundfunk

Für Tschechien war es ein Glück, dass gerade sie damals amerikanische Außenministerin war. 1937 in Prag zur Welt gekommen, wusste Madeleine Albright genau, worum es für die Staaten in Mitteleuropa ging.

Michal Smetana ist Politologe an der Prager Karlsuniversität und beschäftigt sich besonders mit Fragen der Sicherheitspolitik. Im Interview für Radio Prag International betont er:

„Definitiv hat Staatspräsident Václav Havel auf einen Beitritt gedrängt. Aber ebenso Madeleine Albright auf der amerikanischen Seite. US-Präsident Bill Clinton machte gerne den Witz, dass Tschechien gleich zwei Botschafter habe – einen in Prag und den anderen in Washington. Albright hat sich innerhalb der USA dafür eingesetzt, die Agenda durchzubekommen.“

Der Beitritt erfolgte nur zehn Jahre nach der politischen Wende, nach dem Sturz der kommunistischen Regime im östlichen Mitteleuropa. Smetana betont, dass die drei Staaten noch in den frühen 1990er Jahren sicher nicht bereit gewesen seien, sich der Allianz anzuschließen. Und dass in Prag, Warschau und Budapest viele Anstrengungen für den Beitritt nötig waren…

Michal Smetana | Foto: Ian Willoughby,  Radio Prague International

„Der Nato beizutreten erforderte Reformen – zuallererst natürlich im militärischen Bereich, aber auch politische. Insgesamt war der Prozess nicht so leicht, wie es vielleicht heute scheinen mag. Es war überhaupt nicht klar, dass Tschechien schon in den 1990er Jahren der Nato würde beitreten können. Als dies dann 1999 geschah, gehörte die Slowakei zum Beispiel nicht zu dieser Erweiterungsrunde. Das lag zum einen daran, dass die politischen Reformen noch nicht zu Ende gebracht waren, zum anderen aber an der Regierung von Vladimír Mečiar. Es bestand also eher ein politisches Problem. Die militärischen Reformen in Tschechien waren ziemlich umfassend. Schließlich musste die Armee aus der sowjetischen Zeit innerhalb des Warschauer Paktes überführt werden in Streitkräfte, die innerhalb der Nato interagieren können und sich an die Doktrin des Paktes halten. Das betraf unter anderem die Beschaffungspraxis und eine Ausrüstung nach den Standards des Nordatlantikabkommens. Dahinter standen ziemlich hohe Investitionen“, so der Wissenschaftler.

Hohe Zustimmung zum Bündnis

Nur wenige Tage nach dem Nato-Beitritt wurde auch Tschechien vor eine harte Bewährungsprobe gestellt. Denn das Bündnis entschied sich wegen des anhaltenden Konflikts um den Kosovo, die Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren. 12.000 bis 15.000 Menschen kamen bei den Luftschlägen ums Leben, darunter auch mehrere Hundert Zivilisten, obwohl eigentlich nur militärische Ziele getroffen werden sollten. Politologe Smetana:

In den heutigen Umfragen ist die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft aber immer noch hoch.

„Die Einmischung der Nato in den Konflikt im Kosovo wurde damals von vielen Menschen sehr kontrovers aufgefasst. Wir sind dem Bündnis also in einer Zeit beigetreten, als die Frage gestellt wurde, ob der Nordatlantikpakt dies überhaupt als seine Aufgabe wahrnehmen soll. In den heutigen Umfragen ist die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft aber immer noch hoch – obwohl zahlreiche Menschen hierzulande eher in Richtung Osten als in Richtung Westen gucken.“

Im Juli vergangenen Jahres lag die Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft Tschechiens laut einer Umfrage der Meinungsforschungsagentur CVVM bei 67 Prozent – und die Ablehnung bei 25 Prozent. Das waren ziemlich genau die Werte, die auch unmittelbar nach dem Beitritt zum Bündnis vor 25 Jahren ermittelt wurden.

So sehr Tschechien bei der Sicherheit von der Einbindung in die nordatlantischen Strukturen profitiert, konnte man aber auch selbst etwas einbringen. Zum einen war dies die unbestrittene Erfahrung der neuen Mitglieder als frühere Länder des Ostblocks. Das zahlte sich beispielsweise in den UN-Friedensmissionen im früheren Jugoslawien aus, wobei die tschechische Armee dabei auch bewies, dass sie sich in internationale Formate integrieren kann. Aber nicht nur das. Denn die Streitkräfte haben auch allgemein einen Reifeprozess durchlaufen…

Foto: Romana Spitzerová,  Tschechische Armee

„Einer der Schlüsselaspekte ist die Spezialisierung. Wir sind bekannt geworden für unsere gute ABC-Abwehr – also die gegen atomare, biologische und chemische Waffen. Und das wurde auch innerhalb der Nato begrüßt. Wir sind aber auch hinsichtlich der Rüstungsausgaben reifer geworden, da wir es endlich geschafft haben, sie auf das geforderte Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben. Dies war einer der Kritikpunkte jener Staaten gewesen, die dieser Forderung schon früher nachgekommen sind“, sagt Smetana.

Tatsächlich wird das Zweiprozentziel aber erst dieses Jahr erreicht – falls der Haushalt des liberal-konservativen Kabinetts von Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) so aufgeht, wie geplant.

Foto: VHÚ

Insgesamt sieht man sich hierzulande gut aufgestellt innerhalb der Nato. So sagte der Botschafter bei der Nato, Jakub Landovský, in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:

„Wir sind ein guter Verbündeter, der alle Bedrohungen in seiner Umgebung ernst nimmt – nicht nur Russland. Und wir haben in der Allianz einen hervorragenden Ruf. Denn die Tschechische Republik unterstützt das Bündnis nicht nur mit Worten, sondern wir passen auch unsere Rüstungsindustrie an, und wir schicken über das Maß hinaus Soldaten zu internationalen Missionen und Einsätzen.“

Jakub Landovský | Foto:  Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Noch weit vor der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen halfen tschechoslowakische Soldaten indes bereits dem Westen – und zwar als ABC-Abwehrtruppen 1990/91 im Zweiten Golfkrieg. Ab 1999 haben sich insgesamt rund 3000 tschechische Militärs an Auslandseinsätzen beteiligt. Aber so richtig sei man erst in Afghanistan auf die Probe gestellt worden, sagt Generalmajor Jiří Vlček aus dem Generalstab der tschechischen Armee:

„Da haben wir schrittweise unterschiedliche Fähigkeiten getestet. Zunächst war es das Militärkrankenhaus, danach waren wir in ein Provinzaufbauteam eingebunden, das afghanische Soldaten ausgebildet hat. Diese Mission war grundlegend, was das Gefahrenpotenzial vor Ort anbetraf. Bei den anderen Einsätzen gab es dies nicht in der Art.“

Insgesamt 20 tschechische Soldaten starben seit den 1990er Jahren bei Auslandseinsätzen – und neun von ihnen in Afghanistan.

Beistandsklausel noch garantiert?

Die Nato erlebt derzeit eine Renaissance. Angesichts der Aggression Russlands in der Ukraine ist vergangenes Jahr bereits Finnland dem Bündnis beigetreten, und in diesen Tagen auch Schweden. Der Nordatlantikpakt erweise sich als notwendig für die Sicherheit in Europa, findet Politologe Smetana:

„In den frühen 1990er Jahren gab es Befürchtungen, dass sich die Nato überlebt habe und ob sie in der neuen Welt weiterbestehen solle – nachdem sie vier Jahrzehnte lang der Gegner des Warschauer Paktes gewesen war. Das Bündnis hat sich in der Folge in all den Missionen im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Afrika engagiert. Das erforderte allerdings eine etwas andere Struktur der Armeen als zuvor. Nicht alle waren jedoch überzeugt, dass dies das Ziel der Nato sein sollte. Der erste Weckruf kam dann mit der russischen Besetzung der Krim im Jahr 2014. Damals begann man wieder in der Richtung zu denken, dass es zu einem Konflikt mit einem Land kommen könnte, das Atomwaffen und eine große konventionelle Armee besitzt – und dass dies die Einheit der Nato auf eine Probe stellen könnte. Wenn 2014 ein Weckruf war, dann könnte man 2022 als eine sehr laute Alarmglocke bezeichnen. Mittlerweile glauben die meisten Mitgliedsländer, dass die Bedrohung durch Russland die Daseinsberechtigung für die Nato darstellt. Zudem gibt es eine Debatte über einen möglichen Konflikt mit China. Wir leben in einer Gegend, in der zwei große Mächte im Wettstreit sind. So wird es zumindest allgemein in der Nato wahrgenommen. Zwar bestehen auch viele Probleme im Bündnis selbst, dazu gehört aber nicht die Frage, ob es die Nato wirklich geben sollte.“

Petr Pavel | Foto: Khalil Baalbaki,  Tschechischer Rundfunk

Allerdings sind zuletzt wieder Diskussionen aufgekommen. Die eine betrifft den möglichen Einsatz von Soldaten aus Nato-Staaten in der Ukraine. Die andere die Frage, ob nach einer möglichen Wahl von Donald Trump zum nächsten amerikanischen Präsidenten der uneingeschränkte Schutz aller Nato-Mitglieder überhaupt noch garantiert werden kann. Michal Smetana glaubt jedoch, dass der entsprechende Artikel fünf des Nordatlantikvertrags, also die Beistandsklausel nicht so einfach aufgeweicht wird:

„Ich denke, es wäre eine große Gefahr, wenn man einem Nato-Verbündeten nicht zur Hilfe kommen würde. Die Konsequenzen für die kollektive Verteidigung und die gemeinsame Sicherheit im transatlantischen Raum wären so enorm, dass es einen riesigen Druck gebe hin zu einer aktiven Verteidigung jedes Nato-Mitglieds.“

Und so gibt es wohl genügend Gründe, die erste Nato-Osterweiterung von 1999 gebührend zu feiern. Hierzulande geschieht dies am Dienstag mit einem Festakt bei einer Konferenz auf der Prager Burg. Auf tschechischer Seite wird die Feier übrigens von einem ehemaligen Nato-General geleitet: von Staatspräsident Petr Pavel.

Autor: Till Janzer | Quelle: Český rozhlas
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