Medienecho zum Tschechien-Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder

Gerhard Schröder und Jiri Paroubek in Terezin (Foto: CTK)
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"Die tschechisch-deutschen Beziehungen sind wie ein Phantom. In regelmäßigen Abständen - meistens zu den Treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft - kommen sie für eine Weile ans Licht, um dann wieder zu verschwinden." - Mit diesen Worten beginnt ein Kommentar von Vilem Buchert, der am Mittwoch in der Zeitung Mlada fronta dnes erschien. Sein Gegenstand: der Prag-Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder am Tag zuvor.

Gerhard Schröder und Jiri Paroubek in Terezin  (Foto: CTK)
Schröder hatte anlässlich des Kriegsendes vor 60 Jahren Prag besucht und war danach mit dem tschechischen Ministerpräsident Jiri Paroubek gemeinsam in das ehemalige Konzentrationslager Theresienstadt gefahren. Nur wenige Tage zuvor hatte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber auf dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen den Tschechen Versäumnisse bei der Versöhnung vorgeworfen. Schröder wies diese Kritik Stoibers in Prag scharf zurück und bezeichnete Stoiber als einen "inhaltlich nicht bedeutenden Politiker". Eben jene Kontroverse zwischen dem Bundeskanzler und dem bayerischen Ministerpräsidenten war es, die in den tschechischen Medien den größten Widerhall fand. Bemerkenswert ist das deshalb, weil normalerweise in Tschechien vielfach keine Unterscheidung zwischen Bundes- und Länderpolitik vorgenommen wird und vielen Menschen nicht bewusst ist, dass die Worte eines bayerischen Ministerpräsidenten nicht repräsentativ für die gesamte Bundesrepublik sein müssen. Eben zu dieser Erkenntnis gelangt die Zeitung "Pravo" in ihrer Mittwochsausgabe. Der Titel des Kommentars lautet sinngemäß: "Deutsch ist nicht gleich deutsch":

"Ein und dieselbe Sprache kann vollkommen unterschiedlich klingen. Das beweisen die grundsätzlichen Standpunkte zu den Ereignissen während und nach dem Zweiten Weltkrieg, wie sie Bundeskanzler Gerhard Schröder auf der einen und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber auf der anderen Seite äußerten: Der erste Mann der Bundesrepublik erinnerte an die historische Tatsache, dass die Ursache für die Vertreibung der Sudetendeutschen die Kriegsgräuel waren. Stoiber hingegen erkennt zwar die blutenden Wunden an, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, behauptet aber, die Vertreibung sei die "größte ethnische Säuberung des 20. Jh. gewesen". Während für den Kanzler die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 und damit der Blick in die Zukunft die Grundlage für die gegenseitigen Beziehungen ist, fordert der bayerische Premier faktisch eine Geschichtsrevision."

Edmund Stoiber  (Foto: CTK)
Etwas anders beurteilt es die Zeitung Mlada fronta dnes. Sie hört aus der jüngsten Rede des bayerischen Ministerpräsidenten versöhnlichere Töne heraus als gewöhnlich:

"Das Echo der tschechischen politischen Szene auf die Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten auf dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen grenzt an Hysterie. Dabei klangen Stoibers Worte diesmal sogar ein wenig hoffnungsvoll. Und hinter den Kulissen spricht man gar von einem möglichen ersten Tschechien-Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten."

Im zweiten Teil unserer Sendung haben wir uns mit dem Publizisten Karel Hvizdala über den Prag-Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder unterhalten. Unsere erste Frage an ihn war, was der Besuch über den gegenwärtigen Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen aussagt:

"Sicherlich zeigt das, dass die Beziehungen zumindest auf der Regierungsebene sozusagen normal sind. Und dass die europäischen Verhältnisse über ganz andere Sachen sprechen als über Vergangenheitswunden. Man zeigt also den Willen, mit jedem in jeder Situation über alles offen zu sprechen. Und das finde ich das wichtigste im Moment."

Benes-Statue vor dem tschechischen Außenministerium in Prag  (Foto: CTK)
Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers erfolgte wenige Tage, nachdem in Prag eine Statue des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes enthüllt wurde - einer historischen Persönlichkeit, die zweifelsohne zu den am meisten umstrittenen in der gemeinsamen deutsch-tschechischen Geschichte zählt. Die Dekrete von Präsident Benes sind traditionell Hauptzielscheibe der Sudetendeutschen, die auf Grundlage der Dekrete nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei vertrieben worden waren. Unmittelbar vor Schröders Prag-Besuch hatte Bayerns Ministerpräsident Stoiber die Enthüllung der Benes-Statue vor dem tschechischen Außenministerium daher als Provokation bezeichnet. Für viele Tschechen hingegen ist Benes in erster Linie mit der Gründung einer unabhängigen Tschechoslowakei im Jahr 1918 verbunden.

Hält Karel Hvizdala eine Annäherung der Standpunkte in der Beurteilung der Person Benes auf tschechischer und deutscher Seite für vorstellbar?

"Ich glaube, mit der Zeit könnte das so sein, wenn die Generation keine emotionale Verbindung mehr mit den Sachen hat. Jetzt ist es ganz klar auch bei der Familie Stoiber emotional verbunden: Die Frau Stoiber ist hier geboren und fühlt das als eigene Sache. Wenn die Zeit kommt, wo die das alles ganz anders sehen, werden sie das vielleicht auch 'kalt' beobachten können, sozusagen. Also ohne emotionale Verbindung an die Familiensachen. Vielleicht kommt das, aber das braucht bestimmt Zeit."

Karel Hvizdala war während des Kommunismus viele Jahre in der Emigration in Deutschland und spielte nach der politischen Wende von 1989 in Tschechien eine führende Rolle beim Aufbau einer neuen Medienlandschaft. Eben den Medien fällt seiner Meinung nach auch heute eine wichtige Bedeutung für die Wahrnehmung der tschechisch-deutschen Beziehungen zu:

"Also die Medien funtkionieren heutzutage ein bisschen anders als vor zehn Jahren oder so. Früher beherrschten die Medien die Informationen, heute eher die Emotionen. Heutzutage funktioniert alles, was mit emotionalen Inhalten gefüllt ist mehr als nüchterne, klare Aussagen."

Eine etwas nüchterne Darstellung, so Hvizdala, würden den Medien gut zu Gesicht stehen - auch und gerade in Bezug auf die Darstellung der tschechisch-deutschen Beziehungen:

"Vielleicht könnten die Deutschen wirklich helfen - und zwar diejenigen, die hier Inhaber von Medien bzw. Zeitungsverlagen sind, sie könnten alles nüchterner beschreiben. Wenn man die Zeitungen liest, die Deutschen oder Schweizern oder wem auch sonst gehören, stellt man fest, dass sie auf der Welle der Emotionen schwimmen. Und wenn das wirklich nüchterner wäre, könnten wir schneller zum Ziel gelangen. Und das passiert zurzeit nicht."