Konferenz „Vergesssene Helden“ in Ústí nad Labem

'Vergesssene Helden'

Ende vergangener Woche fand in Ústí nad Labem / Aussig eine zweitägige Konferenz unter dem Titel „Zapomenutí hrdinové“ / „Vergessene Helden“ statt. Die Tagung befasste sich dem Schicksal jener Sudetendeutschen, die sich aktiv gegen die Okkupation von Teilen der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland gewehrt hatten. Trotzdem mussten auch die meisten dieser „Helden“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Land verlassen. Neben zahlreichen Fachleuten nahmen auch Spitzenpolitiker aus Deutschland und Tschechien an der Konferenz teil. Radio Prag war dabei.

Die vergangenen Donnerstag eröffnete Konferenz bildet den Abschluss eines mehrjährigen Forschungsprojekts. Beschlossen hat es im August 2005 die damalige tschechische Regierung unter der Führung des sozialdemokratischen Premierministers Jiří Paroubek. Mit der Durchführung beauftragt wurde das Institut für Zeitgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Realisiert wurde es gemeinsam mit Partnerinstitutionen wie zum Beispiel der Universität Ústí nad Labem, dem Städtischen Museum Ústí und dem Collegium Bohemicum. Den Ablauf der Forschungsarbeit erläutert der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Oldřich Tůma:

„Ganz zu Beginn des Projektes stand eine umfassende Informationskampagne. Sie hatte zum Ziel, Zeitzeugen zu finden, die uns Historikern Ihre Erlebnisse schildern konnten. Dank dieses Aufrufs haben uns insgesamt 130 Zeitzeugen kontaktiert. Wir haben mit ihnen Interviews aufgenommen oder sie haben uns historische Fotos und Dokumente gegeben. In Zusammenarbeit mit dem Nationalarchiv haben wir eine Datenbank dieser sudetendeutschen Widerstandskämpfer angelegt. Heute umfasst sie mehr als 110.000 Einträge zu den einzelnen Personen.“ Auch für eine umfassende Präsentation der Projekte hat man gesorgt.

„Im Rahmen des Projektes sind bisher neun Publikationen verschiedenster Art erschienen. Das ist aber sicher noch nicht die endgültige Anzahl. Ein sehr wichtiger Bestandteil ist auch die ständige Ausstellung im Museum in Ústí, die die Ergebnisse präsentiert. In diesem und im vergangenen Jahr ging auch eine Wanderausstellung zum Thema ‚Vergessene Helden‘ durch verschiedene Orte.“

Ein weiterer Teil des Projekts war ein Programm für Grund- und Mittelschulen, das ingesamt 56 Schulprojekte zum Thema „Vergessene Helden“ unterstützt hat. Außerdem wurde mit Mitteln des Forschungsprojektes die Produktion von drei Dokumentarfilmen unterstützt. Zudem haben die Wissenschafter eine Internetseite gestaltet, auf der alle Forschungsergebnisse abrufbar sind.

An der Eröffnung nahmen Spitzenpolitiker aus Deutschland und Tschechien teil, unter anderem die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Susanne Kastner, der tschechische Außenminister Karel Schwarzeberg, der tschechische Staatsminister und Vorsitzende des Legislativrates, Cyril Svoboda und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Gekommen waren auch der deutsche Botschafter Helmut Elfenkämper und seine österreichische Amtskollegin, Margot Klestil-Löffler. Sie strich im Radio-Prag Gespräch die Bedeutung der Konferenz für die Beziehungen zwischen beiden Ländern hervor:

Minister Petr Gandalovič und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Susanne Kastner  (Foto: ČTK)
„Sie wissen ja, dass das Projekt auch iniitiert wurde vom damaligen Bürgermeispter von Ústí nad Labem Petr Gandalovič, der heute Landwirtschaftsminister ist. Ich habe es von Anfang an sehr unterstützt. Ich war auch bei den Veranstaltungen immer dabei. Ich glaube, wir sollten Petr Gandalovič dafür danken, dass er diese mutige Idee hatte, dieses Projekt auf die Beine zu stellen. Das ist für die Österreicher genau so wichtig wie für die Deutschen. Es geht um unsere gemeinsame Vergangenheit, die wir auch gemeinsam bewältigen müssen. Wir hatten immer auch Vortragende aus Österreich dabei, auch im Vorjahr. Wir unterstützen das Projekt und unsere Anwesenheit heute zeigt ja auch, dass wir voll mitmachen.“

Sächsischer Ministerpräsident Stanislaw Tillich  (links) und tschechischer Außenminister Karel Schwarzenberg  (Foto: ČTK)
Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg hob ebenfalls die Bedeutung des Projektes für die Aufarbeitung der gemeinsamen Vergangenheit hervor. Ganz dem Anlass entsprechend, gab Schwarzenberg seine Interviews zweisprachig.

„Das Projekt ist ein positiver Beitrag zu den tschechisch-deutschen Beziehungen. Es ist wichtig, dass wir an die deutschen Bürger der Tschechoslowakei erinnern, die sich gegen Hitler gestellt haben. Vor allem aber müssen wir uns hier in Tschechien in Erinnerung rufen, dass wir damals nicht alleine waren. Dass es unter unseren deutschen Mitbürgern Menschen gab, die auf derselben Seite der Barrikaden standen. Sie haben besonders große Tapferkeit gezeigt, weil sie oft alleine dastanden. Diesen Mut können wir gar nicht hoch genug auszeichnen. Es ist auch eine Sache des eigenen Gewissens. Ich habe als Kind selbst erlebt, dass man sagte: Alle Deutschen sind schuldig. Wir müssen alle vertreiben und so weiter. Wir sollten endlich auch darüber nachdenken. Wissen Sie, ich gehöre noch zu jener Generation, die dies selbst erlebt hat. Daher weiß ich, dass leider nach dem Krieg gesagt wurden, dass wir alle in unserem Denken vom Nazismus angesteckt waren.“

Herr Minister, glauben Sie, dass dieses Projekt auch die österreichisch-tschechischen Beziehungen positiv beeinflussen wird?

„Ich glaube ja, weil natürlich die damalige Sozialdemokratie sehr innige Beziehungen mit der österreichischen Sozialdemokratie gehabt hat. Wir dürfen nicht vergessen, die meisten Führer der österreichischen Sozialdemokratie stammten aus den böhmischen Ländern. Das wird heute sehr vergessen. Ob es Karl Renner war, ob es Viktor Adler war et cetera et cetera. Da war dieser Einfluss sehr bedeutend. Und natürlich haben diese Parteien sehr eng zusammengearbeitet.“

Fahne der deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei aus der Zeit nach 1933  (Foto: ČTK)
Dieses Projekt wird also jetzt die Beziehungen jetzt vertiefen, verbessern? Es gibt ja Probleme...

„Ich hoffe es. Aber wie ich gesagt habe, es dient - glaube ich - vor allem dazu, dass wir im Lande selber etwas gründlicher über unsere Vergangenheit nachdenken.“

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich sorgte anlässlich der Eröffnung für Aufsehen und spontanen Applaus, als er seine Begrüßungsworte auf Tschechisch sprach. Im Radio-Prag-Interview erklärt er die Gründe dafür.

Herr Ministerpräsident, Sie sind wohl der erste sächsische Regierungschef, der Tschechisch spricht. Was bedeutet für Sie ganz persönlich der Besuch heute hier in Ústí und wie sind Ihre persönlichen Beziehungen zu Tschechien?

„Also ich bin in der Tat sehr gerne in Tschechien. Ich habe über Jahrzehnte Freunde in Tschechien gehabt. Meine Eltern haben ihre Berufsausbildung beziehungsweise ihr Studium teilweise in Tschechien absolviert und abgeschlossen. Das war kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Auch familiär ist also eine Beziehung entstanden, die sich über Jahrzehnte gehalten hat. Jetzt als Ministerpräsident ist es für mich natürlich eine besondere Freude, mit dieser persönlichen Erfahrung einen Beitrag zur Entwicklung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu leisten. Das ist mir ein Herzensanliegen.“

Wie sehen Sie diese nachbarschaftlichen Beziehungen? Die wirtschaftlichen Beziehungen florieren, das haben Sie zuvor gesagt haben. Wie sieht es mit den politischen Beziehungen aus. Sehen Sie irgendwo Schwierigkeiten?

„Ich glaube, dass die sächsisch-tschechischen Beziehungen wahrscheinlich von allen Regionen in Deutschland die besten sind. Sie haben sich in der ganzen Phase seit 1990 immer durchaus wohltuend von den damals manchmal beschwerten deutsch-tschechischen Beziehungen abgehoben haben, indem sie immer konstant funktioniert haben und auf einer guten und soliden Basis praktiziert worden sind.“

Der Dauerbrenner in den tschechisch-deutschen, in den tschechisch-österreichischen Beziehungen, die Beneš-Dekrete und die vielen Diskussionen darüber sind in Sachsen nicht mehr aktuell?

„Wir wissen damit vernünftig umzugehen und auch das zu respektieren, was die tschechische Seite im Umgang mit diesen Dekreten für sich in Anspruch nimmt. Ich glaube, wenn man einander respektvoll begegnet, ist das eine gute Voraussetzung dafür, auch über ein so schwieriges Thema miteinander zu sprechen.“