Lehrer-Assistenten für Roma-Schüler
Die Lage der tschechischen Roma gibt schon seit vielen Jahren regelmäßig Anlass zu Kritik nicht nur von Seiten zahlreicher internationaler Menschenrechtsorganisationen. Auch die Europäische Kommission hat in ihren Fortschrittsberichten immer wieder auf die schwierige Situation der Volksgruppe hingewiesen und hat die tschechische Regierung aufgefordert, konkrete Maßnahmen gegen die Benachteiligung und latente Diskriminierung der Minderheit zu ergreifen. Ein Schlüssel, um den verzwickten Kreis zu durchbrechen, der auf der einen Seite aus dem geringen gesellschaftlichen Status der Roma besteht und auf der anderen Seite aus dem Fehlen jeglicher Perspektiven auf eine Verbesserung ihrer gegenwärtigen Lage, kann in der Erhöhung des Bildungsstandes der Roma liegen.
Auch die tschechische Mehrheitsbevölkerung hat in ihrem Bewusstsein gerade in diesem Bereich immer noch Einiges an Vorurteilen abzubauen, wozu etwa die immer noch relativ weit verbreitete Annahme gehört, dass Kinder aus Roma-Familien im allgemeinen nicht anpassungsfähig wären und mit dem Lehrbetrieb an gewöhnlichen Schulen Schwierigkeiten hätten. Vor 1989 war es z.B. eine häufige Praxis, dass Roma-Kinder, ohne dass ihre wirkliche Veranlagung ernsthaft geprüft wurde, fast automatisch in Sonderschulen gesteckt und somit von der Möglichkeit einer höheren Ausbildung von vornherein ausgeschlossen wurden.
Die Bildung als Instrument zur besseren Integration der Roma in die tschechische Gesellschaft? Diesem zentralen Anliegen verschrieben hat sich ein gemeinnütziger Prager Verein, der sich selber als "Nova kola" bezeichnet, was man ins Deutsche als "Neue Schule" übersetzen könnte. Zu den wichtigsten Projekten gehört dabei die Ausbildung von Lehrer-Assistenten, die auf Schulen mit einem hohen Anteil von Roma-Kindern tätig sind.
Wir unterhielten uns im folgendem mit dem Projektleiter dieser gemeinnützigen Einrichtung - mit Herrn Vladislav Vik. Als erstes fragten wir natürlich, wie die Idee, Lehrer-Assistenten für Roma-Kinder auszubilden, entstanden ist:
"Also diese Idee hatte man schon lange vorher in Westeuropa entwickelt und in vielen Ländern, wie etwa in Großbritannien sind sog. bilinguale Assistenten mittlerweile zum festen Bestandteil des dortigen Schulwesens geworden. Ihre Aufgabe besteht sowohl dort als auch bei uns darin, während der Unterrichtsstunden anwesend zu sein, den Kindern zu helfen und dann vor allem auch die Familien der Kinder zu besuchen und den Kindern auch dort - etwa mit den Hausarbeiten oder der Vorbereitung auf den Unterricht zu helfen. Für die Kinder und auch die Eltern ist es wichtig zu sehen, dass es jemanden gibt, zu dem sie Vertrauen haben können, denn es handelt sich dabei fast ausschließlich um Angehörige der gleichen Volksgruppe. Es ist erwiesen, dass auch die Kinder selber dann ein besseres Verhältnis zur Schule entwickeln und dann sogar gerne hingehen. Die erste Schule, die in Tschechien diesen Versuch startete, war im Jahr 1993 eine kirchliche Grundschule in Ostrava/Ostrau."
Fast zeitgleich mit diesem ersten Versuch in Nordmähren wurden auch in anderen Teilen Tschechiens ähnliche Initiativen ins Leben gerufen, oft unter tatkräftiger Unterstützung örtlicher Vertreter der Roma-Minderheit. Der zunächst eher private Charakter dieser Vereine war wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum der tschechische Staat relativ lange mit einer finanziellen Unterstützung dieses Projekts zögerte. So wurde gerade in der Anfangsphase ein beträchtlicher Teil der Kosten und auch die Bezahlung der Assistenten-Gehälter von verschiedenen Stiftungen und gemeinnützigen Vereinen übernommen, wie eben der "Neuen Schule", die schon sehr bald eine zentrale Rolle bei der Ausbildung und Koordinierung der Assistenten übernahm. Erst seit 1998 werden die Betreuer der Roma-Kinder genauso wie auch die Lehrer vom Schulministerium bezahlt. Dennoch aber stellten die fehlenden finanziellen Mittel in der Anfangszeit nicht die einzige Hürde dar. Weitaus schwerwiegender war noch ein anderes Problem, wie sich Projektleiter Vik rückblickend erinnert:
"Diese Assistenten sind Angehörige der Roma-Volksgruppe und mussten, um diese Tätigkeit ausüben zu können, mindestens eine pädagogische Grundausbildung abgeschlossen haben, was aber nicht ohne Abitur möglich war. So gehörte es zu den Anfangsschwierigkeiten, überhaupt Roma mit Hochschulreife zu finden. Erst später sahen wir, dass die Grundausbildung in Pädagogik im Umfang von 80 Stunden nicht ausreichend ist und wir die Vorbereitung noch ausweiten mussten. Unser Projekt gibt es mittlerweile seit sieben Jahren."
Gegenwärtig wirken an tschechischen Schulen etwa 320 Roma-Assistenten. Ihr geographischer Arbeitsschwerpunkt liegt dabei insbesondere in den wirtschaftlichen Krisenregionen des Landes, also in Nordböhmen und Nordmähren, wo es unter den Einwohnern auch einen starken Anteil an Roma gibt. In den letzten Jahren gab es jedoch laut Vik auch einige Anfragen aus Prag, Westböhmen oder Südmähren, also aus Regionen, in denen bislang das Roma-Problem nicht als brennend empfunden wurde.
Eine weitere Frage, die sich natürlich im Zusammenhang mit den Lehrer-Assistenten stellt ist die nach deren Zusammenarbeit mit den Lehrkörper an den betreuten Schulen. Wie waren überhaupt die Reaktionen der Lehrer? Hatten nicht einige von ihnen das Gefühl, dass ihre pädagogischen Fähigkeiten angezweifelt wurden? Gab es da nicht gewisse Koordinierungsschwierigkeiten? Vladislav Vik von der "Neuen Schule" meint dazu:
"Das ist natürlich eine der wichtigsten Fragen, weil wenn sie einem Lehrer auf einmal einen Assistenten in die Klasse stellen, ohne dass er darauf vorher vorbereitet worden wäre, dann kann das Schwierigkeiten verursachen, weil der Lehrer vor allem nicht weiß, was er tun, oder wie er sich verhalten soll. Wir haben ehrlich gesagt während der Anfangsphase unseres Projektes diese Sache etwas unterschätzt, jetzt laden wir aber jedes Jahr die Lehrer und deren Assistenten zu einem speziellen Training ein, in dem sie sich unter einander besser abstimmen und ihre Kräfte während der Stunden besser zusammentun können."
Neben der Ausbildung von Lehrer-Assistenten für Roma-Kinder setzt sich der Verein "Neue Schule" auch als Ziel, den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und Ethnien, die in Tschechien leben, zu fördern. Auf welche Erfahrungen können dabei die Mitarbeiter und Lektoren seit 1996, seit es also die Neue Schule gibt, zurückblicken? Hat sich bei der Wahrnehmung dieses Problems von Seiten der nach nationalen Gesichtspunkten weitgehend homogenen tschechischen Öffentlichkeit etwas geändert? Abschließend kommt noch einmal Vladislav Vik vom gemeinnützigen Prager Verein "Neue Schule" zu Wort:
"Mich freut die Einstellung der jungen Leute, die den Versuchen, einen Dialog zwischen den Kulturen anzuregen, sehr positiv gegenüber stehen. Bei weitem betrifft das nicht nur Menschen, die bereits die Möglichkeit hatten - etwa zu Studienzwecken - längere Zeit im Ausland zu leben und das Fremd-Sein in einem Land aus eigener Erfahrung kennen. Natürlich gibt es bei älteren Menschen in dieser Hinsicht oft Schwierigkeiten. Nach wie vor beunruhigend finde ich jedoch Ergebnisse von Umfragen, aus denen hervorgeht, dass drei Viertel der Tschechen sich nach wie vor die Frage stellen, was denn die ganzen Ausländer in diesem Land verloren hätten. Die Einstellung ist also äußerst unterschiedlich, aber auf der anderen Seite kann man nicht erwarten, dass sich die Meinungen dazu von einem Tag auf den anderen ändern können. Ich habe mich schon damit abgefunden, dass das ein Lauf über eine weite Strecke werden wird."