Pressestimmen zum Ausgang der deutschen Bundestagswahlen
Der Ausgang der deutschen Bundestagswahlen war in der zurückliegenden Woche eines der beherrschenden Themen in den tschechischen Medien.
"Dies ist keine gute Wahl: weder für Deutschland, noch für Europa und die transatlantischen Beziehungen, und demnach also auch nicht für die Tschechen. Ein Bündnis aus Christ- und Sozialdemokraten bedeutet vier Jahre auf der Stelle treten. Mehr als die Einigung auf ein "gemeinsames Reform-Minimum" ist nicht zu erwarten."
Optimistischer interpretierte den Wahlausgang der Kommentator der Zeitung Lidove noviny:
"Die Deutschen haben mit ihrer Entscheidung nicht gegen Reformen votiert. Der überraschende Erfolg der Liberalen zeigt, dass sich ein Teil der Wähler sogar noch weitaus grundlegendere Reformen gewünscht hätte. Dass die Deutschen so denken, ist gut. Auch für Tschechien. Wenn die Deutschen etwas oder jemanden abgelehnt haben, dann war es Angela Merkel. Es ist daher fraglich, ob sie es verdient, Kanzlerin zu sein."
Klarer Wahlsieger, so war sich die tschechische Presse einig, sind die Liberalen. "Aber auch die Linkspartei hat sich behauptet, auch wenn sie ihr Ziel, zur drittstärksten Partei zu werden, verfehlt hat", meint die Zeitung Pravo. "Aber sie hat es geschafft, die links von der SPD stehende Linke zurück ins Parlament zu holen. Die beiden ausgezeichneten Redner, die an ihrer Spitze stehen, Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, werden ohne Zweifel den Bundestag beleben".Nach ersten Reaktionen auf das deutsche Wahlergebnis suchten die tschechischen Medien in den vergangenen Tagen vor allem nach Parallelen zur tschechischen Politik. Die Umfragen prophezeien hier - ähnlich wie vor den Wahlen in Deutschland - der konservativen Opposition der Demokratischen Bürgerpartei ODS einen klaren Vorsprung. "Werden die Tschechen so wählen wie die Deutschen?", fragt etwa der Kommentator Jan Machacek in der Dienstagsausgabe der Zeitung Hospodarske noviny und fährt fort:
"Die Überlegung, dass wir bei unseren Nachbarn gerade ein mögliches Ergebnis der tschechischen Wahlen gesehen haben könnten, liegt wohl auf der Hand. Vielleicht werden die tschechischen Wähler auch vor dem Einheitssteuersatz zurückschrecken und den Sozialdemokraten den Vorrang geben statt dem nicht überzeugenden ODS-Vorsitzenden. Auf den ersten Blick bieten sich hier einige Parallelen an, nur wenige von ihnen halten jedoch einer tiefergehenden Analyse stand. Vor allem ist die wirtschaftliche Situation in Deutschland und Tschechien komplett verschieden. Hier dauert die Konjunktur noch einige Zeit an, während Deutschland eine tiefe Strukturkrise durchlebt. Die Arbeitslosigkeit ist katastrophal hoch und die Deutschen sparen aus Angst vor der Zukunft. In Tschechien hingegen wird munter investiert und Geld ausgegeben."
"Paroubek ist nicht Schröder" - so die Überschrift eines Kommentars in den Lidove noviny vom Dienstag. Darin warnt der Autor vor einer frühzeitigen Freude des tschechischen Ministerpräsidenten Jiri Paroubek über das unerwartet gute Abschneiden der deutschen Sozialdemokraten:"Man darf bezweifeln, dass Paroubek unweigerlich dasselbe gelingt wie Schröder. Dieser verkörpert immerhin für viele Deutsche Erfolg und Wohlstand. Paroubek hingegen ist lediglich eine erträglichere Figur als seine beiden Vorgänger an der Regierungsspitze. Er hat Glück, dass er in den fetten Jahren des Wirtschaftswachstums auf den Posten des Premiers gelangte. Sein Feind heißt Jiri Paroubek - jener Paroubek, der zum Fall bestimmt ist, sobald er beginnt sich zu brüsten. Und mit solch einem Handicap lassen sich nur schwerlich Leistungen in Schröder'schem Stile vollbringen."
Auch die Internetzeitung Neviditelny pes - was übersetzt soviel wie "Unsichtbarer Hund" bedeutet - vergleicht die politischen Verhältnisse in Deutschland mit denen im eigenen Land, betrachtet den deutschen Wahlausgang dann jedoch aus gesamteuropäischer Perspektive:
"Die Bundestagswahlen haben gezeigt, was für feste Wurzeln das gegenwärtige Modell des Sozialstaats in Europa hat. Es ist sehr schwer, die Europäer davon zu überzeugen, dass das gegenwärtige System ohne Reformen langfristig nicht bestehen kann in Konkurrenz mit dem weitaus flexibleren System in den USA und mit dem flotten Aufstieg Indiens und Chinas. Die konservative Opposition in Tschechien sollte daher die Gründe des Misserfolgs der deutschen Rechten gründlich analysieren und nicht dieselben Fehler wiederholen. Auch in Tschechien stehen nötige Reformen in einer Reihe von Gebieten auf dem Spiel. Wenn die tschechischen Wähler sich ebenso einschüchtern lassen wie die deutschen, hieße das bei uns bereits das dritte Wahl-Patt hintereinander, mit allen negativen Folgen für künftige Generationen."
Mit den Auswirkungen der deutschen Bundestagswahlen auf die tschechisch-deutschen Beziehungen beschäftigte sich am Mittwoch die Zeitung Mlada fronta Dnes. Der Autor des Kommentars, Tomas Kafka vom Deutsch-tschechischen Zukunftsfonds, appellierte an beide Seiten, sich bei der Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen weniger von Wahlergebnissen, als vielmehr von Eigeninitiative leiten zu lassen:"Wir sollten uns fragen, ob wir selbst wissen, was wir aktiv von den tschechisch-deutschen Beziehungen wollen und ob uns das Wahlergebnis hier hilfreich sein kann. Trotz der behaupteten Kontinuität der deutschen Außenpolitik hat das Wahlergebnis eine Reihe von Möglichkeiten eröffnet. Darüber, wie ambitioniert die Ziele der tschechisch-deutschen Zusammenarbeit sein werden, wird auch in Tschechien entschieden. Und zwar nicht nur bei den Wahlen im kommenden Jahr."
Nach Einschätzung der Zeitschrift Reflex ist der Wahlausgang in Deutschland aus tschechischer Sicht klar positiv zu bewerten:
"Für Deutschland bedeutet das Wahlergebnis einen weiteren Rückstand. Für Tschechien hingegen ist es ein großer Vorteil. Die Blockierung der Reformen führt zu einem weiteren Abfluss deutscher Investitionen in den Osten. Die tschechische Wirtschaft kann davon nur profitieren."Selbst Befürchtungen, dass in einer von der CDU geführten Koalition der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber Außenminister werden könnte, der Tschechien bislang noch kein einziges Mal offiziell besucht hat und für die gegenseitigen Beziehungen eher ein Stolperstein darstellt, relativiert Reflex. Noch sei überhaupt nicht klar, ob Stoiber überhaupt neuer Chefdiplomat Deutschlands werde. Hören Sie nun abschließend noch einen Kommentar zu den gegenwärtigen Koalitionsverhandlungen in Deutschland. Dazu bemerkt die Zeitung Mlada fronta Dnes am Freitag:
"Jeder gegen jeden - so lässt sich am treffendsten das Chaos charakterisieren, das nach den Bundestagswahlen in Deutschland ausgebrochen ist. Die ersten Sondierungsgespräche erinnern freilich eher an unappetitliche Scheidungsprozeduren als an die Suche nach gemeinsamen Schnittpunkten. Die Akteure gehen quer durch alle politischen Parteien gegenseitig aufeinander los, es wird über geheime Pläne gesprochen und in den Parteien meldet sich wer kann mit Ideen zu Wort. Insbesondere bei den Grünen und der FDP ist ein innerparteilicher Machtkampf um die Posten der Fraktionsvorsitzenden entbrannt. Eines der wildesten Gerüchte ist gegenwärtig das Szenario, dass im Falle einer großen Koalition die CDU und SPD ihre Führer Schröder und Merkel opfern könnten und Edmund Stoiber Kanzler würde."