Kulturphänomen, das viele Tschechen geprägt hat (2. Teil)

Ein Kulturphänomen, das viele Tschechen geprägt hat. So lautete das Leitmotto unseres Kultursalons vor genau vier Wochen. Gemeint ist die Trampingbewegung, die bereits zu Beginn der 20-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ihre Wurzeln in der neu gegründeten Tschechoslowakei geschlagen hatte. In ihrer rund 80-jährigen Geschichte erlebte sie Höhen und Tiefen, beides jeweils als Spiegelbild des Zeitgeschehens hierzulande. Zum zweiten Teil des Treffens mit dem tschechischen Tramping lädt Sie auch diesmal Jitka Mladkova ein und auch diesmal gibt es natürlich Tramplieder zu hören - zwischendurch und rundherum:

Tomas Pergl
Unseren ersten Exkurs in die Geschichte des Trampings haben wir mit einem Zitat aus dem Artikel beendet, in dem das Presseorgan der Kommunististen, Rude pravo, Anfang der 50-er Jahre die sich im Bau befindliche Talsperre Slapy bei Prag gepriesen hatte. Genau daran wollen wir heute anknüpfen:

"Die Naturromantik wilder Flüsse wie auch die Pseudoromantik der Lieder hat heutzutage die Romantik des Aufbaus ersetzt. Anstelle von Heldenkarikaturen - Pistoleros mit Revolvern und Sombrero-Hüten - gibt es heutzutage wahre Helden, deren Waffe der Pneumatik-Hammer ist, und die keinen Mustang reiten, sondern die Lokomotive der Schmalspureisenbahn fahren."

So huldigte die Rude pravo die Helden der neuen Zeit. Das im Bau befindliche Wasserkraftwerk Slapy sollte durch seine Stromproduktion - Zitat - "unseren Weg zum Sozialismus beschleunigen." In seinen Gewässern wurden unter anderem auch eine Reihe Trampsiedlungen untergetaucht.

Es brachen schwere Zeiten für die Tramps an. Sie wurden aus ihren Hüttensiedlungen und überhaupt aus den Wäldern, in denen sie sich gerne am Lagerfeuer trafen, verdrängt. Einige wurden sogar in Arbeitslager gesperrt, zumindest aber kontinuierlich von der Ordnungspolizei überwacht. Für eine Zeit lang gelang es der herrschenden politischen Macht, die Trampingbewegung zu lähmen.

Doch an der Wende von den 50-er zu den 60-er Jahren war sie wieder da. Nach und nach konnte man an jedem Wochenende ein zunehmend geschäftiges Treiben an vielen Bahnhöfen des Landes beobachten, von wo aus Menschen mit Rucksack, Zelt und Gitarre zu einem Streifzug durch die Natur aufbrachen. Die Umgebung ihrer Wohnorte lebte durch ihren Gesang wieder auf. Die "osada", eine Hüttensiedlung, ist der Ort, an dem man sich wieder trifft und über den man auch gerne singt.

Auch in den 60-er Jahren erforderte es noch Mut, wenn man von seinem Recht auf freies Wandern in der Natur Gebrauch machen wollte. Es bestand nämlich die Gefahr, dass man sich verdächtig machte und dadurch ins Visier der Geheimpolizei geraten konnte. Mit der wieder belebten Tramping-Bewegung wuchs aber auch eine neue Generation heran. Zu dieser gehörte zweifelsohne auch Tomas Pergl. Seine Eltern waren leidenschaftliche Tramps, die mit ihrem Sohn regelmässig in einer Osada die Freizeit verbrachten. Alles, was ihnen lieb und teuer war, haben sie auch dem Sohn beigebracht. 1955 ließen sie eine Schallplatte mit der musikalischen Darbietung ihres damals sechsjährigen Sprösslings einspielen. Mit Trampliedern versteht sich:

Kapellmeister, Sänger, Liedermacher, Akkordeonspieler und Multiinstrumentalist, Leiter der Gruppe Eldorado - das alles in einer Person ist Tomas Pergl heute. In seiner Kindheit verbrachte er viel Zeit mit den Eltern in der Trampsiedlung mit dem Namen "Gruseltal" am Fluss Berounka. In diesem bereits 1919 gegründeten Treffpunkt leidenschaftlicher Trampingfreunde bekleidet er heute das Ehrenamt des Siedlungssherifs:

"Mein Vater war ein Tramp mit Leib und Seele, Später, nach unzähligen Ausflügen in die Natur, wo er und seine Freunde unter freiem Himmel übernachteten, trat bei ihnen eine ruhigere Phase ein. Sie fingen an, Holzhütten für sich zu bauen. Am liebsten weit von der Zivilisation entfernt und ohne Strom. Mein Vater baute sich eine kleine Hütte in einem malerischen Tal, genannt Gruseltal. Meine Eltern nahmen mich schon als ich zwei Monate alt war mit. Sie haben mich einfach in die Tasche gepackt und ab die Post. Wir fuhren mit der Eisenbahn dorthin. Das war in einer Zeit, als es noch kein Fernsehen und keine Transistorradios gab. Die Freizeit in den Trampsiedlungen vertrieb man sich damals vor allem mit Sport und Musik."

In vielen Trampsiedlungen spielte man leidenschaftlich Volleyball. In Gruseltal war es aber nicht der Fall:

"Obwohl ich als Kind ein kleines Dickerchen war, habe ich ziemlich gut Fußballtennis spielen gelernt. Das war eine Notwendigkeit. Weil ich am Gemeinschaftsleben teilnehmen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als das zu machen, was auch die anderen machten. Und mit der Musik war es ähnlich. Damals musste man auch noch am Samstagvormittag arbeiten, aber direkt am Nachmittag machte man sich auf den Weg in die Hütte. Und dort, solange es noch nicht dunkel war, wurde Fußballtennis gespielt und abends ging man in die Kneipe. Morgens um neun Uhr waren wir schon wieder auf dem Spieplatz. Bis Sonntagabend wurde Fußballtennis gespielt und dann zurück nach Prag. So ging das jede Woche."

Ähnlich wie der Sport trat auch die Musik in Tomas Pergls Leben:

"Ich begann Gitarre zu spielen, weil dort eigentlich alle spielen konnten. Die Generation unserer Väter also. In unserer Hüttensiedlung hatten wir auch ein Musikidol. Das war Pedro Mucha, der eine ganze Reihe Tramplieder komponiert hatte. "Reka huci" - "Der Fluß rumort" ist wohl sein bekanntester Titel. Ein Moment habe ich auch heute noch vor Augen, als wäre es erst gestern gewesen: Jemand feierte Geburtstag oder etwas Ähnliches. Man saß am Lagerfeuer, spielte Musik und sang dabei. Ich war damals etwa sechs, sieben oder acht Jahre alt. Pedro Mucha war dabei. Ich weiss nicht mehr, welches Lied es war, als er plötzlich eine Melodie in D-dur und anschließend in d-moll zu spielen begann. Ich kann mich nur erinnern, dass ich auf einmal total aus dem Häuschen war. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich daran denke. Das ist aber toll, sagte ich mir und rannte zu ihm und sagte: Zeig mal. Was hast du da gerade gespielt? Pedro zeigte mir die Akkorde, die ich gleich zu üben begann."

So singt Tomas Pergl den Titel Reka huci heute. So war sein Weg zum Musikgenre "Tramplieder", dem er sich zuletzt als Leiter der Gruppe Eldorado verschrieben hat. Die Leidenschaft für diese Musik hat bis heute auch bei vielen Zeitgenossen seiner Generation überlebt und auch viele Jüngere angesteckt. Und dies trotz den erneuten Versuchen des Regimes Anfang der 70-er Jahre, die Trampingbewegung aus der Gesellschaft zu verdrängen. Einige Jahre später erlebte sie wieder eine Renaissance und erst recht nach der politischen Wende 1989. Jedes Jahr kann nun wieder ein Festival der Tramplieder stattfinden.