Lex Benes für Tschechien?

Eine Gruppe von tschechischen Abgeordneten möchte laut Samstagausgabe der Tageszeitung Lidove noviny dem Parlament einen doch eher ungewöhnlichen Gesetzesentwurf vorlegen: Die Verdienste des ehemaligen Präsidenten Edvard Benes sollen in Form eines eigenen Paragraphen in der tschechischen Rechtsordnung verankert werden. Gerald Schubert berichtet:

Ganze zwei Sätze beinhaltet der Gesetzesentwurf, den zwei sozialdemokratische Abgeordnete und eine aus den Reihen der Kommunistischen Partei dem Unterhaus vorlegen wollen. Erstens: Edvard Benes hat sich um den Staat verdient gemacht. Zweitens: Dieses Gesetz tritt am 28. Oktober 2003 in Kraft.

Benes, Präsident von 1935-1938 und dann wieder von 1945-1948, würde sich als jemand, der sowohl an der Wiege der Ersten als auch der Zweiten Tschechoslowakischen Republik stand, naturgemäß als eine in breitem Konsens akzeptierte historische Integrationsfigur eignen. Doch gerade er gibt auch Anlass zu Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation der Geschichte. So sind etwa heute manche seiner Aussagen über die Rolle der Sudetendeutschen während der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland und die sogenannten Benes-Dekrete, welche unter anderem die Aussiedlung der Deutschen nach dem Krieg regelten, vor allem auf dem Parkett der tschechisch-deutschen Beziehungen noch immer umstritten. Und innenpolitisch kratzt bisweilen der Vorwurf an Benes's Image, er habe im Jahr 1948 den putschenden Kommunisten zu schnell nachgegeben.

Radio Prag hat Jan Bures, Politologe an der Prager Karlsuniversität, gefragt, welche historischen Argumente nun vor allem hinter dem Gesetzesvorschlag stehen:

"Die Argumente sagen im Wesentlichen, dass Benes der Öffentlichkeit als ein gewisses Symbol in Erinnerung gerufen werden soll, als ein bedeutender Mensch, der sich etwa um die Entstehung der Republik 1918 verdient gemacht hat. Die Abgeordneten erwähnen darüber hinaus auch seine Verdienste beim Aufbau einer tschechoslowakischen Außenpolitik als der eines souveränen und unabhängigen mitteleuropäischen Staates. Und schließlich hängen die Gründe mit dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Befreiung zusammen."

Und warum wurde der Diskussion um die historische Rolle von Edvard Benes ausgerechnet nun wieder neue Nahrung gegeben?

"Dass man gerade jetzt mit diesem Gesetzesvorschlag kommt, hängt sicher auch mit dem Beitritt zur Europäischen Union zusammen. Denn die tschechische Republik, oder besser gesagt ihre politische Elite, sucht nun gewissermaßen nach Symbolen des Landes, die im Kontext mit diesem Beitritt irgendwie das nationale Selbstbewusstsein stärken können - zumal der Beitritt ja auch als ein Schritt gilt, durch den wir in einem bestimmten Ausmaß unsere Souveränität verlieren."

Übrigens: Laut Bures handelt es sich eher um einen symbolischen Akt. Sollte das Gesetz tatsächlich beschlossen werden, so würde das kein Diskussionsverbot bedeuten. Ähnlich wie im Falle des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Masaryk, über den es einen - freilich bis auf Namen und Datum - wortgleichen Paragraphen bereits gibt.