Leos Janacek und die Literaturoper

Leos Janácek in der Kolonnade von Luhacovice, 1906 (Foto: www.janacek.brno.cz)

"Janaceks Brünn". Am vergangenen Donnerstag ging das gleichnamige Festival zu Ende. Mit ihm hatte man in der mährischen Metropole Brno/Brünn des 150. Geburtstags des mährischen Komponisten Leos Janacek gedacht. Markéta Maurová blickt im nachfolgenden Kultursalon darauf zurück.

Die Festspiele wurden am 21. Januar durch die Premiere von Janaceks Oper Jeji pastorkyna (Jenufa) eröffnet. Über diese Vorstellung, die genau 100 Jahre nach der Uraufführung dieses Werkes stattfand, haben wir in unseren Sendungen berichtet. Seitdem hatten nicht nur das Brünner, sondern auch die Besucher der Stadt, die wegen des Festivals nach Brno reisten, die Möglichkeit gehabt, alle Opern Janaceks zu sehen und die Interpretationsweisen unterschiedlicher Künstler, Dirigenten, Ensembles und Regisseure aus In- und Ausland zu vergleichen. Den Opern Janaceks galten jedoch nicht nur Abende in den beiden großen Theatern der Stadt. Auch theoretisch wurde über sie diskutiert. Auf der wissenschaftlichen Konferenz mit dem Thema "Leos Janacek und die Literaturoper" habe ich Professor Jiri Vyslouzil von der Brünner Masaryk-Universität ans Mikrophon gebeten.

'Literaturoper und Leos Janacek' heißt das Thema der Konferenz. Was versteht man unter diesem Begriff? Auf welche Opern von Janacek bezieht er sich?

"Also Janacek hat verschiedene Libretti vertont, Libretti auf Verse, Libretti mit einem belletristischen Stoff und bei drei Opern auch Libretti auf Grundlage von Dramen, und zwar 'Jenufa', 'Katja Kabanowa' und die 'Sache Makropulos'. Also diese drei Opern sind Literaturopern, und zwar in Prosa. Das ist wichtig, dass das Libretto in Prosa geschrieben ist."

Wichtig wegen der Vertonung, wegen der typischen Art und Weise, wie Janacek diesen Text vertont?

"Das ist ein Grundprinzip der Dramaturgie Janaceks, dass er die Prosa vertont. Man findet in diesen Prosaopern keine traditionellen Formen, keine Arien, Duette, Ensembles, sondern neue Formen, freiere Formen in der Rhythmik, im Aufbau, in der Struktur usw."

Welche Formen sind für ihn spezifisch?

"Für Janacek ist eine sozusagen rhapsodische Form typisch. Also nicht periodisierte Formen, nicht auf Verse gebundene Formen, sondern freie Formen auf die Prosa. Das ist für seinen Opernstil grundlegend."

Hat er beim Komponieren in den Text eingegriffen?

"Natürlich. In Jenufa nicht so viel. In 'Jenufa' hat er nur einige Szenen mit Tänzen und Volksliedern ergänzt, aber z.B. 'Katja' hat er wesentlich geändert, und auch die 'Sache Makropulos'. Bei Capek (Autor des ursprünglichen Dramas) ist es eine ironisierte Komödie, aber bei Janacek ist es ein philosophisches Werk, das in die Tiefe geht und den Menschen und seine Gefühle berührt."

Mit dem Bergriff 'Literaturoper' hat sich auch Prof. Oswald Panagl von der Universität in Salzburg auseinandergesetzt. Er lehnte eine zu strenge Definition ab, die keine Ergänzungen in der Textvorlage, d.h. einem Drama oder einem Roman zulässt:

"Ich habe mich selbst auf einen etwas großzügigeren Definitionsversuch eingelassen. Ich denke, dass auch Werke, die von einem literarischen Text angeregt sind bzw. große Teile dieses Textes verwerten, die vielleicht noch etwas hinzufügen und den Text dramaturgisch verändern noch unter diesen Begriff fallen. Man kann bei meinem etwas lockereren Standpunkt sagen, es gibt Idealtypen der Literaturoper, wie Debussy und manches Werk von Janacek, es gibt aber auch Mischtypen, bei denen aber immerhin das literarische Vorbild und der Anspruch des Textes noch so prägend ist, dass man diesen Begriff sinnvoll verwendet."

Die Massenproduktion der Opern ist im 20. Jahrhundert sehr stark zurückgegangen, betont Oswald Panagl und erklärt damit die Entstehung der Literaturoper:

"Die Komponisten werden anspruchsvoller. Da hat sicher Richard Wagner eine große Rolle gespielt, der sich die Texte ja selber aus dem Mythos schrieb. Und wahrscheinlich ist auch das Publikum anspruchsvoller geworden. Man möchte auch auf der Opernbühne, auch im sprachlichen Bereich etwas geboten bekommen. Es möchte nicht nur Routine und die - sagen wir - zwanzigste, dreißigste oder fünfzigste Auslegung des Titus-Stoffes wie im Falle der Mozart-Oper erleben, sondern es möchte individuell, subjektiv bedient werden. Das ist sicher auch ein Grund für das Gedeihen der Literaturoper besonders ab dem 20. Jahrhundert. Und manche Autoren sagen ja sogar, dass Literaturoper als Terminus mitmeint, dass der Text anspruchsvoll ist, dass er eine Eigenqualität hat, dass er vielleicht sogar als Sprechstück bestehen kann."

Nicht nur den Zauber der Musik, nicht nur die literarischen Qualitäten, sondern auch moralische Werte kann man in den Werken von Janacek finden. Es spricht der Kunsthistoriker Prof. Petr Spielmann, Kurator der Ausstellung 'Hommage an Janacek', die zurzeit im Brünner 'Haus der Kunst' zu sehen ist.

"Janacek ist für mich auch eine moralische, ethische Autorität. Wissen Sie, seine Prinzipien, die er z.B. in der 'Jenufa' zur Darstellung bringt, ist etwas, was für den europäischen Humanismus sehr wichtig ist. Jenufa ist eine Frau, an der sich einige Menschen versündigt haben. Ihr erster Liebhaber, der ihr ein Kind gemacht hat, hat sie verlassen. Der zweite, der eifersüchtig war, hat ihr ihre Wange verletzt, weil er nicht wollte, dass der andere jetzt diese schöne Frau bekommt. Und ihre Stiefmutter hat dann das geborene Kind ermordet, damit sie ihr irgendwie eine Freiheit gibt. Aber für diese ganzen bösen Taten gibt es in der Oper keine Sühne, sondern Vergebung. Jenufa vergibt allen. Und das ist meines Erachtens so eine großartige Idee, die dann in dem letzten Duett mündet. 'Alle sind jetzt weggegangen, geh auch', sagt Jenufa zu dem Laca, der sie verletzt hat und der am Anfang dieser Tragödie stand. Und er sagt: 'Nein, ich will bei dir bleiben.' Man erzählt, dass Janacek bei der Premiere im Theater saß und dieses Duett - für mich eines der schönsten Duette, die es überhaupt in der Opernliteratur gibt - dass er es miterlebt hat und anfing zu weinen."