Kulturdenkmal oder Abriss - was wird aus dem Güterbahnhof Žižkov?
In der Zeit, als er erbaut wurde, war er der größte Güterbahnhof in Europa: der Bahnhof im Prager Stadtteil Žižkov. Seit den 1930er Jahren diente er zum schnellen Umladen von Waren, vor allem von Lebensmitteln auf Lkw. Dabei konnten hier die Güter auch kurzfristig gelagert werden. Das Bahnhofsareal, das nicht nur in Tschechien einzigartig ist, wurde Ende des vergangenen Jahres vom Kulturministerium zum Kulturdenkmal erklärt. Trotzdem ist der Erhalt der technischen Sehenswürdigkeit immer noch unsicher. Für die Rettung des Industriebaus setzen sich in den letzten Monaten nicht nur renommierte Kunsthistoriker und Architekten ein. Für ihren Bahnhof kämpft seit einigen Wochen auch eine lokale Bürgerinitiative.
„Die Baukonstruktion stammt von Karel Skorkovský, der in den 1930er Jahren ein anerkannter Spezialist für Eisenbetonkonstruktionen war. Der Bahnhof wurde nach den Entwürfen der Architekten Vladimír Weiss und Karel Caivas erbaut. Weiss war übrigens auch ein guter Maler. Caivas war Professor an der Technischen Hochschule. Er projektierte landwirtschaftliche Gebäude für Gutsherren. Während der 1930er Jahre entwarf Caivas aber auch die schönsten Modesalons in Prag. Das Innere der Salons, die sich auf dem Wenzelsplatz oder bei Můstek befanden, ist leider nicht mehr erhalten. Caivas und Weiss haben in Prag zudem mehrere kleinere Häuser in der Lucemburská-Straße sowie Villen und Mietshäuser erbaut. Es handelte sich größtenteils um Architektur, die über dem Durchschnitt lag.“
Wenn der Bahnhof erhalten bleibt, könnten die Gebäude zu verschiedenen Zwecken genutzt werden: als Museumsmagazin, Ateliers oder Vortragssäle. Zdeněk Lukeš:„Man könnte auch die flachen Dächer nutzen. Wenn ein Designer eine der Hallen mieten würde, könnte er oben ein Aussichtscafé errichten. Unten könnte er seine Ausstellungsräume haben. Das System des Warentransports über die eisernen Brücken funktioniert immer noch. Wenn man die Konstruktion streichen und mit Farben beleben würde, wäre es prächtig.“
Der Weg zur Ernennung des Güterbahnhofs zum Kulturdenkmal war lang. Das Denkmalschutzamt hatte einen entsprechenden Vorschlag bereits 2003 dem Kulturministerium unterbreitet. Dort blieb er jedoch liegen. Vor etwa einem Jahr tauchten in den Medien Informationen über Pläne zum Abriss des Güterbahnhofs auf. Da begann der „Verein für das alte Prag“ sich für den Entwurf zu interessieren. Der ursprüngliche Vorschlag war inzwischen jedoch veraltet, erzählt die Vorsitzende des Vereins, Kateřina Bečková.„Wir haben mit den Mitarbeitern des Forschungsinstituts für Industrieerbe und weiteren Experten Kontakt aufgenommen und neue Anmerkungen dem Vorschlag beigefügt. Während der letzten zehn Jahre hat sich nämlich die Haltung gegenüber der Industriearchitektur wesentlich geändert. Weltweit herrscht heutzutage ein richtiger Boom, was das Interesse an Industriebauten betrifft. Dies hängt damit zusammen, dass die junge Generation die Fabriken in den Städten nicht mehr als funktionierende Industriebetriebe erlebt. Für die jungen Leute sind sie eine verschwindende Welt, die romantisch wirkt. Zudem entstehen auf offizieller Ebene Übereinkommen zum Schutz des Industrieerbes. Nach dem entsprechenden Verfahren, das im Mai eingeleitet wurde, hat die Denkmalschutzsektion des Kultusministeriums Anfang Dezember vergangenen Jahres den Güterbahnhof zum Kulturdenkmal erklärt.“ Die Fachkommission habe sich wirklich mutig verhalten, fügt die Expertin lächelnd zu. Der Besitzer des Grundstücks und der Gebäude ist jedoch die Tschechische Bahn. Und diese ist mit der Entscheidung des Ministeriums überhaupt nicht einverstanden. Im Namen der Bahn gab das Unternehmen Žižkov Station Development eine Stellungnahme dazu ab. Jetzt ist der Kulturminister dran. Er ist unabhängig und kann sich entscheiden, wie er will. Mit einer Petition will sich eine lokale Bürgerinitiative an ihn wenden, die sich für die Rettung der einzigartigen Industriearchitektur einsetzt. Die Initiative nannte sich „Tady není developerovo“ zu Deutsch etwa „Hier ist kein Developer-Land“. Tomáš Mikeska war vor Jahren Bürgermeister von Prag 3, zu dem auch Žižkov gehört. Jetzt leitet er die neue Bürgerinitiative:„Zu unseren Zielen gehören vor allem der Schutz von Landschaft und Natur in Prag, die Rettung des Kulturerbes sowie Aufklärungsarbeit. Wir haben vor, eine Diskussion von Experten mit den Developern und der Öffentlichkeit über die geplanten Neubauten auf dem Gebiet von Prag 3 anzuregen.“Geplant wurde auf dem Bahnhofsgelände laut Medienberichten Verschiedenes. Nicht nur weitere Neubauten sollten dort entstehen. Sondern auch die Straße Olšanská, die heute vor dem Bahnhof endet, sollte verlängert werden. Architekturhistoriker Zdeněk Lukeš dazu:
„Die Verlängerung der Straße ist Unsinn, aber sie wäre ein großes Geschäft. Wenn man die Straße wirklich verlängern müsste, könnte sie unter dem Bahnhof verlaufen. Das Areal ist sehr groß. Dort kann man Jahre lang bauen. Aber der Bahnhof könnte dann erhalten bleiben. Der Güterbahnhof ist sowohl aus architektonischer, als auch aus technischer Sicht einzigartig. Der Industriebau könnte vielfältig genutzt werden. Von mehreren Gebäuden, die abgerissen werden sollten, aber dann doch gerettet und neu gestaltet wurden, möchte ich zwei bekannte Beispiele nennen: In Turin hat der namhafte Architekt Renzo Piano das verfallene Gelände der Fiat-Werke neu gestaltet. Das heute meist besuchte Kunstmuseum der Welt ist die Tate Modern in London. Sie wurde in einem alten Kraftwerk eingerichtet, das zuvor lange Jahre leer stand und ursprünglich abgerissen werden sollte.“ Man würde zweifelsohne weitere inspirierende Beispiele für die Neugestaltung des einst größten Güterbahnhofs in Europa finden. Ein schöner Bahnhof wurde in Prag bereits 1985 in die Luft gesprengt. Über dem Gelände, wo früher das prunkvolle Neorenaissancegebäude des Bahnhofs Prag – Těšnov stand, verläuft heute die vierspurige Prager Hauptverkehrsader „Magistrale“.Am vergangenen Samstag kam es auf dem Güterbahnhof Žižkov zu einem Unfall, bei dem aber niemand verletzt wurde. Ein voll geladener Waggon entgleiste und prallte auf das Administrationsgebäude. Matěj Stropnický wurde für die Grünen in das Parlament des Stadtbezirks gewählt und gehört zu den Begründern der neuen Bürgerinitiative in Žižkov.
„Ist der Unfall nur ein Zufall? Diese Frage stellen wir uns. Kann sein, dass uns die Tschechische Bahn oder der Developer damit etwas in dem Sinne andeuten wollten, dass der Bahnhof abgerissen wird. Aber wir unternehmen alles dafür, dass er nicht abgerissen wird.“Die Petition für die Rettung des Industriebaus haben während der ersten Woche rund 1000 Menschen unterzeichnet.