Kleines Feuilleton über den technischen Vorsprung

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Um König Fußball und den Vorsprung durch Nicht-Technik dreht sich in dieser Woche das Radio Feuilleton - diesmal aus der Feder von Thomas Kirschner.

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Fußball-Weltmeisterschaft, das heißt Ausnahmezustand. Unser Redaktions-Sportfex Lothar Martin hat das in den letzten Tagen auf diesen Wellen immer wieder ausgeführt und auch selbst belegt. Und selbst der Schreiber dieser Zeilen, sonst dem Sportgeschehen eher mit dem freundlichen Interesse des Außenstehenden verbunden, fühlte angesichts des allgegenwärtigen Fußball-Trubels, wie sich Keime des Enthusiasmus und der Drang zur Vergesellschaftung in ihm regten, und so begab er sich in die Gaststätte, um ein Spiel der damals noch hoffnungsfrohen tschechischen Auswahl im Nährbett des Kollektivs mitzuverfolgen.

War es nun der schöne Sonnenschein oder war es die frühe Nachmittagsstunde: der Drang zur Gemeinschaft war dann doch nicht so groß wie der Gegendruck von Bierdunst, Qualm und Presslufthupe, mit denen rot-weiß-blau trikolorierte Fans die Schankräume zur Fußball-Walhall umgestaltet hatten. Aber es blieb ja noch die Gasthaus-Terrasse, die bei dem nationalen Ereignis selbstverständlich nicht unbebildert bleiben durfte. Und so thronte auf einem provisorischen Abstelltischchen der Vorgänger von Satellitenempfänger und Plasmamonitor, wie sie in der Schankstube installiert sind - ein einfacher Tischfernseher Marke Tesla aus sozialistischer Produktion mit aufgesetzter Zimmerantenne, aus einer Rumpelkammer hervorgezogen vom wohlmeinenden Wirt. Und während Trainer Brückner im fernen Deutschland mit den Spielern die letzten Vorbereitungen für das Match durchging, machte der Wirt gleiches mit dem alten Tesla-Modell: Hier und da einen freundschaftlichen Schlag, Dehnübungen an allen Schaltern und immer wieder der prüfende Blick einen Schritt zurück. Schon vor dem Anpfiff durfte man sich sicher sein: Wenn Stürmer-Star Milan Baros den Ball mit dem gleichen Gefühl behandelt, mit dem der Wirt an der Zimmerantenne schiebt, um die letzten Streifen vom Bild zu bekommen, dann kann eigentlich gar nichts schief gehen. Ein Déjà vu der fast vergessenen Zeiten, als es noch Testbilder und Mittagspausen im Fernsehprogramm gab. Ein Rückblick in eine Fernsehzeit, die der heutigen in Vielem hinterher war - zugleich aber auch um drei Sekunden voraus, wie sich bald zeigen sollte.

Denn so, wie ein Kurzpass von Rosicky auf Nedved im Mittelfeld weniger Zeit braucht als ein langer Abschlag von Torhüter Cech in den Lauf von Rechtsaußen Karel Poborsky, so braucht auch das Fernsehbild vom Funkturm zur Zimmerantenne weniger Zeit als die orbitale Bananenflanke über den Fernsehsatelliten und Empfänger. Etwa drei Sekunden war das alt gediente Tesla-Modell seinen Plasma-Kollegen voraus. Mit dem Ergebnis, dass auf der Terrasse schon gestöhnt oder gejubelt wurde, während in der Schankstube der Ball noch ruhig am Eckfähnchen lag. Sehr zum Missfallen des Fanblocks in der Gaststube versteht sich, dafür aber zur Freude des Nostalgikers, der gelernt hat, dass "Vorsprung durch Technik" nicht immer mit technischem Fortschritt zusammenhängt.

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