Mährisches Manchester: Ausstellung beleuchtet Textilproduktion in Brünn
Mährisches Manchester – diesen Beinamen bekam das südmährische Brno / Brünn im 19. Jahrhundert. Von hier aus lieferten einst fast 40 Textilproduzenten ihre Waren in die ganze Welt. Obwohl heute nur noch eine einzige Fabrik existiert, hat sich diese Ära dauerhaft ins Antlitz der Stadt eingeschrieben. Eine Ausstellung in Brünn blickt nun zurück auf 250 Jahre Textilgeschichte. Beteiligt daran war auch die Schriftstellerin Kateřina Tučková.
Nová Mosilana, so heißt die einzige Textilfabrik, die in Brünn noch übrig geblieben ist. Sie gehört längst einem ausländischen Investor, beschäftigt sind dort etwa 900 Menschen. Kein Vergleich zu früher, sagt Andrea Březinová von der Mährischen Galerie in Brünn. Sie ist Mitkuratorin der Ausstellung „Mährisches Manchester“.
„Zu der Zeit, als die Textilproduktion die größte Konjunktur hatte, also etwa in den 1860er Jahren, waren in Brünn 18.000 Arbeiter in dieser Branche beschäftigt. Das war aber eine vorübergehende Sache. Es kamen einige Krisenwellen, und die Zahlen schwankten stark. Aber selbst in den 1920er Jahren waren es noch einige Tausend Arbeiter.“
Mit den Textilunternehmern kam der Wohlstand. In Brünn entstanden neue Straßenzüge, Parks und prachtvolle Villen. Auch die weltberühmte Villa Tugendhat steht in Verbindung zur Textilindustrie, genauer gesagt zu Alfred Löw-Beer: Greta Tugendhat war die Tochter des Textilmagnaten. Doch die Ausstellungsmacher wollten auch zeigen, wem die Unternehmer ihren Reichtum verdankten. Die Bedingungen in den Fabriken waren schlecht, selbst im Vergleich zu anderen Industriezweigen, sagt Andrea Březinová:„Dort wurden die niedrigsten Löhne bezahlt. Sie arbeiteten in der Hitze, in der Feuchtigkeit, die Sterberate war sehr hoch. Vor allem in den Spinnereien arbeiteten hauptsächlich Frauen und Kinder.“Fotos, Stoffe, Spinn- und Webmaschinen sollen nun den Alltag erfahrbar machen. Begleitend zur Ausstellung entstand auch ein historischer Tatsachenroman. Geschrieben hat ihn die Brünner Schriftstellerin Kateřina Tučková:
„Inspiriert hat mich dazu eigentlich mein ganz alltägliches Leben hier. Ich lebe nämlich mittendrin und quasi im Herzen des mährischen Manchester, im Stadtteil Cejl in der Bratislavská-Straße. Und wenn ich morgens aus dem Haus gehe, dann komme ich an den Pawlatschen-Häusern, den ehemaligen Fabriken und auch an den luxuriösen Häusern und Villen der einstigen Textilmagnaten vorbei.“
Die Kuratoren der Ausstellung wünschten sich einen Text, der die Besucher in die Welt der Textilproduktion hineinführt. Kateřina Tučková:„Mit dem Mittel der Belletristik ist das sehr gut möglich, daher habe ich nicht gezögert und die Zusammenarbeit zugesagt. Ich habe mir eine Familie ausgesucht, anhand der sich diese 250-jährige Geschichte zeigen lässt. Und dabei bin ich auf die Familie Offermann gestoßen, die nun im Mittelpunkt des Textes ‚Fabrika‘ steht.“
Über fünf Generationen verfolgt Kateřina Tučkovás die Geschichte der Familie. 1928 ging das Unternehmen in Konkurs. Der schleichende Niedergang der Textilindustrie in Brünn war bald nicht mehr aufzuhalten. Die jüdischen Fabrikanten wurden von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt, die Deutschen nach dem Weltkrieg vertrieben. Während des Sozialismus existierten einige Staatsbetriebe. Von der früheren industriellen Blüte zeugen in Brünn heute vor allem die riesigen Industriebrachen mitten in der Stadt. Eine der größten ehemaligen Textilfabriken, der Vlněna-Komplex, soll noch in diesem Jahr abgerissen werden.
Die Ausstellung ‚Moravský Manchester‘ ist in der Mährischen Galerie in Brünn noch bis zum 12. April zu sehen. Mehr Informationen gibt es auf Tschechisch unter www.moravska-galerie.cz