Sechzigster Todestag von Edvard Beneš

Präsident Václav Klaus bei der Gedenkveranstaltung (Foto: ČTK)

Er war einer der bedeutendsten tschechoslowakischen Politiker. Als Außenminister unter Präsident Masaryk und zweiter Präsident der Tschechoslowakei beeinflusste er die Entwicklung des selbstständigen Staates maßgeblich. 1938 flüchtete er und führte er seine Amtsgeschäfte aus dem Exil weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er in die Tschechoslowakei zurück und wurde im Amt des Präsidenten bestätigt. Vor 60 Jahren starb Edvard Beneš. Am 3. September wurde dazu in Tábor eine Ausstellung eröffnet.

Präsident Václav Klaus bei der Gedenkveranstaltung  (Foto: ČTK)
Die Spitzen des tschechischen Staates, angeführt von Präsident Václav Klaus und Premierminister Mirek Topolánek, gedachten am Vormittag im südböhmischen Sezimovo Ústí / Alttabor des zweiten tschechoslowakischen Präsidenten. Edvard Beneš liegt dort, unweit seiner Villa, in der Familiengruft begraben. Am Abend wurde im gotischen Saal des alten Rathauses von Tábor eine Ausstellung zum Gedenken an Beneš eröffnet. Anhand von zahlreichen Originaldokumenten zeigt sie das Leben und Schaffen des Präsidenten. Auch Teile der Einrichtung aus seiner Villa sind zu besichtigen.

Nach dem Abspielen der Nationalhymne würdigte Staatspräsident Václav Klaus die Verdienste von Edvard Beneš um die Tschechoslowakei. Beneš hatte maßgeblichen Anteil an der Entstehung des neuen tschechoslowakischen Staates im Jahr 1918. Als Außenminister der Ersten Republik kämpfte er erfolgreich für die internationale Anerkennung des Landes und knüpfte internationale Kontakte. Die Okkupation von Teilen des Staatsgebietes durch Nazi-Deutschland vermochte er allerdings nicht zu verhindern. Und auch sein Widerstand gegen die Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948 blieb erfolglos.

 Rekonstruierte Edvard Beneš-Villa in Sezimovo Ústí  (Foto: ČTK)
„Er lebte in einer schwierigen Zeit. Auf der einen Seite gab es große Erfolge, andererseits aber auch riesige Verluste. Diese Verluste werden immer mit der Person von Edvard Beneš gleichgesetzt. Ich sage immer, dass ich das für sehr ungerecht halte.“

In der damaligen Zeit zwischen den Weltkriegen sei die Gesellschaft gespalten und über die Zukunft des Landes uneinig gewesen, betonte Klaus.

„Es ist immer leicht, nach 60, 70 oder 80 Jahren über etwas zu urteilen. Das ist wirklich sehr einfach. Aber Präsident Beneš musste seine Entscheidungen - wie man heute sagen würde - in Echtzeit fällen. Wenn die besten Schachspieler der Welt in einer Partie mitspielen, dann macht man auch andere Züge. Und wieder andere, wenn man einige Wochen oder Monate Zeit hätte und zwischen allen möglichen Alternativen abwägen könnte. Präsident Beneš aber musste über weltpolitische Fragen ‚real time‘ entschieden. Ich denke, diese Problematik kann jeder aus seiner eigenen Erfahrung heraus nachvollziehen. Dazu muss er nicht einmal Politiker sein.“

Edvard Beneš
Inhaltlich konzipiert wurde die Ausstellung vom Prager Historiker und Politologen Jan Rataj. Er ist nicht nur Professor an der Prager Wirtschaftsuniversität, sondern auch Mitglied der Edvard-Beneš-Gesellschaft. Bereits seit seinen Jugendtagen beschäftigt er sich mit dem Lebenswerk von Edvard Beneš. Rataj schilderte den Werdegang des Politikers ab dem Jahr 1914:

„Im Alter von 30 Jahren trat er in die tschechische Politik ein. Sein Fachwissen nützte er zum Vorteil der demokratischen Ideale. Die Rolle des Außenministers und des Präsidenten fasste er als intellektuelle und kreative Herausforderung auf. Es waren für ihn nicht nur ein formale Ämter, die von den Parteisekretariaten aus gesteuert wurden. Als Außenminister wurde er zum engsten Mitarbeiter von Präsident Masaryk. Dieser suchte für seine demokratische Modernisierung der tschechischen Gesellschaft Inspiration im Westen suchte. Die erste tschechoslowakische Republik war von allen Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie derjenige, der den Idealen des liberalen Parlamentarismus in den westlichen Ländern am nächsten stand.“

Auch an die Rolle von Edvard Beneš während des Zweiten Weltkriegs erinnerte der Historiker Jan Rataj:

„Er war ein aktiver Gegner der Faschismus und vor allem des deutschen Nationalsozialismus. In der Krise der westeuropäischen Demokratien blieb sein Ruf nach der Bildung eines Abwehrblocks gegen die Expansion des Nationalsozialismus ungehört. Dass Benešov zahlreichen österreichischen und deutschen Demokraten während der Nazi-Herrschaft Exil gewährt hat, ist heute weitgehend vergessen und wurde nie entsprechend gewürdigt - schon gar nicht von deutscher Seite.“

Die letzte Etappe im Bemühen um eine demokratische Tschechoslowakei begann für Edvard Beneš nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Exil zurückgekehrt, versuchte er die Machtübernahme der Kommunisten zu verhindern.

Edvard Beneš
„In der gesamteuropäischen Nachkriegsatmosphähre verloren die rechten politischen Ideen an Boden und linke Gesellschaftsmodelle kamen auf. Edvard Beneš formulierte die Konzeption der ‚sozialisierenden Demokratie‘ Auf ihr basieren auf die eine oder andere Weise alle nichtkommunistischen politischen Parteien. Beneš‘ Vorstellung war Teil der Sozialistischen Bewegung, die sich als Alternative zur extremen Rechten aber auch gegenüber dem kommunistischen Totalitarismus präsentierte. Er zeigte auf, dass das sowjetische kommunistische Modell die demokratischen Freiheiten des einzelnen Bürgers nicht berücksichtigt. Das Konzept des ‚sozialisierenden Sozialismus‘ wollte dem kommunistischen Modell keinerlei Zugeständnisse machen. Es wollte eine derartige Alternative sein, die den Kommunismus mit der Zeit in die Defensive gedrängt und verpuffen hätte lassen.“

Doch der bereits schwer kranke Edvard Beneš konnte gegen die von Moskau massiv unterstützte Machtübernahme der Kommunisten letztlich nichts mehr ausrichten. Wenige Monate nach deren Machübernahme in der Tschechoslowakei starb er im Alter von 64 Jahren in seiner südböhmischen Heimat.

In Deutschland und Österreich wird Edvard Beneš hingegen oft mit der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt. Der bürgerdemokratische Europa-Abgeordnete und Initiator der Ausstellung, Jaroslav Zvěřina widerspricht dieser Sichtweise im Radio-Prag-Interview:

Herr Abgeordneter, warum haben Sie sich entschieden, diese Ausstellung zu unterstützten?

„Wir haben schon vor zehn Jahren eine Foto-Ausstellung zum 50. Todestag von Edvard Beneš ausgerichtet. Und zum sechzigsten Todestag wollten wir dies wiederholen. Interessant ist, das zum sechtigsten Jahrestag seines Todes das Thema Beneš erstaunlicher Weise viel aktueller ist als zum fünfzigsten. Ich habe selbst keine Erklärung dafür. Heute hat dieser Gedenktag ein viel größeres Interesse ausgelöst. Und zwar sowohl vonseiten der Medien als auch vonseiten der Politiker.

Das zeigt sich ja auch daran, dass der Präsident höchstpersönlich gekommen ist, um diese Ausstellung zu eröffnen. Das ist ja eher außergewöhnlich.

„Präsident Václav Klaus war vor zehn Jahren auch hier und hat die Ausstellung eröffnet. Damals war er alleridngs noch nicht Präsident. Ich denke, er schätzt Edvard Beneš wirklich als Repräsentanten einer demokratischen Tschechoslowakei. Zu Ehren von Beneš ist heute die gesamte politische Elite des Landes gekommen. Neben dem Präsidenten war auch der Premierminister hier und Vetreter beider Parlamentskammern. An der Gedenkfeier am Grab des Präsidenten Beneš nahmen auch Vertreter der Botschaften von Großbritannien, der USA und Frankreichs teil. Und ich habe auch den Botschafter der Slowakei gesehen, was mich besonders gefreut hat.“

In Österreich und Deutschland wird der Name Edvard Beneš vor allem mit den sogenannten „Beneš-Dekreten“ in Verbindung gebracht. Ich nehme an, Vertreter Österreichs und Deutschlands waren heute nicht anwesend?

„Ehrlich gesagt haben wir aus Österreich und Deutschland auch niemanden eingeladen. Ich denke, die öffentliche Wahrnehmung von Beneš in Österreich und Deutschland wird vor allem von den Sudetendeutschen dominiert. Von jenen also, die bekanntlich nach dem Krieg vetrieben wurden. Das war natürlich ein sehr schmerzhafter und trauriger Vorgang. Aber man muß dies im Kontext der Nachkriegszeit sehen. Und das betraf nicht nur die Sudetengebiete, sondern auch ganz Polen und andere Länder. Man kann das nicht als einen nur von Benešov gesetzten Akt sehen. Außerdem wäre Beneš selbst gar nicht in der Lage gewesen, irgendein Dekret herauszugeben, ohne dass dies später das Parlament gebilligt hätte. Diese Präsidenten-Dekrete haben nur vorübergehend Gesetze ersetzt, solange sich das Parlament noch nicht konstituiert hat. Später wurden alle diese Verordnungen vom tschechoslowakischen Parlament abgesegnet. Dies Personifizierung der Dekrete mit Beneš sind eine rein deutsche Sichtweise. Ich denke, das ist nich objektiv.“

Ihrer Meinung nach muss man also diese Dekrete im Kontext mit der damaligen Zeit sehen. Und nicht nur in Verbindung mit der Person von Edvard Beneš?

„Ja genau. Mir wäre es nicht recht, wenn man einige Nachkriegseregnisse personifizieren würde. Beneš selbst hat ja auch nicht den Nationalsozialismus besiegt. Und er hat schließlich auch nicht die Sowjet-Armee in die Tschoslowakei geführt. Das hätte er auch gar nicht gekonnt. Aber Beneš war ein bedeutender demokratischer Politiker, der eine bestimmte politische Richtung verkörpert hat, die in der Zwischenkriegszeit in Europa geherrscht hat. Wahr ist aber, dass diese Politik nicht zum Besten ausgefallen ist. Die totalitären Regime haben sie überrollt.“