Mähren an der Themse und die Brünner Bronx
Kateřina Šedá ist 2017 Architektin des Jahres geworden. Und das obwohl sie eigentlich keine Architektin ist.
„Ich habe ein Dorf gesucht, das tagsüber menschenleer ist, weil die Bewohner alle zum Arbeiten in die Stadt fahren. Ein Dorf also, dessen Bewohner eine größere Chance haben, sich in der Stadt zu treffen als auf dem Dorfplatz. Ich habe mir dann überlegt, wie man das unter einen Hut bringen könnte. So bin ich dann darauf gekommen, dass ich das Dorf einfach in die Stadt bringen könnte. Erst nach Brünn, dann nach Prag und am Ende habe ich durch Zufall das Angebot von der Tate Gallery in London bekommen.“
Es ging Kateřina Šedá darum, einen neuen Feiertag für die Dorfbewohner zu schaffen und sie zusammenzubringen:„Ein Tag also, den die Menschen zu Hause verbringen und an dem sie ihre Kinder aus der Schule holen. Einen Tag, an dem man etwas Nicht-Traditionelles macht. Dahinter steht der Gedanke, dass wir uns zwar viel mit dem öffentlichen Raum beschäftigen, dafür aber wenig mit dem öffentlichen Leben. Es ist so, dass es viel Althergebrachtes in den Dörfern gibt, etwa die gewohnten Feiertage. Mir hat da die Überraschung gefehlt, ich wollte etwas machen, was die Menschen dazu bringt, wegzufahren aus ihrem Dorf.“
Sie begreift das Projekt „From Morning till Night“ daher nicht als Event für kunstbegeisterte Londoner. Es ging Kateřina Šedá vielmehr darum, den Menschen von Bedřichovice selbst etwas zu geben:„Für mich sind immer die direkten Akteure die Zielgruppe meiner Arbeit. Auch wenn natürlich die Beobachter und das Umfeld oft viel interessierter sind. Für mich war wichtig, dass die Menschen Dinge gemeinsam machen, die sie sonst nie gemeinsam machen würden. Das heißt, als die Mauern irgendwann gefallen waren, frühstückten die Bewohner von Bedřichovice gemeinsam oder gingen zusammen in die Kirche. Das war früher noch nie so passiert.“
Das Projekt lief insgesamt fünf Jahre lang. Und dass die Menschen daraus tatsächlich etwas mitgenommen haben, sieht es Kateřina Šedá bei ihren Besuchen in Bedřichovice auch heute.
Was ist soziale Architektur?
Gerade das ist der Sinn der „sozialen Architektur“, wie die Arbeit Šedás unter anderem bezeichnet wird. Die Künstlerin selbst will aber keine eigene Definition der sogenannten sozialen Architektur wagen:„Ich versuche, meine Arbeit nicht in irgendeine Schublade zu stecken, ob man sie nun als soziale Architektur, als Konzeptkunst oder aber als Dienst an der Gemeinschaft bezeichnen will. Eigentlich ist es von allem etwas, denn ich habe im Prinzip nichts in die Richtung studiert. Von Anfang an versuche ich, Mauern zu finden, die Menschen auf irgendeine Weise trennen. Genau diese sollen durch meine Arbeit zum verbindenden Element in der Gemeinschaft werden. Mich interessiert gerade die Entwicklung der Gemeinschaft und das irgendetwas herumkommt am Ende meines Projekts.“
Aus Großmutters Laden zu den Millionären
Das Spektrum von Kateřina Šedá ist dabei breit. Angefangen hat sie mit ihrer eigenen Großmutter. Sie wollte die Eintönigkeit ihres Rentnerdaseins durchbrechen und hat mit ihr ein Projekt gestartet. Die ehemalige Verkäuferin sollte jeden einzelnen Artikel in ihrem ehemaligen Laden auch zeichnen.Ein anderes Projekt hat Kateřina Šedá in die USA gebracht. Sie hat dabei einen der reichsten Orte des Landes, das kalifornische Los Altos, menschlich gemacht und in seinen obskursten Facetten gezeigt. Dazu hat sie von den Bewohnern von Los Altos eine Art „Guinness-Buch der Rekorde“ zusammenstellen lassen. Am Ende sollten die Millionäre über die Normalität ihrer Nachbarn staunen.
In diesem Jahr wurde Kateřina Šedá in Tschechien mit dem Titel Architektin des Jahres geehrt. Die Begründung der Jury war, dass Architektur nicht immer etwas mit Ziegeln zu tun haben muss. Doch was hat ihre Arbeit eigentlich wirklich mit der Baukunst zu tun?
„Wenn ich Architektur ganz einfach definieren müsste, dann sind es für mich Beziehungen. Und das sind auch die Bemühungen hinter meiner Arbeit: neue Beziehungen und Gemeinschaften zu errichten. So verstehe ich das. Ob es die Jury auch so gesehen hat, das kann ich natürlich nicht beurteilen.“Die Menschen aus ihren Häusern rausbringen
Mit Architekten arbeitet Kateřina Šedá indes schon lange zusammen. Zum Beispiel wird sie um Rat gefragt, wenn es darum geht, einen öffentlichen Platz zu beleben ohne in seine Bausubstanz einzugreifen. Sie hat sich aber nie als Hauptverantwortliche für irgendein bauliches Projekt gefühlt, so die Künstlerin. Manchmal kommt es ihr sogar so vor, als ob sie genau das Gegenteil eines Architekten machen würde:
„Es ist ein bisschen paradox, dass echte Architekten eigentlich Häuser bauen, ich die Menschen aber aus diesen Häusern hinaustreibe. Mir geht es darum, dass die Bewohner ihre Häuser öffnen und Zeit zwischen den Gebäuden verbringen. Architektur sind allgemein aber nicht nur Bauten, sondern auch die Gänge dazwischen oder die Zäune, die zwischen den Menschen gebaut werden. Architektur sind eigentlich ganz verschiedene Dinge, wobei viele Menschen den Begriff ganz eng fassen. Mir geht es aber eben nicht darum.“ Zu ihrer Überraschung wurde ihr Erfolg von „echten“ Architekten gut aufgenommen. Sie hätte glücklicherweise nur Gratulationen bekommen für ihren Erfolg, so Šedá. Sie würde ja auch keinem renommierten Architekten die Arbeit wegnehmen, da sie ja wirklich kein Haus bauen könnte, fügt sie dabei noch mit einem Lächeln hinzu.Mit der Tram durch die Brünner Bronx
Der Titel Architektin des Jahres war 2017 jedoch nicht die einzige Ehrung für Kateřina Šedá. Sie hat zudem den prestigeträchtigsten tschechischen Literaturpreis erhalten, den Magnesia Litera. Ausgezeichnet wurde dabei ihr Buch „Brnox“, der Brünn von einer ganz anderen Seite zeigt. Kateřina Šedá wollte darin ein Glasscherbenviertel der südmährischen Großstadt zeigen – den sogenannten Cejl. Den kennen die „normalen“ Brünner nämlich nur aus dem Fenster der Tram:
„Ich bin als Mensch an das Viertel herangegangen, der es überhaupt nicht kennt und nicht genau weiß, wie er damit umgehen soll. Eigentlich sollte es eine Art Reiseführer werden. Doch während meiner Arbeit ist mir aufgefallen, dass ich nur ein sehr oberflächliches Bild über das Viertel habe. Bei meinen Recherchen bin ich dann darauf gekommen, dass dieses Sammeln von Informationen der Schlüssel zum Cejl ist. Ich wollte, dass die Brünner als die Zielgruppe meiner Arbeit das Viertel kennenlernen, in dem sie eigentlich nicht aus der Tram steigen.“