Loučeň feiert: Vor 125 Jahren hielt Fußball hier in Böhmen Einzug

FK Loučeň (Foto: Archiv des Schlosses Loučeň)

Vor 125 Jahren hat eine tschechische Mannschaft hierzulande erstmals Fußball gespielt. Es war aber nicht einer der großen Traditionsvereine, sondern der FK Loučeň 1893. Aus diesem Anlass fanden am vergangenen Wochenende in dem kleinen Ort bei Nymburk große Feierlichkeiten zu diesem Jubiläum statt.

FK Loučeň  (Foto: Archiv des Schlosses Loučeň)
Die beiden größten Traditionsvereine in Tschechien sind der SK Slavia Prag und der AC Sparta Prag. Viele Tschechen glauben daher, dass einer der beiden Clubs auch der älteste Fußballverein des Landes ist. Tatsächlich dürfte es Slavia Prag sein, denn in den Annalen des Vereins steht das Gründungsdatum 2. November 1892. Doch vor etwas über 125 Jahren wurde dieser Verein unter dem Namen ACOS Slavia zunächst als Akademische Radfahrergruppe Slavia ins Leben gerufen. Diese wurde relativ schnell aufgelöst, und erst am 31. Mai 1895 entstand der Fußballverein SK Slavia als Nachfolger der Radfahrergruppe. Die Fußballsparte des Athletic Club Sparta Prag wurde am 16. November 1893 gegründet, damals noch als AC Královské Vinohrady.

Basierend auf den eben genannten Fakten behauptet nun ein kleiner mittelböhmischer Verein, der älteste tschechische Fußballclub zu sein: der FK Loučeň 1893. Der Marktflecken Loučeň liegt zwischen den Städten Mladá Boleslav / Jungbunzlau und Nymburk / Nimburg und hat heutzutage 1300 Einwohner. Der FK Loučeň 1893 spielt heute in der dritten mittelböhmischen Kreisklasse, das entspricht der siebten Liga in Tschechien. Der ehemalige Spieler und heutige Chronist des Vereins, Ivo Ottomanský, ist aber von der historischen Erstrangigkeit überzeugt:

Ivo Ottomanský: „Es war zu Ostern, am 18. April 1893, als die Fußballmannschaft des Schlosses Loučeň auf der Kaiserinsel in Prag die erste Partie austrug. Der Gegner war der Club Regatta Prag, die Mannschaft aus Loučeň hat 0:5 verloren.“

„Auch wenn wir uns mit Slavia und Sparta darüber streiten, wer nun zuerst da war, ein historischer Eintrag spricht klar für uns: Das erste Fußballspiel hierzulande bestritt Loučeň.“

Ottomanský weiß auch genau, wer der Gegner war und wie das Spiel ausging:

„Es war zu Ostern, am 18. April 1893, als die Fußballmannschaft des Schlosses Loučeň auf der Kaiserinsel in Prag die erste Partie austrug. Der Gegner war der Club Regatta Prag, die Mannschaft aus Loučeň hat 0:5 verloren.“

Dies war auch kein Wunder, denn der Eis- und Ruder Club Regatta Prag bestand damals schon zwei Jahre. Der von Prager Deutschen gegründete Verein widmete sich neben Eislaufen und Rudern auch sehr früh dem Fußball und gilt bis heute als der Club, der als Erster in Böhmen Fußball spielte. Aber halt als deutscher Verein. Um dies noch deutlicher zu machen, haben die Fußballer von Regatta schließlich 1896 den später sehr populären DFC Prag gegründet.

Schloss Loučeň  (Foto: Masha Volynsky)
Doch zurück zum FK Loučeň 1893. Dessen Leistung wurde trotz der 0:5-Schlappe von der Presse gewürdigt, verrät Ottomanský:

„In den Zeitungen, die in den Folgetagen erschienen, wurden die Fußballer aus Loučeň gelobt. Es hieß, sie seien ein guter Sparringpartner im Fußball gewesen.“

Und ein Tor hätten sie auch erzielt, was leider wegen Abseits nicht gegeben wurde, ergänzt Ottomanský. Weshalb die Männer aus Loučeň nun die ersten Tschechen waren, die hierzulande Fußball spielten, hat grundsätzlich mit dem dortigen Schloss zu tun. Es ist eines der schönsten Barockschlösser des Landes und gehörte seinerzeit der Adelsfamilie Thurn und Taxis. Der damalige Prinz Erich von Thurn und Taxis war Anfang der 1890er Jahre von einem Studium aus Cambridge zurückgekehrt, wo er unter anderem mit dem Fußball und dessen Regeln in Berührung kam. In der Schlossmannschaft, die er daraufhin in Loučeň formierte, sollen historischen Belegen zufolge dann auch drei Engländer gestanden haben, sowie acht Tschechen aus Loučeň und Patřín. Nach zweijährigem Training mit Testspielen gegen Studenten aus Prag und Mladá Boleslav kam es schließlich auf Veranlassung von Fürst Alexander von Thurn und Taxis zu dem vielversprechenden Auftakt gegen Regatta Prag. Dieses Spiel gilt seitdem als Geburtsstunde des heutigen FK Loučeň 1893.

FK Loučeň - TJ Pátek  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Dieses Ereignis wurde dann auch am vergangenen Wochenende gebührend gefeiert. Rund um das Schloss Loučeň herrschte ein buntes Treiben. Auf der Wiese des Schlossparks, die den Annalen zufolge das älteste Fußballspielfeld des Landes ist, wurde am Samstag ein Kleinfeld-Turnier ausgetragen. Im Anschluss daran wurde die historische Partie zwischen dem FK Loučeň 1893 und Regatta Prag noch einmal nachgestellt, dank mehrerer Enthusiasten. Höhepunkt der zweitägigen Feierlichkeiten war indes das Punktspiel der ersten Mannschaft aus Loučeň. In der dritten Kreisklasse empfing sie am Sonntag den regionalen Rivalen TJ Pátek zum Bezirksderby. Auch er fiebere diesem Spiel entgegen, sagte Pensionär Ivo Ottomanský drei Tage vor dem Anpfiff:

„Für mich ist das quasi der Gipfel meiner gesamten sportlichen Karriere. Als 15-Jähriger habe ich angefangen, in Loučeň Fußball zu spielen. Und ich denke, auch für die Spieler, die am Sonntag auflaufen, wird es ein großes Ereignis.“

Das wurde es ganz bestimmt. Alleine schon deshalb, weil diese Siebtliga-Partie im Rahmen des TV-Projekts „Můj fotbal živě“ vom Tschechischen Fernsehen live übertragen wurde. Und wie es sich für ein privilegiertes Match gehört, wurde es auch mit einer Hymne begonnen.

Ivo Ottomanský: „Für mich ist das Jubiläum der Gipfel meiner gesamten sportlichen Karriere. Als 15-Jähriger habe ich angefangen, in Loučeň Fußball zu spielen.“

Vier Hornbläser intonierten die Fanfare des Adelsgeschlechts Thurn und Taxis, das einst auf Schloss Loučeň residierte. Der damalige Prinz Erich hatte wie schon erwähnt großen Anteil daran, dass der Fußballsport vor 125 Jahren auch in Böhmen Fuß fasste. Am Sonntag war dessen Enkel Fritz von Thurn und Taxis bei bei der Jubiläumsfeier zu Gast. Dem ehemaligen Sportmoderator war es dann auch vorbehalten, den Ehrenanstoß des TV-Spiels durchzuführen. Schon in der Halbzeitpause war der 67-Jährige begeistert, als ihn das Tschechische Fernsehen vors Mikrofon bat.

„Herrlich, so viele Zuschauer. Die Mannschaft aus Loučeň führt auch mit 3:0, und noch dazu das erste Mal im Fernsehen. Ich glaube, das werden diese Spieler nicht vergessen. Das gibt ihnen richtig Adrenalin.“

Pavel De Giorgii  (Foto: Archiv MLMF)
Die Gastgeber spielten tatsächlich sehr befreit und entschlossen auf, was am Ende mit einem 4:0-Sieg belohnt wurde. Und das gegen einen Gegner, der vor der Partie um acht Punkte besser und sechs Ränge vor dem Team aus Loučeň platziert war. Mit der Niederlage mochte sich der Trainer der Gäste, Pavel de Giorgi, dann auch nicht so recht anfreunden:

„Ich bin enttäuscht, denn meine Mannschaft kann viel besser Fußball spielen. Doch leider agierten die Jungs heute vor der Fernsehkamera wie gelähmt und haben so gespielt, als wenn sie das erste Mal gegen den Ball treten würden.“

Genau den gegenteiligen Effekt hatte die landesweite Ausstrahlung der Begegnung für die Hausherren, bestätigte deren Trainer Otakar Ottomanský:

„Mich hat die kämpferische Einstellung unserer Jungs begeistert, denn gerade die habe ich in einigen Spielen des Frühjahrs vermisst. Vor der Fernsehkamera haben sie wirklich Einsatz und Siegeswillen gezeigt. Und das bewerte ich heute als das größte Plus unseres Auftritts.“

Auch in der siebten Liga gibt es für einen Sieg drei Punkte, durch diese Zähler konnte sich das Team aus Loučeň ein Stück mehr aus der Abstiegszone befreien. Noch Wesentlicher aber war, dass der älteste tschechische Fußballverein vor aller Augen zeigen konnte: Wir sind noch da und wissen mit dem runden Leder umzugehen.

Autor: Lothar Martin
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