Kunst oder Provokation? David Černýs "Entropa" ist ab sofort in Prag zu sehen.

Foto: ČTK

Kaum war es im Ratsgebäude in Brüssel enthüllt, da sorgte es auch schon für einen kräftigen Wirbel und jede Menge Schlagzeilen: David Černýs umstrittenes Riesen-Kunstwerk Entropa. Eigentlich hätte es bis zum Ende der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft in Brüssel bleiben sollen, doch nach dem Sturz der Regierung Topolánek, die das Werk in Auftrag gegeben hatte, entschloss sich der Künstler, es vorzeitig abzubauen. Er wollte damit gegen die Absetzung der Regierung während der Ratspräsidentschaft protestieren. Doch das 16 Mal 16 Meter große und acht Tonnen schwere Ungetüm landete nicht in einem finsteren Depot oder gar auf der Mülldeponie. Seit vergangener Woche ist es nun in voller Größe in Prag zu sehen.

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Entropa wirkt wie eigens geschaffen für die hofseitige Fassade des Zentrums für Moderne Kunst DOX im Prager Stadtteil Holešovice. Purer Zufall, denn konzipiert worden ist das Kunstwerk in „leichter Übergröße“ für das große Atrium des EU-Ratsgebäudes in Brüssel. Und durch die Darstellung der EU-Länder durch die mit ihnen verbundenen Klischees nimmt es Bezug auf die Vielfalt im Europa der 27 Mitgliedsstaaten und thematisiert damit indirekt auch den bei weitem nicht immer harmonischen Verlauf der Entscheidungsprozesse in Brüssel. Gehört Entropa also überhaupt nach Prag? Hat es durch seine – noch dazu vorzeitige – Übersiedlung von der europäischen und belgischen in die tschechische Hauptstadt nicht den Bezug zu seinem Aufstellungsort und damit eigentlich auch seine Daseinsberechtigung verloren. Nein, sagt Künstler David Černý gegenüber Radio Prag:

„Das ursprüngliche Konzept war, dass Entropa ein halbes Jahr lang in Brüssel hängt und nach dem Ende der Ratspräsidentschaft ein weiteres halbes Jahr in Prag zu sehen ist. Eigentlich sollte Entropa in Prag auf der Fassade des Nationaltheaters hängen. Doch nachdem dieser Skandal ausbrach, oder besser gesagt, nachdem diese ganze Sache skandalisiert wurde, hat die Leitung des Theaters leider einen Rückzieher gemacht. Ondřej Černý, der Direktor des Nationaltheaters hat gemeint, er habe Angst, die politische Unterstützung zu verlieren, wenn er Entropa an seinem Haus installieren lässt.“

Statt mitten im Prager Stadtzentrum hängt David Černýs Entropa also nun in einem größeren Hinterhof in der Vorstadt Holešovice. Im Gegensatz zum Nationaltheater ist das Kunstwerk im Zentrum für Gegenwartskunst nicht frei zugänglich. Zwar lugt es wegen seiner Größe über die Hofmauer hinaus auf die Straße, doch wer es aus der Nähe besichtigen will, muss 180 Kronen (6 Euro) Eintritt bezahlen.

Nationaltheater-Direktor Ondřej Černý ist die Causa Entropa sichtlich unangenehm. Am Rande einer Diskussionsveranstaltung im Prager Goethe-Institut, an der auch sein Namensvetter David Černý teilnahm, meinte er gegenüber Radio Prag, er habe eigentlich überhaupt keine Lust, sich zu diesem Thema zu äußern:

„Ich bin sehr froh, dass Entropa einen Platz in Prag in der Galerie DOX gefunden hat. Ich bin auch schon sehr neugierig, denn ich war nicht bei der Vernissage und ich freue mich darauf, das Kunstwerk zum ersten Mal live zu sehen. Bisher war ja die Reflexion von Entropa die Reflexion eines Kunstwerkes, das wir in Natur nicht gesehen haben. Ich kann also nur ahnen, dass Entropa in Wirklichkeit ganz andere Emotionen weckt, als in der Darstellung durch die Medien.“

Leoš Valka, der Gründer und Leiter des Zentrums für Gegenwartskunst DOX ist natürlich auch froh, dass Entropa bei ihm „gelandet“ ist:

„Wir freuen uns natürlich, dass Entropa bei uns im DOX zu sehen ist und nicht woanders. Ich halte das nicht nur für einen kontroversen Ausdruck der Positionen des Künstlers. Das ist wirklich ein Kunstwerk, eine hochinteressante kinetische Skulptur. Entropa muss den Vergleich mit ‚konventionellen’ Kunstwerken im Museum nicht scheuen.“

Bis Anfang Januar nächsten Jahres soll David Černýs Skulptur Entropa im DOX zu sehen sein. Doch wird die Skulptur mit ihren vielen beweglichen Teilen, die nun Wind und Wetter ausgesetzt ist, so lange „überleben“? Ja, meint David Černý. Entropa sei wetterfest. Aber womöglich wird einer der Kritiker des umstrittenen Kunstwerks versuchen, seinen Unmut an Entropa auszulassen. Anlässlich des Abbaus der Installation in Brüssel hatte David Černý selbst gemeint, in wenigen Tagen hätten die Prager endlich Gelegenheit, Entropa zu zerstören. Fürchtet er also tatsächlich Angriffe auf sein Kunstwerk?

„Ja klar, es könnte zum Beispiel jemand eine Atombombe schmeißen.“

Nun, es muss ja nicht gleich eine Atombombe sein. Aber vielleicht Eier. Die flogen ja vor einigen Wochen im Europawahlkampf sehr zahlreich auf den Vorsitzenden der tschechischen Sozialdemokraten Jiří Paroubek. Von Radio Prag darauf angesprochen, machte David Černý seinem Ruf als Mann der provokanten Worte einmal mehr alle Ehre:

„Eier? Na ich weiß nicht, die fliegen doch auf den Paroubek, oder? Finden Sie Entropa etwa so fett wie Paroubek? Ist Entropa etwa gleich ekelhaft wie Paroubek? Ich weiß nicht…“

Aussagen wie diese sind es, die David Černý den Ruf eines „Skandalkünstlers“ eingebracht haben. Doch ein wenig Provokation tue der zeitgenössischen Kunst durchaus gut, meinte bei der Präsentation von Entropa in Prag der Dramatiker und Ex-Präsident Václav Havel:

„Zur modernen Kunst, zur post-modernen Kunst, zu post-post-modernen Kunst gehört der Versuch, Dinge umzustoßen, auf den Kopf zu stellen. Sie will schockieren, überraschen, mystifizieren. Nun also bekommen auch die Prager die Gelegenheit, sich schockieren zu lassen.“

Tatsächlich David Černýs Installation Entropa von zahlreichen Gerüchten und Mystifikationen begleitet. So hatte Černý etwa behauptet, er habe mit 26 Künstlerkollegen aus den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten an dem Werk gearbeitet. In Wahrheit waren es nur er und seine beiden Assistenten, die die Riesenskulptur erdacht haben. Die 26 Künstler, die mit Namen und Lebenslauf in der zu Entropa erschienenen Dokumentation aufgelistet waren, waren reine Fiktion. Auch die Darstellung der einzelnen Staaten sorgte für Aufruhr. So wird Deutschland etwa als Autobahnnetz dargestellt, dessen Form mit ein wenig Fantasie an ein Hakenkreuz erinnert, Dänemark ist eine Landschaft aus Lego-Bausteinen, in der man das Gesicht von Mohammed erkennen kann. Eine Karikatur des von den Moslems verehrten Propheten in einer dänischen Zeitung hatte im Herbst 2005 für heftige Aufregung gesorgt. David Černý selbst sieht diese Assoziationen übrigens nicht. Am größten war die Aufregung aber in Bulgarien: Das 2007 der EU beigetretene Land wird in der Entropa-Skulptur als Ansammlung türkischer Hocktoiletten dargestellt. Wegen der massiven Proteste aus Sofia musste dieser Teil von Entropa schließlich mit einer schwarzen Plane verhüllt werden. Die wochenlange Kontroverse um Černýs Werk brachte die damalige Regierung Topolánek gehörig unter Druck. In der ersten Reihe stand dabei Europaminister Alexandr Vondra, der sich für die Realisierung der Skulptur stark gemacht hatte.

„Ich möchte meinen Freunden danken, die mit mir an Entropa gearbeitet haben, natürlich auch dem Hauptsponsor Zdeněk Bakala und natürlich Sascha Vondra, der das alles überstanden hat.“

Überstanden hat Ex-Europaminister Vondra die Causa Entropa auch deswegen, weil David Černý auf sein mit der Regierung ausgehandeltes Honorar verzichtet und alle Subventionen zurückgezahlt hat. In Prag ist die umstrittene Hocktoiletten-Darstellung Bulgariens übrigens wieder zu sehen, die schwarze Plane wurde anlässlich der Übersiedlung aus Brüssel wieder abgenommen.

Bei der Vernissage vergangene Woche in Prag enthüllte Ex-Präsident Václav Havel ein weiteres „Geheimnis“ von Entropa:

„Gestatten Sie mir, dass ich die Gelegenheit nütze, um eine weitere Mystifikation zu enthüllen: Entropa ist nicht von David Černý. In Wahrheit haben wir zwei das hergestellt, mit dem Ziel, der damaligen Regierung zu schaden: Jiří Paroubek und ich."

Sind David Černýs Werke also überhaupt Kunst, oder sind es nur als Kunst verkaufte Akte der Provokation? Diese Frage wurde David Černý im Rahmen einer Diskussion zum Thema „was ist zeitgenössisch an der Kunst“ vergangene Woche in Prager Goethe-Institut gestellt:

„Jede Form von Kunst kann auch nur ästhetisch sein. Auch das hat seine Daseinsberechtigung. Aber Kunst kann auch aus einem rein politischen Statement bestehen und es ist sehr wahrscheinlich, dass auch solche Werke überleben. Für mich ist nur die Zeit der entscheidende Faktor, was als Kunstwerk überlebt und was wertvoll ist oder nicht. Nicht der Preis, der dafür bezahlt wird. Ob Entropa Kunst ist oder nicht, ist die Frage. Für mich ist es eine Skulptur. Aber möglicher Weise wird es in 100 Jahren nur ein Haufen Röhren und Kunststoffteile sein.“

Wenn er heute einige seiner früheren Arbeiten ansehe, dann frage er sich manchmal, wer denn wohl einen derartigen Mist produziert habe, fügte David Černý noch hinzu.