Masopust - Karneval in Tschechien zwischen Gestern und Heute

Jirina Langhammerova
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Am Aschermittwoch ist alles vorbei, heißt es. Für uns nur umso mehr ein Anlass zurückzublicken und zu fragen, wie man den Karneval, der hierzulande Masopust heißt, in Tschechien eigentlich feiert. Thomas Kirschner sprach im folgenden Forum Gesellschaft dazu unter anderem mit der Volkskundlerin Jirina Langhammerova.

Karneval im Prager Stadtteil Zizkov: Unter den schrägen Klängen der Blaskapelle Zizkovanka versammeln sich bunte Gestalten, Stelzengänger, Menschen mit Groteskfiguren und bizarren Verkleidungen am Karnevalsdienstag zum Umzug durch das Viertel. Die Narren haben Klappern und Pfeifen mitgebracht und tanzen ausgelassen. Ein Nachtwächter gibt das Zeichen zum Aufbruch.

Der Zizkover Karneval ist eine moderne, städtische Form der traditionellen böhmischen und mährischen Karnevalsfeiern. Die reichen, wie der Karneval in ganz Europa, mit ihren Wurzeln und Ritualen bis weit in die vorchristliche Zeit zurück. In ihrer vollen Ausprägung haben sie sich nur noch in kleinen, besonders traditionellen Gebieten Tschechiens erhalten, etwa im westböhmischen Chodenland rund um Domazlice / Taus oder in der so genannten mährischen Slowakei. Auch im Prager Karneval sind aber noch viele traditionelle Elemente lebendig, angefangen beim Umzug. Der ist ursprünglich nur ein Weiterziehen von Haus zu Haus - in Prag aber bilden die traditionellen Kneipen des Bezirks die Stationen. Voll alter Symbolik sind die Gerichte, mit denen die Teilnehmer bewirtet werden, erläutert die Volkskundlerin Jirina Langhammerova, die vor kurzem ein Buch über Volksbräuche in Tschechien veröffentlicht hat:

"Es gibt verschiedenes Fleisch, vor allem fettes, denn seit jeher gilt fettes Fleisch das Symbol des Wohlergehens. Also werden die Gäste vor allem mit Selchfleich bewirtet. Und daneben sind Krapfen ganz typisch, oder auf Tschechisch ´koblihy´ - rundes, in Fett ausgebackenes Gebäck mit verschiedenen Füllungen, das ehemals die Sonne symbolisiert hat."

Der Karneval bildet den Höhepunkt und Abschluss der winterlichen Festzeit. In Vorwegnahme des Frühlings feiert er das sich erneuernde Leben, die Jugend und die Fruchtbarkeit, aber auch die Lebenskraft, die den Winter überwunden hat. Die traditionellen Umzüge sind voller solcher Motive und Rituale.

"In den traditionellen Gebieten, etwa in Süd- oder Ostböhmen, ist der Umzug nicht nur eine Zurschaustellung der wunderbaren Masken, sondern hat auch einen tieferen Subtext in alter Magie. Am letzten Karnevalstag, am Dienstag vor Aschermittwoch, sind die Masken mit einer besonderen Kraft geladen. Es gibt zwei Pole: Auf der einen Seite jugendliche, makellose Masken, die Frühling, Glück und Leben verheißen, und auf der anderen Seite die bizarren Gestalten, die Kraft und Freude eines andersartigen Lebens verbreiten."

Die althergebrachten Masken bestehen aus voluminösen Strohumhängen, die tierische Lebenskraft symbolisieren sollen, oder bunten Lappenkostümen mit grotesken Hüten. Vor den einzelnen Häusern im Dorf wird getanzt - oft einfache Kreistänze, die wiederum das Leben spendende Sonnenrad verkörpern sollen. Buchstäblich das ganze Dorf nimmt daran Teil, erklärt die Volkskundlerin Jirina Langhammerova:

"Auch Verstorbene werden in diesen Tanz mit eingebunden. Bei den Häusern, in denen im vergangenen Jahr jemand gestorben ist, gibt es einen so genannten ´stillen Tanz´, also ohne Musik, zur Ehre des Toten. Es wird also das Leben in einem breiten Sinne mit einbezogen. Das hat seinen Wurzeln darin, dass der Karneval ursprünglich von antiken Neujahrsritualen abstammt. Und zu Beginn des Jahres, so war die Vorstellung, kommen die Verstorbenen zurück unter die Lebenden. Und das ist ein ganz schönes der alten Motive: das ganze Dorf ist darin verbunden, sozusagen horizontal und vertikal."

Foto: Autor
Karneval ist aber auch das Spiel mit der verkehrten Welt. Was sonst verboten ist, ist in den tollen Tagen erlaubt, die sonst Machtlosen dürfen den Mächtigen für kurze Zeit auf der Nase herumtanzen. Anders als in Deutschland hat der Karneval in Tschechien aber keinen politischen Einschlag. Und mit dem subversiv-anarchischen Element konnten sich die Kommunisten arrangieren, so Langhammerova.

"Die Kommunisten hat der Karneval überhaupt nicht gestört. Die haben vor allem Feste mit christlichem Hintergrund unterdrückt, Fronleichnam etwa. Aber allgemeine Unterhaltungen haben sie nie gestört. Ganz im Gegenteil: der Karneval wurde meist von irgendeinem dörflichen Verein organisiert, etwa von der Freiwilligen Feuerwehr, und so hat er die kommunistische Zeit überstanden ganz lebendig bis heute."

Ganz lebendig ist der Karneval nicht zuletzt auch in Zizkov: Ein junger Mann steckt in einem unförmigen, gelb-braun gefleckten Pappkostüm, auf dem Kopf ein groteskes Geweih. Mit sich herum schleppt er eine Kugel aus Papierresten und Klebeband.

"Ich bin als Skarabäus verkleidet. Das sind diese Käfer, die vor sich so eine Dreckkugel herrollen. Ein Pillendreher, ein Mistkäfer. Am Anfang habe ich nur ein ganz kleine Kugel, aber ich versuche jetzt alles aufzusammeln, und dann setze ich mich irgendwo hin und freue mich darüber."

'Mondmann'  (links); Foto: Autor
Beim heutigen Karneval stehen die Verkleidungen im Mittelpunkt, der gemeinsame Umzug, das Tanzen, das Vergügen am Anders-sein. Die traditionellen Riten und Bräuche werden oft von neuen Formen des Feierns verdrängt. Auch wenn Jirina Langhammerova mit leuchtenden Augen von der uralten Symbolik des Karnevals erzählt - die Veränderungen nimmt sie gelassen.

"Das stört überhaupt nicht, denn der Karneval wandelt sich in seinen Motiven und Formen ständig. Und das ist ja das schöne daran, dass es keine steife, historische Rekonstruktion ist, sondern einfach lebt. Jemand hat eine Idee und macht etwas - wenn es den Menschen gefällt, macht man das im nächsten Jahr wieder, wenn nicht denkt man sich etwas Neues aus. Das ist einfach der natürliche Lauf."

Und manchmal kehrt der Karneval auf diesen Wegen auch an seinen Ausgangspunkt zurück. Zum Beispiel, indem die Zizkover an das heidnische Frühjahrsfest der Kelten anknüpfen. Einige in Fellumhänge gewandete Gestalten tanzen um eine kleine Feuerstelle und recken beschwörend die Arme gegen die Himmel. Ihr Anführer erklärt unter wilden Gesten die Zeremonie:

"Und jetzt, damit ihr wisst, was passiert, werden wir die Göttin Brigitta rufen, die die Ankunft des Frühlings verkünden wird."