Lubomir Strougal

Verehrte Hörerinnen und Hörer, zu einer weiteren Folge des Medienspiegels von Radio Prag begrüßen Sie recht herzlich Silja Schultheis und Robert Schuster.

Das nahende Jahresende wird gerade von Journalisten überall auf der Welt dazu genutzt, Bilanz über das abgelaufene Jahr zu ziehen oder eventuell sogar einen Ausblick auf das kommende Jahr zu wagen. Auch in den tschechischen Medien, vor allem in den Tageszeitungen, häufen sich in diesen Tagen erste Sonderbeilagen, die man wohl am besten auf einen gemeinsamen Nenner, nämlich "Höhepunkte des Jahres 2001" bringen könnte. Dort lässt man die wichtigsten Ereignisse noch einmal Revue passieren. Dennoch beschränkten sich die Medien hierzulande in ihrer Berichterstattung und den Kommentaren nicht nur aufs Bilanzieren.

Anfang vergangener Woche berichteten nämlich fast alle Zeitungen ausführlich über den Beginn des Gerichtsverfahrens mit dem früheren Ministerpräsidenten der kommunistischen Tschechoslowakei, Lubomír Strougal. Das grosse Interesse der Medien war verständlich, denn zwölf Jahre nach der Wende war er der ranghöchste kommunistische Spitzenpolitiker, der sich nun wegen Amtsmissbrauchs auf der Anklagebank verantworten muss. Dem früheren Premier wird vom Staatsanwalt vorgeworfen, Mitte der 60er Jahre, als damaliger Innenminister, die Aufklärung eines Mordes vereitelt zu haben, den Angehörige des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes Ende der 40er Jahre an drei vermeintlichem Gegnern des kommunistischen Regimes begangen hatten. Der Fall scheint somit der vorläufige Höhepunkt einer regelrechten Anklagewelle gegen frühere kommunistische Funktionäre zu sein. Schon in der Vorwoche begann die Gerichtsverhandlung gegen den späteren Nachfolger Strougals als Innenminister, Jaromír Obzina.

Es ist also kein Wunder, dass diese Ereignisse auch auf den Seiten der tschechischen Tageszeitungen kommentiert wurden. So brachte etwa die Zeitung Lidove noviny nicht nur zum Fall Strougal auf Seite eins einen Leitartikel mit der Überschrift "Unendliche Gerechtigkeit". Der Autor des Kommentars ging dabei auf die sehr oft gestellte Frage ein, warum die kommunistischen Würdenträger von einst erst heute, also 12 Jahre nach dem Umsturz, vor Gericht kommen. Dabei gibt er eine sehr simple Antwort: Die Richter scheinen ihre anfängliche Angst verloren zu haben solche Gerichtsverfahren einzuleiten und auch Urteile zu fällen. Nur so konnte es geschehen, dass die unendlich geduldige Gerechtigkeit anscheinend nun doch noch zum Durchbruch kommen wird, urteilt Martin Zvìøina in Lidové noviny.

Auch die auflagenstärkste unter den seriösen tschechischen Tageszeitungen, die Mladá fronta Dnes, hat die Serie von Gerichtsverfahren gegen Obzina, Strougal und Co. zum Anlass für einen grundlegenden Kommentar genommen:

"Wenn wir wollten, könnten wir uns jetzt ernsthaft einreden, dass es nun endlich zu jenen Prozessen kommen wird, welche unsere Vergangenheit betreffen. Wir wären jedoch blind und taub, wenn wir so etwas wirklich glauben würden."

Im weiteren weist dann nämlich der Autor dieses Kommentars, Karel Steigerwald darauf hin, dass jene Anklagepunkte, aufgrund derer Strougal oder Obzina nun vor Gericht kamen, sich auf Vergehen gegen die damals geltende kommunistische Gesetzgebung beziehen. Steigerwald stellte deshalb die rhetorische Frage, ob denn nun die Richter deswegen nach den alten kommunistischen Gesetzen urteilen sollten?

Steigerwald verneint dies und liefert einen anderen Grund, warum diese Verfahren zu Ende geführt werden sollten:

"Die Funktionäre sollten deswegen vor Gericht gestellt werden, weil sie die anderen Bürger des Landes, welche nicht Anhänger der Kommunisten waren, ihrer Freiheit, ihrer Demokratie, ihres Eigentums und häufig auch ihres Lebens beraubt hatten. Das alles machten sie planmäßig, konspirativ und mit sowjetischer Hilfe. Und eben die Verletzung der oben genannten Prinzipien sollte nun die demokratische Gesellschaft als das größte Vergehen der Angeklagten empfinden. Sollte sie das aber nicht tun, öffnet sie gleichzeitig allen künftigen Versuchen, wieder eine antidemokratische Revolution durchzuführen, Tür und Tor. Jedem ist es freigestellt, so etwas zu versuchen, weil dieses Land scheinbar all jenen Straffreiheit gewährt, welche die Freiheit rauben wollen."

Während Lidove noviny und Mladá fronta Dnes dem Strougal-Prozess breiten Raum gewährten und die Angelegenheit auch klar kommentierten, beschränkte sich die Tageszeitung Pravo, die vor der Wende das Presseorgan der tschechischen Kommunisten war, lediglich auf die Berichterstattung. Radio Prag fragte deshalb einen der profiliertesten Kommentatoren von Pravo, den früheren Oppositionellen und Bürgerrechtler Petr Uhl, was er von den begonnen Prozessen gegen Lubomir Strougal und Jaromír Obzina halte:

"Ich habe da etwas widersprüchliche Gefühle. Was die Strafsache gegen Jaromír Obzina angeht, der einst als Innenminister die Ausbürgerung von Regimekritikern und deren Weggang ins Exil anordnete, finde ich es in Ordnung, dass das nun endlich vor Gericht kommt und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen wird. Bei Strougal bin ich mir da aber nicht mehr so sicher. Er soll nämlich die Untersuchung eines Mordes vereitelt haben, der zu jenem Zeitpunkt bereits verjährt war. Jeder Jurist würde da sofort sagen, dass er keinen Grund dafür sieht, dass sich jetzt Strougal vor Gericht verantworten muss. Hier sind also nicht juristische Argumente im Spiel, sondern politische, so dass der Eindruck entstehen muss, die Politik gewinne wieder Oberhand über die Gerichtsbarkeit."

Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit des Landes ist auch ein Thema, welches immer wieder die tschechischen Medien beschäftigt und zwar nicht nur an Jahrestagen, wie am Tag der Machtergreifung durch die Kommunisten am 25. Februar. Schon oft brachte z.B. das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen gut recherchierte Reportagen über ganz konkrete Fälle aus der Vergangenheit, in denen Augenzeugen schwere Vorwürfe gegen noch lebende kommunistische Polizisten und Handlanger des Regimes vortrugen und auch bereit waren, vor Gericht auszusagen. Dennoch griff die Staatsanwaltschaft solche Berichte nur in den wenigsten Fällen auf und leitete dann strafrechtliche Schritte ein. Was denkt Petr Uhl über die Rolle der Medien bei der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit?

"Tja, die Medien können nur dann eine Rolle spielen, wenn es von Seiten der Zuschauer oder Leser eine entsprechende Nachfrage gibt. Es ist eigentlich schade, dass z.B. nicht mehr Dokumentarfilme entstanden sind, welche die breite Öffentlichkeit hätten informieren können. Es ist halt nun mal leider so, dass die Medien ihren Lesern und Zuschauern buchstäblich alles auf einem Tablett servieren müssen und wenn sie das nicht tun, haben sie keine Chance. Aber ich warne wieder vor einem anderen Extrem, und zwar vor einem möglichen Versuch, durch ein gezieltes Dosieren von Informationen Rachegefühle zu wecken. Ich fürchte nämlich, dass unsere Gesellschaft gegen so etwas noch nicht gefeit ist. Das bezeugt auch das Interesse, welches jetzt dem Gerichtsverfahren gegen Strougal entgegen gebracht wird. Das, was den Mann auf der Strasse daran interessiert, sind nicht etwa der geschichtliche Hintergrund oder die Zusammenhänge, sondern fast ausschließlich die Frage, ob Strougal ins Gefängnis muss oder nicht."