Kommunistische Agenten in tschechischen Ministerien

Am vergangenen Freitag schreckte Innenminister Stanislav Gross die tschechische Öffentlichkeit mit der Nachricht auf, dass rund einhundert ehemalige Staatssicherheitsdienstagenten in den Jahren 91/92 fälschlicherweise sogenannte Unbedenklichkeitserklärungen erhalten hätten und in der Folge weiterhin in tschechischen Ämtern und Behörden, vor allem im Verteidigungsministerium, im Dienst seien. Über die Flut der gegenseitigen Schuldzuweisungen, die dadurch ausgelöst wurde, aber auch über die Hintergründe des Skandals und die nun angestellten Nachforschungen erfahren Sie mehr in diesem Schauplatz von und mit Olaf Barth.

Nach der Wende galt in der dann demokratischen Tschechoslowakei ab 1991 ein Lustrationsgesetz, das auch in Tschechien in veränderter Form erst im November wieder verlängert wurde. Dessen Ziel war und ist es nach wie vor, ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern den Zugang zu höheren öffentlichen Ämtern zu verwehren. Jeder Bewerber für einen solchen Posten muss eine vom Innenministerium ausgestellte Unbedenklichkeitserklärung vorlegen, die, wie bisher angenommen, erst nach eingehender Durchleuchtung der Vergangenheit der Person ausgestellt wird. Dass dies jedoch häufig gar nicht der Fall war, beweisen die mehr als einhundert negativen Lustrationszeugnisse, die ehemaligen Agenten des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes (StD) ausgestellt wurden.

Öffentlich gemacht wurde dieser Skandal am Freitag vergangener Woche von Innenminister Stanislav Gross, dessen Ressort bei einer Neuprüfung über einhundert Fälle falscher Unbedenklichkeitserklärungen aufgedeckt hatte. Etliche weitere Fälle kamen im Verlauf der Woche noch dazu. Aufgefallen waren die Ungereimtheiten aber zuerst Sicherheitsexperten des Verteidigungsministeriums, wie dessen Chef Jaroslav Tvrdik erklärte. Man hatte acht Mitarbeiter ausfindig gemacht, deren Unbedenklichkeitserklärungen nicht zu ihrer Vergangenheit passten. Daraufhin habe man das Innenministerium auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht, berichtete Tvrdik.

Die Minister Gross und Tvrdik kündigten unter der Woche an, ihre beiden Ministerien würden sowohl bei der Suche nach weiteren fälschlicherweise Reingewaschenen als auch bei der Fahndung danach, wo die überführten Personen heute Dienst tun, zusammenarbeiten. Denn, so Gross:

"Es liegt sowohl im Interesse des Innen- als auch des Verteidigungsministeriums, dass alle Fehler, die in diesem Zusammenhang aufgetaucht sind und die in den Jahren 91/92 begangen wurden, aufgeklärt und korrigiert werden."

Die Frage, die sich zuerst aufdrängt, nämlich, ob denn nicht der Lustrationsprozess als solches an Glaubwürdigkeit verloren hat oder ob es vielleicht sogar so war, dass häufig einfach Persilscheine ausgestellt wurden, trat schnell in den Hintergrund. Und auch der Innenminister antwortete auf die Frage nach der Glaubwürdigkeit des gesamten Verfahrens nur ausweichend:

"Naja, das Lustrationsgesetz gilt weiterhin und deshalb müssen wir natürlich auch danach handeln. Unsere eindeutige Pflicht ist es, die Lustration durchzuführen - etwas anderes bleibt uns nicht übrig."

Stattdessen war nunmehr die Treibjagd auf den oder die möglichen Verantwortlichen eröffnet. Gross hatte frühzeitig erklärt, der Fehler liege eindeutig beim Innenministerium, also bei denen, die in den Jahren 1991/92 dort verantwortlich waren. Der ehemalige stellvertretende tschechoslowakische Innenminister und heutige tschechische Vizesenatsvorsitzende, Jan Ruml von der Freiheitsunion, war schnell ausgedeutet. Allen voran nutzte der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses Vaclav Klaus die Gelegenheit, ein paar Salven in Richtung seines ehemaligen Parteigenossen abzufeuern:

"Herr Minister Ruml, der ja zuvor auch Stellvertreter im tschechoslowakischen Innenministerium war, sollte erklären, wie es dazu kommen konnte."

Ruml hatte zunächst auch eingeräumt, er erinnere sich, dass es in Bezug auf eine militärische Einheit des Staatssicherheitsdienstes(StB) zu Schwierigkeiten bei der Überstellung von Dokumenten an das Innenministerium gekommen sei. Die geforderten Unterlagen wären entweder gerade nicht auffindbar gewesen oder erst viel zu spät weitergereicht worden. So dass die betroffenen StB-Agenten letztlich ein negatives Zeugnis - also eine Unbedenklichkeitserklärung - erhalten hätten. Ein paar Tage später aber setzte sich der immer stärker in die Kritik geratene ehemalige Innenminister Ruml gegen die Vorwürfe zur Wehr, schließlich sei er in dem fraglichen Zeitraum für die Polizeieinheiten der Föderation zuständig gewesen. Die Lustrationsfrage habe zu den Obliegenheiten des damaligen Innenministers Jan Langos und dessen Nachfolgers Petr Cermak gehört.

Eigentlich sehe er die Verantwortung aber eher auf Seiten des damaligen Verteidigungsministeriums und dessen Ressortleiters Lubos Dobrovsky, da die fraglichen Unterlagen zu spät überstellt worden wären. Und zur Kritik an seiner Person sagte Ruml:

"Die gegen meine Person gerichteten Anschuldigungen, vor allem seitens Herrn Klaus und Herrn Zemans, kann ich nur als politische Angriffe bezeichnen - mit dem Ziel, meine Person und meine Arbeit unglaubwürdig zu machen."

Der so ins Spiel gebrachte ehemalige föderale Innenminister Jan Langos - ein Slowake - äußerte diese Woche gegenüber einer slowakischen Tageszeitung, die gesamte betroffene Abteilung des StB sei schon vor den Wahlen 1990 noch unter seinem Amtsvorgänger Richard Sacher aus dem Innenministerium in das damals von Miroslav Vacek geleitete Verteidigungsministerium verlagert worden. Dies bestätigte der ehemalige Innenminister Sacher eilfertig und fügte hinzu, Verteidigungsminister Vacek habe überdies starkes Interesse an der Überstellung gezeigt. Damit liegt der Schwarze Peter vorerst bei Miroslav Vacek.

Kurz und gut: Momentan wird die Verantwortung einfach von Einem zum Anderen geschoben und es fällt offensichtlich allen schwer, noch den Überblick zu behalten - was möglicherweise auch Zweck der Übung ist. Es erscheint daher mehr als fraglich, ob die vom Innenministerium in dieser Sache erstattete Anzeige wegen Amtsmissbrauch überhaupt jemals gegen eine konkrete Person vorgebracht werden kann.

Eine weitere heikle Frage in diesem Zusammenhang war die, wie man seitens der NATO darauf reagieren würde, dass ehemalige StB-Agenten immer noch im Verteidigungsministerium und möglicherweise auch in anderen Ministerien anzutreffen sind. Doch in dieser Sache kam schnell frohe Kunde: Die NATO sähe die Angelegenheit gelassen und die Tschechische Republik habe von dieser Stelle keine negativen Auswirkungen zu befürchten, hieß es aus Brüssel.

Und Innenminister Gross konnte den NATO-Oberen denn auch versichern:

"Was die Brüsseler Nato-Zentrale betrifft kann ich eindeutig ausschließen, dass irgendwelche vorbelasteten Personen dort Zugang haben. Denn dort müssen alle Mitarbeiter strenge Bedingungen gemäß dem Gesetz über den Schutz von Geheimdaten erfüllen. Und im Rahmen dieser Untersuchungen wäre man mit Sicherheit darauf gekommen."

Mich interessierte, wie ein ausgesprochener Kenner der tschechischen Politszene diesen Skandal beurteilt, darum befragte ich den Politologen Robert Schuster vom "Institut für internationale Beziehungen":

Autor: Olaf Barth
abspielen